- „Frieden hatte nie eine Chance“
Nach jahrelangem Kampf haben sich die palästinensischen Erzfeinde Fatah und Hamas versöhnt. Während viele dies als wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung feiern, warnt einer der einflussreichsten israelischen Historiker vor falschen Hoffnungen.
Fatah und Hamas haben sich ausgesöhnt und die Bildung einer Einheitsregierung beschlossen. Was bedeutet das für den palästinensisch-israelischen Konflikt?
Selbst wenn man der PLO und Abbas glaubt, dass sie eine Zwei-Staaten-Lösung wollen – und ich tue das nicht –, bedeutet eine Einheitsregierung mit der Hamas, dass sie dieses Ziel nicht aufrichtig oder ernsthaft werden verfolgen können, denn die Hamas hat immer wieder offen erklärt, dass ihr Ziel die Zerstörung Israels ist.
Was wird geschehen, wenn die Palästinenser im September 2011 ihre Unabhängigkeit erklären, wie es der Fahrplan von Ministerpräsident Salam Fayyad vorsieht?
Ich weiß es nicht. Es ist zu hoffen, dass die USA und die Europäische Union sich der einseitigen Erklärung eines Staats entgegenstellen werden. Übrigens haben die Palästinenser schon mehrmals einen Staat ausgerufen, beispielsweise 1988, ohne dass dies konkrete Folgen gehabt hätte. Wenn nun der Block der muslimischen und Entwicklungsländer in der UN-Vollversammlung geschlossen für einen palästinensischen Staat votiert, während die USA im Sicherheitsrat dagegenstimmen, bezweifle ich, dass die Autonomiebehörde mit ihrem Plan Erfolg haben wird. Insbesondere wenn es sich um eine Einheitsregierung handelt, deren eine Hälfte Israels Existenz offen ablehnt.
Hat es denn je eine realistische Chance für eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts gegeben?
Ich glaube, die hat es nie gegeben.
Zu keinem Zeitpunkt?
Nein. Wenn man sich die Ziele der beiden Bewegungen und ihre Mentalitäten ansieht, dann gab es nie eine Chance auf Frieden zwischen ihnen. Die Juden wollten einen souveränen jüdischen Staat errichten – entweder in ganz Palästina oder zumindest in einem Teil davon, möglicherweise mit einer arabischen Minderheit, aber auf jeden Fall mit einer soliden jüdischen Mehrheit. Die Araber Palästinas wiederum wollten, sobald sie um den Ersten Weltkrieg herum ein Nationalbewusstsein entwickelt hatten, einen souveränen arabischen Staat errichten – in ganz Palästina, unter arabischer Herrschaft und mit arabischem Charakter. Das war das Ziel der palästinensischen Nationalbewegung im Jahr 1920 – und ist es bis heute geblieben.
Das klingt, als würden Sie alle Palästinenser über einen Kamm scheren.
Die palästinensische Nationalbewegung hat heute zwei Flügel. Der religiöse Flügel spricht sein Ziel ganz offen aus, die Hamas sagt: Wir wollen ganz Palästina, die Juden sollten überhaupt nicht hier sein. Dieser Flügel ist sowohl antisemitisch als auch antiisraelisch. Der andere Flügel – die Fatah – hält sich hinsichtlich seiner endgültigen Ziele bedeckt. Aber auch er denkt, dass das historische Palästina den Arabern gehören sollte und die Existenz eines jüdischen Staates dort ungerecht sei. Darauf zielt die Fatah hin, wenn auch schrittweise.
Sie denken, die ganze Fatah sei dieser Ansicht?
Es gibt sicherlich hier und da ein paar wenige Ausnahmen – Sari Nusseibeh zum Beispiel. Er hat verstanden, dass Israel nicht zerstört werden kann oder nur zu einem gewaltigen Preis, und dass es besser ist, einen Kompromiss zu suchen. Aber Nusseibeh verfügt nicht über viel Einfluss innerhalb der Fatah. Ich glaube, die palästinensische Führung sowohl unter Mahmud Abbas als auch unter Jassir Arafat als auch unter dem Mufti Hajj Amin al Husseini vor 1948 will ganz Palästina. Sie glaubt, das stehe ihr gerechterweise zu. Auf dem Wege dorthin ist sie aber willens, taktische Kompromisse einzugehen.
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verstellt sich also nur?
Ich weiß, dass manche Leute Mahmud Abbas und auch Ministerpräsident Salam Fayad für Pazifisten halten, die wirklich Frieden wollen. Ich nehme ihnen das nicht ab. Sie sind alle unter Jassir Arafat aufgewachsen und haben die gleiche Mentalität verinnerlicht. Arafat hat irgendwann verstanden, dass er nicht alles fordern kann, weil der Westen ihn dabei nicht unterstützen würde. Aber wenn die Palästinenser zunächst ein kleines Stück bekämen, könnten sie sich später den Rest nehmen.
