Ein zerstörtes Gebäude im Süden von Beirut / picture alliance

Israelische Armee verkündet Tod von Hisbollah-Chef - „Teheran ist sehr nervös“

Das israelische Militär gab gestern den Tod von Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah bekannt. Der Terrorismusexperte Guido Steinberg spricht im Interview über die Zukunft der geschwächten Hisbollah und die immer größer werdende Furcht der Iraner vor den Israelis.

Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Guido Steinberg ist Islamwissenschaftler und forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin zum Nahen Osten, politischen Islam und islamistischen Terrorismus.

Herr Steinberg, das israelische Militär gab gestern den Tod von Hassan Nasrallah bekannt. Er starb bei einem gezielten Raketenangriff im Süden der libanesischen Hauptstadt Beirut. Wer war Nasrallah und welche Macht hatte er als Hisbollah-Chef?

Hassan Nasrallah war seit 1992 Generalsekretär der Hisbollah und damit auch ihr unbestrittener Anführer. In diesen gut drei Jahrzehnten ist er zum mächtigsten Mann des Libanon geworden und hat sich zu einem der prominentesten Politiker des Nahen Ostens entwickelt. Die Hisbollah hat sich unter der Führung von Nasrallah von einer kleinen, militanten Gruppe aus dem Libanon nicht nur zum wichtigsten Gegner Israels entwickelt, sondern auch zu der Organisation, die in der iranischen „Achse des Widerstands“ eine Führungsrolle eingenommen hat. Die „Achse des Widerstands“ ist ein Bündnis von pro-iranischen Kräften im Irak, Syrien, dem Libanon, Jemen und den palästinensischen Gebieten, das von den iranischen Revolutionsgarden angeführt wird. Nasrallah ist eine irantreuer Politiker, der sich stets zur geistigen und politischen Führerschaft des Obersten Führers des Irans, Ajatollah Ali Chamenei, bekannte.

In den sozialen Medien sind Videos aus dem Irak und Syrien zu sehen, auf denen Menschen die Tötung Nasrallahs feiern. Woher kommt diese massive Verachtung auf Nasrallah in Teilen der arabischen Welt?

Nasrallah hat in den letzten drei Jahrzehnten immer polarisiert, was vor allem daran liegt, dass er ein williger Vollstrecker der Politik des Irans war. Vor allem seit 2012-2013 ist die Hisbollah im Nahen Osten stark in die Kritik geraten. Grund war, dass die Hisbollah im syrischen Bürgerkrieg maßgeblich dazu beigetragen hat, dass sich das Assad-Regime durchsetzte. Ihre Gegner werfen ihr auch zahlreiche Verbrechen an der Zivilbevölkerung vor. Auch im Irak kämpfte die Hisbollah mit schiitischen Milizen gegen den IS und im Jemen spielt die Hisbollah eine wichtige Rolle bei der Stärkung der Huthi-Miliz. Die Gegner all dieser Kräfte und die Gegner Irans sind heute in Feierlaune.

In den vergangenen Monaten lag der Hauptfokus des israelischen Militärs nicht mehr auf dem Gazastreifen, sondern auf den Hisbollah-Gebieten im Süden Libanons. Welche Strategie verfolgt Israel derzeit?

Das offen definierte Ziel der Israelis ist es, die Hisbollah derart zu schwächen, dass sie sich von der israelisch-libanesischen Grenze zurückzieht. Auf diese Weise soll eine Wiederansiedlung der israelischen Bevölkerung an der Grenze gewährleistet werden. Darüber hinaus geht es um die substanzielle Schwächung der Hisbollah, allerdings wissen wir noch nicht genau, wie weit die Israelis gehen wollen. Momentan sieht es so aus, als würden sie sich zunächst auf die hybride Kriegsführung, Stichwort Pager-Attacken, und vor allem auf Luftangriffe beschränken, um auf diese Art Hisbollah-Führungspersonal zu eliminieren und gleichzeitig die militärische Infrastruktur der Hisbollah zu zerstören. Ob darüber hinaus weitere Operationen am Boden geplant sind, werden wir erst in den nächsten Tagen sehen.

Rechnen Sie mit einem massiven Gegenschlag durch die Hisbollah?

Mein Eindruck ist, dass die Hisbollah den israelischen Attacken hilflos ausgesetzt ist. Die gegenwärtige Phase begann mit dem Angriff auf die Kommunikationsstrukturen der Hisbollah. Seit sie nicht mehr in der Lage ist, mit den Pagern und anderen Geräten zu kommunizieren, scheint mir die Organisation teils führungslos zu sein. Eigentlich müsste man erwarten, dass auf derart empfindliche Schläge auch weitere Gegenangriffe mit Raketen folgen würden. Es hat zwar Raketenangriffe gegeben, diese waren allerdings quantitativ und qualitativ weit hinter dem zurück, was die Hisbollah militärisch leisten kann. Im Moment sieht es so aus, als hätte die Hisbollah den Israelis überhaupt nichts mehr entgegenzusetzen.

