- Für Jubel ist es zu früh
Obama bezeichnet die Übereinkunft im Atomstreit mit Iran als „historisch“, in Teheran feierten die Menschen ausgelassen. Doch noch ist Vorsicht geboten: Der Rahmenvertrag von Lausanne ist unverbindlich. Viele Fragen bleiben ungeklärt. Ein Kommentar
Der Wind tost über den See und es ist winterkalt in Lausanne. Diesen 2. April hätten viele über Jahrzehnte für einen Scherz gehalten: Iran und USA gehen eine Beziehung ein. Iran sagt zu, sich über Jahrzehnte kontrollieren lassen. Die USA versprechen, im Gegenzug den Bann aufzuheben, der seit einer Generation auf Iran liegt.
Historisch, das sagt sich leicht. Ist das Treffen von Lausanne historisch? Präsident Obama nennt es so. Für die USA ist es das zumindest insoweit, dass seit fast einem Jahrhundert noch kein Außenminister so lange am Stück auf einer Auslandskonferenz gewesen ist wie nun John Kerry in Lausanne. Auf der Friedenskonferenz von Versailles 1919 war sein Vorgänger Robert Lansing noch etwas länger als diese acht Tage Kerrys.
Risiken wie in Versailles
Versailles wurde auch als historischer Frieden gefeiert. Heute wissen wir, dass das voreilig war und zum schlimmsten Krieg auf der Welt geführt hat. Kritiker sehen auch in den Abmachungen von Lausanne eine Gefahr, die am Ende das Gegenteil von Frieden und Miteinander bringen könnte.
Saudi-Arabien und Israel fürchten gleichermaßen, dass Iran nun den Einfluss bekommt, den es immer gesucht hat – und der gewaltige Unruhe in die Region brächte. Befreit von den Sanktionen, und somit Handelsausfällen von über 50 Milliarden Euro jährlich, könnte Iran binnen kurzer Zeit ein reiches Land werden.
Mit diesem Geld ließen sich die Feinde der Konkurrenten hochrüsten: die Houthi-Milizen im Jemen sowie die Hisbollah im Libanon könnten nur der Anfang sein. Die Folge wäre ein Machtkampf, der in Jahrzehnten sogar in einem atomaren Wettrüsten zwischen den ölreichen Staaten münden könnte.
Sanktionen bald gelockert?
Noch aber ist alles eine Vorvereinbarung. Zwölf Jahre nach dem Start internationaler Verhandlungen über das iranische Atomprogramm sind vorerst „Schlüssel-Parameter vereinbart“, wie die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini es in Lausanne bezeichnet hat. Das ist die schwächste Festlegung im diplomatischen Jargon.
Erst wenn diese Parameter in einen Vertrag gegossen würden – geplant ist dafür Ende Juni – gilt, was am Genfer See aufgeschrieben wurde: Teheran muss seine Kapazitäten zur Urananreicherung um zwei Drittel abbauen. Bestätigen internationale Kontrolleure, dass sich Iran an alle Auflagen hält, werden die USA und die EU ihre Wirtschaftssanktionen aufheben. Verstößt Iran später dennoch dagegen, greifen die alten Sanktionen wieder sofort.
Wenn sein Land das Abkommen umsetze, „wird es keine Sanktionen geben“, erklärte Außenminister Sarif das Vorhaben wohl mehr an die eigene Opposition daheim. Wenn! Wie eine Verheißung folgte das Dann. Denn nur dann werde Iran „an den internationalen Ölmarkt zurückkehren“. Der Regierung unter Präsident Rohani mag man zutrauen, sich an diese Abmachung zu halten. Aber werden es die Ultras tun, die 35 Jahre lang unbeeindruckt von jeglichen Sanktionen zu sein schienen? Präsident Obama warnte unmittelbar vor Tricks, auch er mehr, um die heimische Opposition zu beruhigen: „Wenn der Iran betrügt, wird die Welt das wissen.“
Teheran will sich 25 Jahre Kontrolle unterwerfen
Damit nicht eine spätere Macht in Teheran wieder schnell zur Bombe gelangen könnte, ist sehr detailreich geplant worden: Binnen zehn Jahren sollen mehr als zwei Drittel der bestehenden Anreicherungskapazitäten stillgelegt und mehr als 95 Prozent des angereicherten Urans verdünnt oder ausgeführt werden.
Iran darf nur 6000 von 19.000 Zentrifugen behalten, darunter 1000 in der umstrittenen unterirdischen Forschungsanlage Fordo. Dort aber sei kein spaltbares Material mehr zugelassen, heißt es in den Lausanner Eckpunkten. Für weitere 15 Jahre sind Anreicherung sowie Forschung und Entwicklung generell nur in engen Grenzen und unter strikter Kontrolle erlaubt. In summa sind das also 25 Jahre Kontrolle.
Als vor 15 Monaten die heißen Atomverhandlungen mit der jetzigen iranischen Regierung begannen, ließ die nachweislich alle Forschungsarbeit stoppen. Da war Iran bereits auf einem technischen Stand, binnen zweier Monate Atommacht werden zu können.
Iran hatte Atomkontrolleure jahrelang ausgesperrt
„Ausbruchzeit“ nennen die Fachleute diese Zeit. Im Kern geht es darum, diesen Zeitraum zu verlängern: Iran muss atomar soweit abrüsten, dass es mindestens ein Jahr bräuchte bis zur Bombe. Ist das geschehen, unterliegen alle nuklearen Aktivitäten Irans nach den Vorstellungen von Lausanne bis zum vereinbarten Vierteljahrhundert der strengen Überwachung durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA). Kontrolleure dieser Agentur waren von Iran allerdings über Jahre hinweg ignoriert und ausgesperrt worden.
Als Außenminister Steinmeier seine Woche in Lausanne begann, sagte er, man sei dem Ziel so nah wie nie. Mit Blick auf die Alpen hinter dem Genfer See fügte er hinzu, es sei wie beim Bergsteigen: Selbst wenn das Gipfelkreuz schon in Sicht sei, komme es auf die letzten Meter an.
Die allerletzten Meter liegen nun immer noch vor den Weltmächten, Deutschland und Iran. Und selbst wenn dieser Gipfel im Sommer erklommen würde, bleibt die bange Frage: Wie friedlich ist die Aussicht nun?
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