Wollen Sie damit sagen, der gesamte Oslo-Friedensprozess sei eine Illusion gewesen?
Ja, rückblickend denke ich, dass alles ein gigantischer Betrug gewesen ist.
Ein Betrug vonseiten der Palästinenser?
Sie haben uns getäuscht. Was sie wirklich wollten, war in Palästina Fuß zu fassen, ohne ein Friedensabkommen mit Israel zu unterzeichnen. Als der Frieden und die Zwei-Staaten-Lösung dann angeboten wurden – von Ehud Barak in Camp David und von Bill Clinton danach –, sagten sie: „Nein, danke.“
Ihnen ist sicherlich bewusst, dass diese Interpretation der vergangenen 20 Jahre von vielen nicht geteilt wird?
Ich glaube, was ich sehe. Und ich habe gesehen, was im Juli 2000 in Camp David passiert ist. Da wurde eine Zwei-Staaten-Lösung angeboten, die Palästinenser hätten fast das gesamte Westjordanland bekommen, die Hälfte Jerusalems, die Hälfte der Altstadt inklusive einer Art von Souveränität über den Tempelberg – also alles, was sie angeblich wollten. Und sie sagten Nein. Das ist die Wahrheit. Der Rest ist Geschwätz.
Sagen die im Januar an die Öffentlichkeit gelangten „Palestine Papers“ uns etwas Neues über die Verhandlungen?
Nein, überhaupt nicht. Es handelt sich um eine – vermutlich tendenziöse – Auswahl an Dokumenten. Wenn jemand so etwas an die Öffentlichkeit bringt und damit einen bestimmten Zweck verfolgt – in diesem Fall vielleicht die Fatah bloßzustellen –, dann ist das bedeutungslos. Aber selbst wenn wir alle Papiere beispielsweise über die Verhandlungen zwischen Abbas und dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert aus dem Jahr 2008 vorliegen hätten, würde das nicht allzu viel aussagen, solange es keine Vereinbarung gab. Abbas mag in internen Gesprächen sagen, dass er nicht auf dem Rückkehrrecht für Flüchtlinge bestehe – solange er nichts unterzeichnet, bedeutet das gar nichts. In der Öffentlichkeit oder wenn es darum geht, ein Dokument zu unterzeichnen, wird Abbas auf das Rückkehrrecht nicht verzichten.
Noch einmal zurück zu den Camp-David-Verhandlungen im Sommer 2000. Es gibt unterschiedliche Versionen, was damals gesagt wurde und was nicht. Ehud Barak selbst soll sich später gerühmt haben, er habe den Palästinensern letztendlich nichts Handfestes angeboten.
Das stimmt nicht. Was Barak sagte, war: Solange nicht alles ausgemacht ist, ist nichts ausgemacht. Er sagte, er habe keine schriftlichen Zusagen gemacht. Und zwar zu Recht: Zu diesem Zeitpunkt der Verhandlungen, als über viele Punkte noch gefeilscht wurde, hätte das keinen Sinn ergeben. Am Ende schnürt man ein Paket. Aber bis dahin ist alles unverbindlich.
Barak sagte, er habe den Palästinensern „not one thing“ gegeben.
Das hat er mir auch gesagt: „Wir haben nichts finalisiert, ich habe nichts schwarz auf weiß niedergeschrieben, alles wurde nur mündlich verabredet. Alles andere wäre mir zu riskant gewesen, denn hätte ich konkrete Zugeständnisse gemacht, hätte das die nächsten Verhandlungen behindern können.“
Könnten sich dann nicht ebenso gut beide Seiten verstellt haben?
Ich persönlich glaube, dass Ehud Barak in Camp David vollkommen aufrichtig war. Wie Sie wissen, hat er dafür sogar seinen Job geopfert. Nach Camp David zu gehen und dieses Angebot zu machen, kostete ihn 2001 den Wahlsieg. Die Uneinigkeit besteht hinsichtlich einer anderen Frage: Lehnte Arafat aus ideologischen Gründen ab, also weil er grundsätzlich keinen Zwei-Staaten-Kompromiss wollte, oder war es ein taktischer Zug, um noch mehr herauszuholen? Ich persönlich glaube, es war Ideologie.
Wenn dem so gewesen sein sollte – ließe sich das nicht mit dem Verhalten der zionistischen Führung im Jahr 1937 vergleichen? Damals lehnte sie die Empfehlungen der britischen Peel-Kommission ab, die erstmals eine Teilung des Landes Palästina zwischen Juden und Arabern vorsahen.
