- Der G20-Gipfel ist überfrachtet
Am 5. und 6. September findet der G20-Gipfel in St. Petersburg statt. Fünf Jahre nach Gründung der G20 ziehen unsere Autorinnen Bilanz, was die Gruppe tatsächlich leisten kann. Die G20 muss sich auf ihre vier Kernaufgaben konzentrieren. Nur so bleibt die Gruppe bedeutend
Auf ihren ersten G20-Gipfeln in Washington und London 2008/2009 ist es den Industrie- und Schwellenländer gelungen, in kurzer Zeit eine gemeinsame Antwort auf die Finanzkrise zu geben – ein enormer Erfolg. Doch seither haben die Begeisterung und auch die mediale Aufmerksamkeit, die dieser Gruppe entgegengebracht werden, deutlich nachgelassen. Die letzten Gipfel galten als Misserfolge. Die Kritik an der G20 geht in zwei Richtungen: Die Gruppe sei ineffektiv in der Umsetzung ihrer Beschlüsse und sie nehme sich zu viel vor.
Keine Frage, sowohl die Industrie- und Schwellenländer als auch die Industrieländer untereinander sind seit Jahren uneinig bei zentralen G20-Themen, seien es Wachstumsstrategien oder Schuldenobergrenzen. Die Umsetzung von Beschlüssen der G20 hat aber auch deshalb nachgelassen, weil sie nicht rechtlich bindend sind. Die Schlagkraft der Gruppe hängt daher vom Engagement der Mitgliedstaaten sowie dem Druck der Öffentlichkeit ab.
Um den Wert der G20 als Akteur in der globalen Wirtschaftsordnung hervorzuheben, muss die G20 sich noch mehr auf ihre vier Kernaufgaben konzentrieren:
- Informelles Forum: Die G20 bieten den Staats- und Regierungschefs sowie den Finanzministern der 20 „systemisch wichtigen“ Mitgliedstaaten ein gemeinsames Forum. Die Debatte zu schwierigen Themen ist an sich bereits ein Mehrwert, denn durch die regelmäßigen Treffen wird Vertrauen zwischen teilweise sehr unterschiedlichen Mitgliedern aufgebaut. Dies ist der erste Schritt zu Kooperation und Konsensbildung. Der ständige Dialog hat etwa China dazu bewogen, in seiner Wechselkurspolitik einzulenken, nachdem diese auf zahlreichen G20-Gipfeln als Problem diskutiert wurde. Dieser Dialog- und Netzwerkgedanke jenseits der Gipfeldiplomatie muss wieder stärker in den Vordergrund rücken.
- Vernetzter Agenda-Setter: Die G20 kann mit ihren Gipfeln die internationale wirtschaftspolitische Agenda vorgeben: Sie bringt Regierungschefs und Finanzminister zusammen, um bei zentralen Wirtschaftsthemen Blockaden zu lösen und Impulse für Reformen zu geben. Die Gruppe kann frühzeitig wichtigen Themen politisches Gewicht verleihen – und dadurch die Aufmerksamkeit von internationalen Organisationen und auch nationale Debatten beeinflussen. Das ressortübergreifende Denken setzt der Silo-Mentalität Politik in einer vernetzten Welt entgegen.
- Krisenforum und Krisenfinanzierer: Dank des informellen Charakters der G20 ist es möglich, in Krisensituationen schnell zusammenzukommen und Lösungen zu diskutieren. Durch die Vernetzung auf allen Arbeitsebenen kann die G20 auch kurzfristig von ihren Mitgliedstaaten Mittel mobilisieren – etwa in Finanzkrisen, wie die ersten Gipfeln in Washington und London gezeigt haben.
- Plattform für Industrie- und Schwellenländer: Die G20 ist das einzige Forum, in denen Industrie- und Schwellenländer gleichberechtigt zusammenarbeiten. Dies ist besonders für die andauernde Debatte über die Stellung der Schwellenländer bei IWF und Weltbank von großer Bedeutung. Nur durch Zusammenarbeit können globale Probleme wie diese effektiv angegangen werden.
Diese vier zentralen Aufgaben – und zugleich Vorteile der G20 – müssen der Öffentlichkeit klarer kommuniziert werden. Nur so kann die G20 dem Eindruck entgegenwirken, ihre Treffen seien kostspielige Gipfel mit wenig konkreten Ergebnissen.
Ein weiteres Problem ist, dass die inhaltliche Agenda der G20 in den letzten Jahren häufig um nationale Schwerpunkte der jeweiligen Präsidentschaft erweitert wurde. Durch diese Themenvielfalt konnten die Verhandlungen mitunter nur sehr oberflächlich geführt werden. Um der inhaltlichen Überfrachtung entgegenzuwirken, müssen die G20-Staaten der Leitfrage folgen: Welche Themen gehören unbedingt auf die G20-Agenda und sollten von höchster politischer Ebene behandelt werden? Die Staats- und Regierungschefs der G20 treffen sich mittlerweile jährlich. Dieses politische Kapital muss behutsam eingesetzt werden, damit die Gipfel nicht zu einem weiteren internationalen Pflichttermin mutieren, den keiner schätzt.
Der G20-Gipfel in Sankt Petersburg: Wie sinnvoll ist die russische Agenda?
Der vergangene Gipfel in Mexiko im Juni 2012 wurde auch deshalb so negativ bewertet, weil die Agenda aus innenpolitischen Überlegungen mit neuen Themen überfrachtet wurde. Wie sieht dies in diesem Jahr aus?
2013 hat Russland die Präsidentschaft der G20 inne. Die Agenda für St. Petersburg konzentriert sich auf bestehende wirtschaftliche Themen. Dies ist zu begrüßen. Russland hat jedoch zusätzliche Themen gesetzt, etwa Energienachhaltigkeit und Investitionsfinanzierung. Während es für die G20-Staaten sinnvoll ist, Energieprobleme zu diskutieren, ist das Thema Investitionsfinanzierung bisher nicht konkretisiert worden. Es bleibt unklar, warum sich die G20 auf höchster politischer Ebene damit befassen sollten. Obwohl sich die russische Präsidentschaft wieder stärker an den Kernaufgaben der G20 orientiert, muss sie dieses Defizit angehen. Andernfalls wird der Gipfel in St. Petersburg kaum Fortschritte bringen können.
Dr. Claudia Schmucker ist Leiterin des Bereichs Globalisierung und Weltwirtschaft bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Katharina Gnath leitet das Projekt „EU Economic Foresight“ bei der Stiftung neue Verantwortung.
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