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Haftstrafe für Sawtschenko - Nadeschda gegen Goliath

Russland verurteilt eine ukrainische Soldatin wegen Beihilfe zum Mord an einem Journalisten des Staatsfernsehens zu 22 Jahren Gefängnisstrafe. Hinter den Kulissen dürfte der Handel um einen möglichen Gefangenentausch erst so richtig losgehen

Autoreninfo

Maxim Kireev studierte VWL an der Universität zu Köln und absolvierte die Kölner Journalistenschule. Er ist gebürtiger Sankt-Petersburger und kam mit 10 Jahren nach Deutschland. Seit 2010 lebt er wieder in Russland und berichtet für verschiedene deutsche Medien über russische Politik und Wirtschaft.

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Nadeschda Sawtschenko muss von Anfang an gewusst haben, dass sie im Kampf mit einem übermächtigen Gegner nichts zu verlieren hat. Fast anderthalb Jahre dauerte der Prozess gegen die 34-jährige Ukrainerin in Russland. Ihre Gelegenheit, noch einmal ein letztes Wort zu ergreifen, nutzte sie folgerichtig auch nicht dazu, die Gunst der Justiz zu erobern. „In Russland wird es einen Majdan geben. Ich will mit meinem Beispiel zeigen, dass man ein totalitäres Regime kleinmachen kann”, polterte sie mit ihrer tiefen Stimme. Dann streckte sie bockig ihren Stinkefinger gen Richter aus. „Das ist mein letztes Wort“.

Schon damals – bei der vorletzten Sitzung vor knapp zwei Wochen – war klar, dass der jungen Frau mehrere Jahrzehnte hinter Gittern drohen. Das Gericht beschuldigte die Berufssoldatin, die im Sommer 2014 als Freiwillige mit dem Bataillon Aidar in den Krieg gegen prorussische Separatisten zog, schuld am Tode zweier Journalisten des Moskauer Staatsfernsehens zu sein. Auch Zivilisten seien bei dem Angriff umgekommen.

Bretthartes Urteil
 

Sawtschenko wurde von den Separatisten gefangen genommen und wieder freigelassen. Anschließend soll sie sich nach Russland abgesetzt haben. Der illegale Grenzübertritt war ebenfalls einer der Anklagepunkte. Das Gericht sprach sie bei der Urteilsverkündung am Dienstag schuldig. Am Ende verhängten die Richter 22 Jahre Freiheitsentzug. Das Urteil ist damit fast so bretthart, wie es die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. 

Die Szenen aus dem Gericht kennt die Weltöffentlichkeit spätestens seit dem Prozess um die Band „Pussy Riot“.

Stundenlang murmelt der Richter das Urteil vor sich hin, während die Angeklagte in einem verglasten Käfig wartet. Der Richter referiert, warum all das, was die Verteidiger zur Entlastung ihrer Mandantin vorgebracht haben, entweder unglaubwürdig oder nicht zu berücksichtigen sei. Es ist unmöglich, den Ausführungen im Detail zu folgen. Ab und zu können sich Swatschenko und ihre Schwester, die im Saal sitzt, ein ironisches Lächeln oder ein Kopfschütteln nicht verkneifen.

Russische Justiz macht sich zum Gespött
 

Irgendwann platzt der Angeklagten dann doch der Kragen: Sie stimmt ein Lied auf Ukrainisch an. Sie setzt noch den Kampfschrei der ukrainischen Nationalisten hinterher: „Ruhm der Ukraine, Ruhm Nation, Ukraine über alles“.

Der Prozess wirkt nicht nur bizarr, weil die russische Justiz mal wieder keine Gelegenheit auslässt, sich vor der Weltöffentlichkeit lächerlich zu machen. Die Verteidiger sprechen von einem politischen Verfahren. Die Anwälte präsentieren Handydaten, die beweisen sollen, dass Sawtschenko bereits vor dem Artillerie-Angriff der ukrainischen Seite von den Separatisten gefangen genommen wurde. Ein russischer Reporter machte zudem jene prorussischen Kämpfer aus, die Sawtschenko einkassiert haben.

