- Die EU darf keine Bedingungen stellen
Die EU will in Nordafika und im Nahen Osten Reformen erzwingen, indem sie ihre Entwicklungshilfen an Bedingungen knüpft. Doch die Anreize aus Brüssel reichen nicht aus. Die EU verliert in der Region an politischem Einfluss. Eine solche Nachbarschaftspolitik kann dort nicht funktionieren. Ein DGAP-Gastbeitrag
Nach den Umbrüchen in der arabischen Welt wurde die EU für ihre weitgehend bedingungslose Zusammenarbeit mit den dortigen Autokraten vielfach kritisiert. Als Reaktion beschloss Brüssel, das Prinzip der Konditionalität zu stärken: Die Nachbarn erhalten umso mehr Unterstützung, je größer deren Reformeifer ist. Die Hilfen werden dagegen reduziert, wenn die Nachbarn Reformen nicht anpacken.
Neu ist dieser Ansatz nicht. Sowohl die Erweiterungs- als auch die bisherige Nachbarschaftspolitik bauen darauf auf. Die zugrunde liegende Logik lautet: Die EU ist das Modell und der Nachbarstaat soll sich diesem Modell angleichen, um in den Genuss von Anreizen zu kommen. In den Staaten der EU-Osterweiterung hat dies funktioniert. Mit den südlichen Nachbarn wie etwa Ägypten kann eine auf Konditionalität aufbauende Politik aber kaum gelingen.
Anreize zu gering, Kosten zu hoch
Für die östlichen Nachbarn der EU gab und gibt es einen klaren Anreiz, Reformen durchzuführen: den Beitritt zur EU. In Kombination etwa mit finanzieller Unterstützung kann dies attraktiv genug sein, die Kosten für Reformen und Rechtsangleichungen auf sich zu nehmen. Für die Staaten des südlichen und östlichen Mittelmeerraums ist ein EU-Beitritt jedoch undenkbar. Die einzigen Anreize sind daher Finanzhilfen, die Integration in den EU-Binnenmarkt sowie eine Liberalisierung der Visumsvergabe, kurz: Geld, Marktzugang und Mobilität. Doch diese Angebote sind nicht attraktiv genug, um starre Bedingungen durchzuboxen.
Um Zugang zum Binnenmarkt zu erhalten, bietet Brüssel beispielsweise Verhandlungen über sogenannte vertiefte und umfassende Freihandelsabkommen an. Der Deal lautet: Die EU öffnet ihren Markt teilweise, wenn die Nachbarn ihre Rechtsvorschriften dem Europarecht angleichen. Das wäre durchaus interessant, wenn die EU auch Bereiche wie den Agrarsektor stärker einbeziehen würde. Gleichzeitig müssten die Nachbarstaaten ihre eigenen Märkte für europäische Produkte öffnen und wären somit der starken europäischen Konkurrenz ausgesetzt. Und auch die finanziellen und politischen Kosten einer Rechtsangleichung sind hoch – vom Umbau ihrer Verwaltung bis zur Streichung von Lebensmittelsubventionen. In den Erweiterungsstaaten wurden unpopuläre Reformen gegenüber der Bevölkerung häufig damit gerechtfertigt, dass sie für den EU-Beitritt nötig seien. Dies funktioniert in den südlichen Nachbarstaaten nicht.
Die für viele der südlichen Nachbarn zentralen Bereiche Privatinvestitionen und Tourismus können von der EU hingegen kaum konditioniert werden. Touristen und Wirtschaftsunternehmen haben ein Interesse an Stabilität und Sicherheit. Die Regierungsform und die Einhaltung von Menschenrechten spielt für sie, wenn überhaupt, nur eine zweitrangige Rolle.
Die interessantesten Anreize bleiben daher Finanzhilfen. Viele der südlichen Nachbarn sind aufgrund ihrer erheblichen Budgetdefizite stark darauf angewiesen. Seit dem Beginn der Umbrüche in der arabischen Welt hat die EU ihre Hilfen zwar leicht erhöht, doch angesichts der Summen, die insbesondere aus den Golfstaaten in die Region fließen, wird klar, dass dies nicht ausreicht.
Darüber hinaus wird die EU in ihrer südlichen Nachbarschaft nur bedingt als Modell gesehen. Als die Menschen in Kairo und Tunis auf die Straße gingen, hatten sie keine Demokratie nach europäischem Vorbild im Sinne. Anders als bei den Farbrevolutionen in Osteuropa wurden keine EU-Flaggen geschwenkt. Sicher sind viele der Forderungen der Demonstranten – Rechtstaatlichkeit, Parteienwettbewerb, Abschaffung von Folter – zentrale Elemente westlicher Demokratien. Gleichzeitig betonen alle politischen Lager, dass sich in den arabischen Staaten eine eigene Form der Demokratie entwickeln müsse, die den kulturellen und religiösen Gegebenheiten gerecht wird.
