- West-Milliarden für die Mafia
Auf korrupte Eliten folgen in Krisenländern oft: korrupte Eliten. „Die sind nun mal so“ ist das fatale Mantra einer solchen Realpolitik
Es geht um Business“, klärt Mafiaboss Tony Soprano seine Psychoanalytikerin Dr. Melfi auf. Und: „Wir sind Soldaten!“, fügt er lässig hinzu. Am Ehrenkodex von Wirtschaft und Armee will der Pate der genialen amerikanischen Fernsehserie „The Sopranos“ seine Geschäfte messen. Ob es um Geldwäsche geht, um Bordelle, Spielcasinos, Erpressung oder Drogenhandel, vor seinen wie vor den Augen der anderen möchte Soprano ein Ehrenmann sein. Sohn und Tochter in der Villa mit Pool sollen gefälligst nicht fluchen, ihre Schulaufgaben erledigen, sparsam sein, auf ein gutes College gehen. Nachts lässt Papa illoyale Kompagnons oder säumige Schutzgeldzahler gewaltsam beseitigen, tags bewegt er sich auf dem Parkett der Bürgerlichkeit, geht als guter Katholik zur Kirche, grillt im Garten Steaks für die Nachbarn und sucht privat Rat auf der Couch.
Vielleicht speist sich die Faszination der Kultserie aus der Tatsache, dass kaum je so klug und klar die kleinen und großen Gesten des Missbrauchs von Macht und des Vortäuschens von Vertrauenswürdigkeit inszeniert wurden. Wer die Sopranos jetzt sieht oder wiedersieht, erkennt ihre Halbwelt auf der halben Welt wieder. Ihr Selbstentwurf scheint vieles zu spiegeln, was derzeit auf der großen Bühne gespielt wird.
Ukraine und Russland instrumentalisieren Emotionen
Wem sollen, wem können Demokraten noch trauen, etwa in Ägypten, Syrien, Russland, der Ukraine? Zu oft folgen auf vielversprechende Aufstände und Demonstrationen zwielichtige, korrupte neue Eliten, neue Kleptokraten, bürgerlich gewandete Mafiosi, denen es um Gaspreise, Öl, Bodenschätze, Immobilien und andere Pfründen geht; Leute, die für ihre Zwecke keine Mittel scheuen.
Ägyptens neuer Justizapparat fällte jüngst serienweise pauschale Todesurteile, öffentlich geplant wird staatlich sanktionierter Massenmord, auch wenn die Urteile vermutlich noch aufgehoben werden. In Syrien, wo der erschreckendste Konflikt der Gegenwart tobt, bekämpfen Kontrahenten einander, für die Partei zu ergreifen weder auf der einen noch auf der anderen Seite sinnvoll scheint.
Russlands lupenreiner Putin annektiert ein Stück Ukraine, russische Massen bejubeln die Tat. Auf Kiews zentralem Platz versammelten sich die Demokraten der Ukraine, an die Macht kommen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit bald politische Emissäre aus dem Parallelkosmos der Oligarchen, den Sopranos der postsowjetischen Sphäre. Antisemitismus existiert in Russland wie in der Ukraine, dass beider Protagonisten ihn einander vorwerfen, stellt nichts weiter dar, als das Instrumentalisieren von Emotionen, „westlicher“ Emotionen zumal. Viele der besten Köpfe aus den genannten Ländern wählen das Exil, landen in Haft oder im gesellschaftlichen Abseits.
Die zynischen Geldgeber scheuen Konfrontation
Noch irrer aber scheint, dass die mafiösen Strukturen und die kognitiven Dissonanzen, mit denen sie verschleiert werden, von den demokratischen Akteuren – etwa europäische Organe in Brüssel, Internationaler Währungsfonds – weitgehend ignoriert werden. Milliarden westlicher Steuergelder sollen fließen, um Systeme zu stabilisieren, die sich noch keinen Millimeter weit bewährt haben. Als seien fiskalische Augiasställe, homophobe Medien, mordgierige Gerichte und räuberische Wirtschaftsverhältnisse eine Normalität, mit der es sich zu arrangieren gälte. „Die sind nun mal so“ ist ein fatales Mantra solcher Politik, gemäß dem beliebten Diktum von Deutschlands Ex-Kanzler Gerhard Schröder: „Die brauchen eben ihre Zeit“, wenn er von Putins autokratischem Russland spricht.
De facto signalisiert solche Akzeptanz, selbst wenn da und dort ein paar Rüstungsgüter weniger geliefert werden, dass die Geldgeber aufrichtige Konfrontation scheuen oder doch transparente Kontrollinstanzen, die die Pfade der offerierten Geldtransfers ausleuchten. „Dream baby dream“, sang Bruce Springsteen in einem anderen, romantischen Kontext. Ähnlich, doch dabei zynisch gemeint, wird denen geantwortet, die beunruhigt und alarmiert sind von einer Realpolitik, die nicht antritt, Realität neu zu gestalten, sondern bequem oder zynisch zu verwalten.
In zwei, drei Jahren werden die aktuell aufgewühlten Länder anders aussehen, äußerlich befriedeter, das bleibt sicherlich die Hoffnung. Aber wundern wird man sich dann nicht dürfen, wenn beim Staatsbesuch von dort ein Tony Soprano nach dem anderen auf dem roten Teppich erscheint. Der hält dann die Hand auf und will noch mehr Schutzgelder. Und er lächelt so weltläufig. Und er lügt so schön.
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