Nicht ganz. Es ist wahr, 1937 bejahte der Zionistische Kongress das Prinzip der Teilung, lehnte aber die Grenzen ab, die die Peel-Kommission vorgeschlagen hatte. Die Zionisten wollten über ihren Anteil am britischen Mandatsgebiet verhandeln. Aber sie sagten offiziell Ja zum Prinzip der Teilung.
Die Frage ist nur, aus welchen Gründen und mit welcher Überzeugung.
In der Tat waren die Zionisten noch bis 1936 der Auffassung gewesen, ganz Palästina solle den Juden gehören, denn dieses Land sei ihnen „von Gott versprochen“. 1936 aber – unter dem Eindruck der sich verschärfenden Situation für die Juden in Europa, aber auch des Aufstands der Palästinenser und sinkender britischer Unterstützung – änderten die Zionisten ihre Sichtweise. Sie sagten sich: Vielleicht sollten wir diese historische Chance nutzen, auch wenn das die Teilung des Landes bedeutet. Aber wir hätten gern bessere Konditionen. Allerdings ist auch wahr, dass David Ben-Gurion zur gleichen Zeit in Briefen an seinen Sohn schrieb: „Wir werden das, was der Peel-Plan uns gibt, als Basis für die weitere Eroberung des Landes nutzen.“ Ben-Gurion hätte insgeheim gerne ganz Palästina gehabt, und er mag sogar konkret die spätere Expansion eines jüdischen Staates im Sinn gehabt haben. In den Folgejahren begann Ben-Gurion jedoch, innerlich schrittweise zu akzeptieren, was er öffentlich sagte.
Mit anderen Worten, er begann seiner eigenen Rhetorik Glauben zu schenken?
1937 war Ben-Gurion vielleicht nicht ganz aufrichtig, als er die Teilung akzeptierte. Zwischen 1937 und 1947 wurde ihm jedoch klar, dass die zionistische Seite von diesem Prinzip der Teilung nicht mehr abrücken konnte – die Weltgemeinschaft würde das nicht zulassen. Und als die „Jewish Agency“ 1947 den Teilungsbeschluss der Vereinten Nationen annahm, tat sie das durch und durch aufrichtig.
Und seit damals?
Seit damals hat die zionistische Bewegung das Prinzip der Teilung grundsätzlich akzeptiert. Zwischen 1977 und der ersten Intifada 1987 gab es ein paar Jahre, in denen der Likud und rechtsgerichtete Bewegungen die Idee, ganz Palästina jüdischer Kontrolle zu unterwerfen, noch einmal ernsthaft erwogen haben. Aber auf die gesamte Zeitspanne gesehen, war das nur ein winziger Augenschlag. Selbst Netanjahu akzeptiert inzwischen das Zwei-Staaten-Prinzip, zumindest sagt er das.
Wobei das Problem der israelischen Siedlungen in den Palästinensergebieten fortbesteht …
Natürlich! Die Siedlungen sind ein Problem, die Grenzziehung ist ein Problem … Es gibt viele Probleme. Aber das Prinzip, dass auch den Palästinensern ein Teil Palästinas gehört, wird heute von den meisten Israelis akzeptiert.
Sie sprechen von den sich verändernden Zielen und Strategien der zionistischen Bewegung. Gleichzeitig sagen Sie, dass sich die Ansichten der Palästinenser seit 1920 nicht gewandelt hätten. Ist das nicht ein Stereotyp à la „betrügerische Araber“?
Betrügerisch, wieso? Im Gegenteil. Ich glaube, dass die palästinensische Nationalbewegung und ihre Führung seit ihrer Entstehung sehr konsistent gewesen sind: Sie wollen ganz Palästina. Sie glauben, dass es keinen guten Grund gibt, dieses Land mit den Juden zu teilen. Aus ihrer Sicht ist es doch so: Diese ungläubigen Fremden sind gekommen, um das Land von uns zu stehlen, und die Amerikaner und die Russen und die Vereinten Nationen unterstützen sie aus irgendeinem Grund auch noch darin. Tief im Herzen glauben 99,9 Prozent der Palästinenser, dass nicht eine Spur von Gerechtigkeit in den zionistischen Ansprüchen auf auch nur einen Quadratmeter von diesem Land steckt.
Wenn das wirklich für alle Palästinenser gälte, wäre dann nicht jeglicher Friedensprozess grundsätzlich zum Scheitern verurteilt?
Auf jeden Fall werden, solange diese Mentalität fortbesteht, die Führer der Palästinenser keinem Kompromiss zustimmen können, selbst wenn sie es aufrichtig wünschten. Sie würden am nächsten Tag auf der Straße erschossen werden, wenn nicht schon am selben Tag.
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