Guido Steinberg / Stuido Monbijou

Wird die Hisbollah durch die Tötung ihres Anführers für Israel nun weniger berechenbar?

Die Hisbollah war lange Zeit ein berechenbarer Gegner Israels. Dies galt sogar in den letzten elf Monaten, als die Hisbollah durch Art und Umfang ihrer Angriffe immer wieder kommunizierte, dass sie keinen großen Krieg mit Israel wolle. Das könnte sich nun ändern. Wir wissen nicht genau, wer innerhalb der Organisation das Kommando übernehmen wird und wie die neue Führung auf die Verluste reagieren wird. Terroristische Organisationen haben in der Vergangenheit unter starkem Druck ihrer Gegner oft auf eine Verbreiterung der Front gesetzt und internationale Anschläge verübt. Das könnte nun auch geschehen; Deutschland und Europa müssen jederzeit mit Attentaten der Hisbollah rechnen.

Gibt es schon Spekulationen darüber, wer der Nachfolger von Nasrallah als Anführer der Hisbollah werden könnte?

Die Hisbollah ist nicht nur eine terroristische Organisation, sondern auch eine soziale Bewegung und eine politische Partei. Der Vorsitzende des Hisbollah-Exekutivrates, Haschim Safi al-Din, galt bereits seit Jahren als der wahrscheinlichste Nachfolger für Nasrallah. Sollte er die aktuellen Angriffe der Israelis überleben, dürfte er der Nachfolger Nasrallahs werden. Wenn die israelischen Angriffe dann irgendwann nachlassen, bin ich überzeugt, dass die Hisbollah neue Strukturen aufbauen und wieder zu einer starken Organisation werden kann.

Sie sprachen bereits an, dass die Hisbollah eine zentrale Rolle in der pro-iranischen „Achse des Widerstands“ spielte. Nun befindet sich sowohl die Hamas als auch die Hisbollah in einem sehr geschwächten Zustand. Welche Auswirkung wird dies auf die geopolitische Architektur im Nahen Osten haben?

Es wird keine grundsätzliche Änderung der geopolitischen Architektur im Nahen Osten geben. Insbesondere deshalb, weil keiner der wichtigen Verbündeten des Irans tatsächlich die Kontrolle über Gebiete verloren hat. Schauen Sie nur auf den Gazastreifen: Die Hamas ist massiv geschwächt und hat große Teile ihrer militärischen Führung und zehntausende ihrer Kämpfer verloren, trotzdem kontrolliert sie weiterhin große Teile des Gazastreifens, sobald keine israelischen Truppen vor Ort sind. Dies gilt noch viel mehr für die Hisbollah im Libanon. Unabhängig davon, wie schwach die Hisbollah am Ende der Kämpfe sein wird, gibt es aus meiner Sicht keinen anderen militärischen Akteur im Libanon, der in der Lage wäre, der Hisbollah ernsthaft die Stirn zu bieten. Auch die libanesische Armee ist dazu nicht in der Lage. Der Iran hat also nach wie vor die Kontrolle über den Libanon, Irak, Syrien und den Jemen.

Allerdings trifft es zu, dass die „Achse des Widerstands“ ganz massiv geschwächt ist. Die Hisbollah war immer das Kernstück des pro-iranischen Bündnisses. Die Aufgabe der Hisbollah war es, den Iran vor einem potenziellen israelischen oder amerikanischen Angriff zu verteidigen. Diese Aufgabe kann die Hisbollah auf lange Sicht nicht mehr übernehmen. Das bedeutet eine dramatische Schwächung des Irans in der Region.

Wie nimmt die politische und religiöse Führungsriege in Teheran derzeit die israelischen Angriffe auf die Hisbollah und die Tötung eines ihrer engsten Verbündeten wahr?

Teheran ist sehr nervös. Auf der arabischen Seite von Al Jazeera hieß es, dass Ajatollah Ali Chamenei an einen sicheren Ort gebracht worden sei. Das mag nun stimmen oder nicht, aber es zeigt, wie groß die Furcht der Iraner vor den Israelis ist. Israel hat in den letzten Wochen unerwartete militärische Erfolge erzielen können, ohne, dass es dafür einen größeren Preis zahlen musste. Das große Problem für den Iran ist, dass es offensichtlich seinen wichtigsten Verbündeten nicht schützen kann, was zu einem Reputationsverlust in der gesamten Region führt.