Hinzu kommt, dass die EU in den südlichen Nachbarstaaten nur ein Akteur unter vielen ist. Noch immer wird sie vorrangig als wirtschaftlicher Akteur betrachtet, mit dem man zwar gerne Handel treibt, dessen politischer Einfluss jedoch als gering eingeschätzt wird. An der östlichen Peripherie wiederum wurde Europa auch deshalb als Modell angesehen, weil die Hinwendung nach Europa die einzige Alternative zur Abhängigkeit von Russland zu sein schien. Im südlichen und östlichen Mittelmeerraum konkurrieren jedoch zahlreiche externe Akteure um Einfluss, darunter die Golfstaaten, die USA, die Türkei, der Iran oder Russland. Dies hat sich seit den Umbrüchen noch verstärkt.
Als beispielsweise die Gespräche über einen Kredit zwischen Ägypten und dem Internationalen Währungsfonds ins Stocken gerieten, sprangen kurzerhand die Golfstaaten ein. Als die USA ihre Militärhilfen zurückschraubten, brachte sich Russland mit einer militärischen Kooperation in Stellung. Marokko und Jordanien wiederum wurde eine Mitgliedschaft im Golf-Kooperationsrat angeboten.
Was ist die Alternative?
Brüssel sollte in erster Linie seine Finanzmittel signifikant erhöhen und versuchen, die kulturelle Bindung zu den südlichen Nachbarn zu verbessern. Von Brüssel getätigte Versprechen dürfen keine leeren Phrasen bleiben, und auch die eigenen Interessen sollten offener und geschlossener kommuniziert werden. So kann eine Vertrauensbasis geschaffen werden, die die Position Europas in der Region stärkt. Die bisherige Praxis, dass die Mitgliedstaaten unterschiedliche Strategien verfolgen, schwächt den Einfluss Europas zusätzlich.
Geld, Marktzugang und Mobilität können durchaus auch außerhalb des Konditionalitätsprinzips als Kooperationsfelder bestehen bleiben. Wenn es Brüssel jedoch darum geht, die Nachbarn zu unterstützten, sollte es dringend prüfen, welche Elemente seiner Hilfen dies tatsächlich tun. Bisher sind viele Maßnahmen mehr an den europäischen denn an den Bedürfnissen der südlichen Nachbarn ausgerichtet.
So edel die Absichten hinter dem Konditionalitätsansatz sein mögen und so wünschenswert ein Gelingen ist, muss die EU sich doch eingestehen, dass er in der südlichen Nachbarschaft nicht funktioniert. Brüssel muss erkennen, dass die nichtdemokratischen Regime in der Region nicht durch Druck zu Reformen zu bewegen sind und der politische Einfluss Europas sehr begrenzt ist. Gleichzeitig muss die EU sich vor Augen führen, was passiert, wenn sie ihre Kooperation mit den nordafrikanischen und nahöstlichen Staaten zurückfährt. Dann werden andere Länder an die Stelle der Europäer treten: Ist es besser, wenn die Golfstaaten Finanzierungshilfen im Bildungsbereich übernehmen? Sollten lieber China und Russland im Sicherheitsbereich mit den nordafrikanischen und nahöstlichen Staaten zusammenarbeiten?
Die auf Konditionalität setzende Politik der EU soll dazu dienen, die Normen und Werte der EU in den Nachbarländern durchzusetzen. Eine Abkehr von diesem Ansatz sollte gleichwohl nicht bedeuten, dass fortan jegliches normative Moment aus der europäischen Außenpolitik verschwindet. Die EU darf mit Autokraten nicht genauso umgehen wie mit demokratischen Regierungen. Dass es nicht ratsam ist, Waffen an Regime zu liefern, die damit die Opposition unterdrücken, versteht sich von selbst. Es bedarf keiner programmatischen Konditionalität, um Kritik an Fehlentwicklungen zu üben, Regierungstreffen abzusagen oder Botschafter einzubestellen. Brüssel muss darauf achten, dass seine Finanzmittel nicht als Budgethilfen für autoritäre Herrscher dienen, sondern der Bevölkerung zugute kommen. Dies sollten normative Komponenten einer verantwortungsvollen, ehrlichen und gleichzeitig realistischen Außenpolitik sein, die auch ohne Konditionalität für ihre Werte einsteht.
Christian Achrainer ist Ägyptenexperte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP, www.dgap.org) in Berlin. Zurzeit hält er sich für einen Forschungsaufenthalt in Kairo auf.
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