Diese sollen Sawtschenkos Version bestätigt haben. Eine russische Astronomie-Expertin, die das Video von Sawtschenkos Festnahme analysiert hat, kam ebenfalls anhand des Sonnenstandes und der Schatten zu dem Schluss, dass die Ukrainerin zum Zeitpunkt des Beschusses schon in Lugansk bei den Separatisten gewesen sei.

Angeklagte wird zur Heldin in der Heimat
 

Bizarr ist der Prozess aber auch, weil die Angeklagte sich nicht einschüchtern lässt und mit ihrer ungehobelten Art zum Spektakel beiträgt. Mal poltert sie vor Gericht, mal trägt sie ihre Nationalität mit überbordendem Stolz zur Schau. Dann wiederum geht sie in einen ihrer zahlreichen Hungerstreiks, die sie immer wieder abbricht. Mit diesem Charakterzug wurde die Soldatin in der Ukraine zur Heldin, zum buchstäblichen David, der gegen Goliath kämpft.

Russlands Staatspropaganda zeichnete Sawtschenko hingegen als Ausgeburt des Bösen. Doch auch Teile der liberalen Szene zeigten sich ihr gegenüber reserviert. Mal bezeichnete Sawtschenko kritische Fragen eines unabhängigen russischen Reporters ihr gegenüber als anmaßend. Eben der gleiche Reporter machte später den angeblichen Separatisten aus, der Sawtschenko entlastete. Dann wiederum gab sie zu, als Soldatin Russen auf dem Schlachtfeld getötet zu haben. 

Auch Sawtschenkos Biografie offenbart, dass es sich bei der frisch gebackenen Nationalheldin der Ukraine keineswegs um einen Menschen handelt, der stets das Richtige tut. So endete ihr Einsatz für ukrainische Truppen im Irak im März 2005 mit einem Skandal: Sie hatte sich mit Handgranaten bepackt vom Camp entfernt – und wurde von US-Soldaten zurückgebracht.

Möglicher Gefangenentausch zwischen Moskau und Kiew
 

Andere Kollegen bezeichneten Sawtschenko zudem als aggressiv. Zurück in der Ukraine erlangte die Soldatin zweifelhafte Bekanntheit, als sie für die Mystery-Sendung „Der Kampf der Hellseher“ eine Scharfschützin spielte. Ihr Heimat-Bataillon Aidar wurde von Amnesty International wegen Kriegsverbrechen kritisiert.

Die Anwälte von Sawtschenko, von denen zwei bereits beim Pussy-Riot-Prozess dabei waren, finden sich schließlich damit ab, dass es im Gerichtssaal nicht darum gehen wird, das Strafmaß zu reduzieren. Sawtschenko hatte bereits von vornhinein eine Berufung im Falle einer Verurteilung ausgeschlossen. „Wir haben den Prozess nicht verloren, weil wir zu wenig Beweise hatten“, erklärte Anwalt Ilja Nowikow, der zu den renommiertesten Juristen des Landes gehört.

Ohnehin war das Ziel offenbar, möglichst viel internationale Aufmerksamkeit zu erregen. „Ich habe Informationen, dass das Thema beim Besuch von US-Außenminister John Kerry auf der Agenda stehen wird. Wir haben eine Situation erreicht, in der es für Russland mit jedem Tag teurer und unangenehmer wird, Sawtschenko hinter Gittern zu halten“. Moskau sei derzeit sogar mehr an einem Tausch interessiert.

Gesprächsbereitschaft von Putin
 

In der Tat könnte sich nun nach der Urteilsverkündung eine Tür für diese Möglichkeit öffnen. Bisher hatte das russische Außenministerium jegliche Verhandlungen um Sawtschenko mit der Ukraine vor der Urteilsverkündung ausgeschlossen. Dieses Hindernis ist nun ausgeräumt. Und auch der ukrainische Präsident Petro Poroschenko bekundete bereits Minuten nach dem Urteil seine Bereitschaft zum Tausch.

„Putin hat bei einem Treffen versprochen, Nadeschada Sawtschenko nach dem Urteil an die Ukraine zurückzugeben“, erklärte der Präsident in einer Videobotschaft.

Die Ukraine ihrerseits sei bereit, zwei russische Soldaten, denen derzeit der Prozess gemacht wird, nach ihrer Verurteilung an Russland zurückzugeben. „Es wird Zeit, das Versprechen einzulösen“, so Poroschenko.

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