Der Iran sucht nun nach einem Ausweg, doch die Führung in Teheran steht vor einem großen Dilemma. Seit Beginn des Krieges in Gaza zeigt sich, dass der Iran keine große Konfrontation mit Israel und den USA möchte. Gleichzeitig muss Iran, um seinem Selbstverständnis als nahöstliche Regionalmacht und Schutzmacht der Schiiten gerecht zu werden, auf die Angriffe Israels reagieren und Stärke demonstrieren. In den letzten Monaten hat sich gezeigt, dass Teheran auf dieses Dilemma keine Antwort hat. Die Iraner haben nach der Tötung des Hamas-Chefs, Ismail Hanija, sehr deutlich mitgeteilt, dass sich Israel auf einen Gegenschlag gefasst machen muss. Daraufhin haben die Amerikaner unmissverständlich kommuniziert, dass sie auf eine größere militärische Reaktion des Irans ebenfalls reagieren werden. Daraufhin hat Teheran auf einen Angriff verzichtet, denn es wollte keine Konfrontation mit den USA.

Wie betrachtet Washington die Erfolge des israelischen Militärs gegen die Hisbollah und welchen Einfluss hat die Biden-Administration sie auf die Regierung Netanjahus?

Die militärischen Reaktionen der Israelis im Gazastreifen und im Libanon werden unabhängig von den Amerikanern durchgeführt. Die nachrichtendienstlichen Informationen haben die israelischen Dienste selbst generiert. Die Administration unter Joe Biden ist daran interessiert, eine Eskalation im Libanon und darüber hinaus im Nahen Osten zu vermeiden. Deswegen fordern die USA mit ihren Partnern, unter anderem auch mit Deutschland, eine 21-tägige Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah. Darauf haben die Israelis mit der Tötung des Hisbollah-Anführers Nasrallah reagiert. Das ist ein deutliches Indiz dafür, wie gering aktuell der Einfluss der Amerikaner auf die Regierung Netanjahus ist.

Die Tötung Nasrallahs feierten auch libanesische Intellektuelle und Oppositionelle, die in ihren Augen als Chance für einen Neuaufbau des instabilen Landes gesehen wird. Wer übt im Libanon tatsächlich die Macht aus?

Die Hisbollah hat im Libanon ein Vetorecht, das im Doha-Abkommen von 2008 festgeschrieben wurde. Die Hisbollah kann, unabhängig davon, wie viele Mitglieder sie in der Regierung hat und wie ihr Wahlergebnis aussieht, wichtige Entscheidungen der libanesischen Regierung verhindern. Das ist der Status Quo und prägt die Situation im Libanon seit inzwischen 16 Jahren. Die Hisbollah hat diese Vereinbarung genutzt, um ihre Position im Süd- und Ostlibanon zu sichern. Besonders wichtig ist aber, dass die Hisbollah mit Abstand der stärkste militärische Akteur im Land ist. Das hat insbesondere damit zu tun, dass sie über rund 50.000 gut ausgebildete, hoch motivierte und teils kampferfahrene Kämpfer verfügt. Die libanesische Armee selbst ist ein sehr fragiler Akteur, auf den die Hisbollah über schiitische Rekruten und Offiziere starken Einfluss ausübt.

Die Hisbollah hat den Einfluss auf die libanesische Politik allerdings nicht dazu genutzt, um Verantwortung für diesen Staat zu übernehmen. Sie hat ihre Macht vor allem ausgespielt, um ihre eigenen Gefolgsleute zu versorgen und ihre Position im Süden und Osten des Landes auszubauen. Dies hatte eine Aushöhlung des Libanons zur Folge. Da kein anderer Akteur stark genug war, mit der Hisbollah zu konkurrieren, ist der Libanon seit 2008 den Weg eines gescheiterten Staates gegangen.

Wie bewerten Sie das Vorgehen des israelischen Militärs gegen die Hisbollah in den vergangenen Wochen? Als völkerrechtswidrige Handlungen oder als legitime Schläge, um die Sicherheitsinteressen Israels verteidigen zu können?

Die völkerrechtliche Bewertung des Krieges überlasse ich gerne Juristen. Mir scheint allerdings klar zu sein, dass mit massiven Schlägen der Israelis durchaus zu rechnen war. Israel wird inzwischen seit dem 8.Oktober 2023 von der Hisbollah beschossen. Da die Hisbollah die Raketenangriffe nie eingestellt hat und mit der Zerstörung Israels droht, scheint es folgerichtig und legitim, dass Israel auch auf breiterer Front zurückschlägt. Es begann mit den Pager-Angriffen, die rechtlich sicherlich ein Grenzfall waren. Die diesbezüglichen Berichte über zivile Opfer scheinen mir allerdings weit übertrieben zu sein; es war ein Angriff auf die militärische Kommunikation der Hisbollah. Ich habe deshalb keinerlei Probleme mit dem Vorgehen der Israelis. Wir dürfen nicht vergessen: Die Hisbollah ist kein konventionelles Militär und versteckt sich immerzu hinter und unter Zivilisten. Ich sehe die Verantwortung für zivile Verluste daher meist bei der Hisbollah.

Das Gespräch führte Clemens Traub.

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