- Wer ermordete Giulio Regeni?
Er wurde entführt, gefoltert und ermordet: Der Tod des italienischen Doktoranden Giulio Regeni vergiftet zunehmend das Verhältnis zwischen Rom und Kairo. War es politischer Auftragsmord? Ägypten bestreitet das, Italien stellt ein Ultimatum
Erst hieß es, der Getötete sei Opfer eines Verkehrsunfalls. Dann wurden islamistische Terroristen und unbekannte Ausländer bezichtigt. Vor Ostern dann brachte eine letzte zynische Posse der italienischen Regierung das Fass zum Überlaufen.
Das ägyptische Innenministerium verkündete, man habe vier Mitglieder einer Mafiabande erschossen, die – als Polizisten verkleidet – auf die Entführung von Ausländern spezialisiert gewesen seien. In der Wohnung der Schwester des angeblichen Chefkriminellen seien persönliche Gegenstände des italienischen Doktoranden Giulio Regeni sichergestellt worden. Auf einem mitgelieferten Foto zu sehen waren dann auch eine rote Umhängetasche des zu Tode Gefolterten, davor ausgebreitet: Reisepass, Handy, Portemonnaie, Kreditkarte, Sonnenbrille, Armbanduhr und sein Studentenausweis der britischen Cambridge-Universität.
Ein Fall von Vertuschung?
„Wir pochen darauf, wir wollen die Wahrheit wissen“ retournierte erbost Italiens Außenminister Paolo Gentiloni auf Twitter. 24 Stunde später ließ das Kairoer Innenministerium dann auch diese dubiose Bandentheorie wieder fallen. Westliche Diplomaten und ägyptische Menschenrechtler vermuten dagegen, dass der 28-jährige Wissenschaftler von ägyptischen Geheimdienstlern zu Tode gequält worden ist. Das Regime versuche nun mit allen Mitteln, den Fall zu vertuschen.
Laut Obduktionsbericht wurde der junge Mann, dessen übel zugerichtete Leiche am 3. Februar halbnackt in einem Autobahngraben nahe der Hauptstadt gefunden wurde, acht Tage lang bestialisch misshandelt. Die Mörder schnitten ihm die Ohren ab, drückten brennende Zigaretten auf seiner Haut aus, rissen ihm Finger- und Fußnägel heraus, traktierten seine Genitalien mit Elektroschocks und brachen ihm Rippen, Beine und Schultern. Schockiert sprach Innenminister Angelino Alfano von „unmenschlicher und animalischer Gewalt“.
Mehr als 500 Verschleppte
Und so entwickelt sich der Fall Regeni immer mehr zu einem außenpolitischen und wirtschaftlichen Desaster für Ägypten. Seit der Machtübernahme durch Ex-Feldmarschall Abdel Fattah al-Sissi sind willkürliche Verhaftungen, systematische Folter und politisch motivierte Morde an der Tagesordnung. Am Montag veröffentlichte die italienische Zeitung „Corriere Della Sera“ eine Namensliste mit 533 Ägyptern, die in den letzten acht Monaten von Sicherheitskräften verschleppt wurden und von denen 396 bisher nicht wieder aufgetaucht sind. Das Europäische Parlament verlangte in einer Resolution erneut den Stopp aller Waffenlieferungen nach Kairo. Es betonte „mit tiefer Sorge, dass der Fall Giulio Regeni kein Einzelfall ist, sondern im Zusammenhang mit Folterungen, Todesfällen in Haft und Verschleppungen steht.“
Italien, neben Deutschland der wichtigste europäische Handelspartner Ägyptens, stellte dem Sissi-Regime bis Ende der Woche ein Ultimatum. Ansonsten werde man „sofortige und angemessene Konsequenzen ziehen“, erklärte Außenminister Gentiloni vor dem Parlament. „Wir werden keine erfundenen Wahrheiten akzeptieren und nicht zulassen, dass die Würde unseres Landes in den Dreck gezogen wird.“ Ein auf Individualreisen spezialisierter Tourismusverband sagte sämtliche Programme am Nil und am Roten Meer ab. Seit dem Verbrechen an ihrem Landsmann ist die Zahl der italienischen Feriengäste bereits um 90 Prozent eingebrochen, was die Misere der ägyptischen Tourismusindustrie noch weiter verschärft.
Die Mutter von Giulio Regeni droht
Am Mittwoch fliegt der stellvertretende ägyptische Generalstaatsanwalt Mostafa Suleiman mit einem Team von Polizisten nach Rom, um die italienische Seite zu besänftigen und über den Stand der Ermittlungen zu informieren. Bis heute kennt die römische Justiz noch nicht einmal die Handydaten des Opfers und seiner Bekannten. Ganz zu schweigen von Videomitschnitten aus der Wohnstraße oder nahe der Metrostation in Dokki-Behoos, wo Regeni am 25. Januar zuletzt lebend gesehen wurde.
An diesem Tag, dem fünften Jahrestag des Arabischen Frühlings in Ägypten, wimmelte es auf Kairos Straßen von Sicherheitsbeamten: Sie sollten jeden Protest der Bürger sofort im Keim ersticken. Am Abend wollte Regeni einen Freund im Stadtzentrum besuchen, um dessen Geburtstag zu feiern. Doch er kam nie auf der Party an.
Die Mutter des Ermordeten erklärte vor einer Woche, dass sie ihren Sohn nur noch an der Spitze seiner Nase erkannt habe. Alles andere sei nicht mehr Giulio gewesen. Dem ägyptischen Präsidenten Sissi droht sie öffentlich an, Fotos der gemarterten Leiche ins Internet zu stellen, wenn Ägypten nicht endlich mit der Wahrheit herausrücke.
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