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Atommacht Iran - Bombardieren oder besser nicht?

Die öffentlichen Äußerungen des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu zur Frage einer atomaren Bewaffnung des Iran lassen nicht den geringsten Zweifel: Eine iranische Atombombe ist eine existenzielle Bedrohung für Israel, die der jüdische Staat nicht dulden kann.

„Wir werden es nicht zulassen, dass ein Holocaustleugner einen zweiten Holocaust begeht“, sagte er anlässlich des israelischen Holocaust-Gedenktages im vergangenen Jahr und meinte damit die Vernichtungsdrohungen des iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Das sei, so Netanjahu, „die ultimative Verpflichtung des israelischen Staates und meine als Premier“.

Ein solch entschlossenes Bekenntnis lässt nur einen Schluss zu: Israel wird alles versuchen, um den Bau einer iranischen Atombombe zu verhindern – auch mit militärischen Mitteln.

Diese Schlussfolgerung wird von Präzedenzfällen gestützt. In den vergangenen dreißig Jahren hat Israel bereits zweimal Atomanlagen seiner Feinde zerstört. Am 7.Juni 1981 bombardierten israelische Kampfflugzeuge den Atomreaktor Osirak in der Nähe von Bagdad. Es war ein klassischer Erstschlag, der den irakischen Diktator vom Bau der Atombombe abhalten sollte. Gegen alle innenpolitischen Widerstände durchgesetzt und befohlen hatte diese Aktion der damalige Regierungschef Menachem Begin, ein Mann, der zutiefst vom Holocaust geprägt war. „Nie wieder“, lautete sein Credo, das heute auch von Netanjahu zu hören ist. Daraus entstand die sogenannte Begin-Doktrin. Sie besagt im Wesentlichen, dass Israel es nicht zulassen wird, dass im Nahen Osten eine weitere Atommacht entsteht, die das Land existenziell bedrohen könnte. Im September 2007 kam diese Doktrin ein zweites Mal zur Anwendung.
Kampfjets der israelischen Armee zerstörten einen noch in Bau befindlichen syrischen Nuklearreaktor.

Dennoch gibt es einige wesentliche Unterschiede zwischen beiden Militäraktionen. Der irakische Reaktor „Osirak“ wurde in einer Geheimaktion zerstört, von der Israel nicht einmal seine engsten Verbündeten, die USA, unterrichtete, für die es aber offiziell die Verantwortung übernahm. Beim Angriff auf Syrien informierte Israel die USA wenige Stunden vor der Aktion; später hat Jerusalem die Verantwortung für den Angriff weder übernommen noch abgestritten.

Israels Selbstwahrnehmung – und dessen Image im Ausland – wurde zutiefst von diesen beiden erfolgreichen Operationen geprägt: Man glaubt nur zu gern, dass die israelischen Streitkräfte durchführen können, was sie sich vorgenommen haben und dass israelische Regierungen, gleichgültig welcher Couleur, willens sind, kühne und riskante Entscheidungen zu treffen. Einige Politiker und leitende Militärs sind so Gefangene ihres eigenen Mythos geworden.

Während die Reden von einem Militärschlag entschlossener klingen, wächst gleichzeitig der Realitätssinn israelischer Politiker und Militärs. „Off the record“ klingen sie wesentlich vorsichtiger. Sie verstehen die Komplexität des Nahen Ostens, die operativen Schwierigkeiten eines solchen Militärschlags sowie die wirtschaftlichen und strategischen Folgen eines möglichen Krieges mit dem Iran. Bestes Beispiel für diesen neuen Realitätssinn ist General Relik Schafir. Der 56-Jährige, der am Angriff auf den irakischen Atommeiler beteiligt war, weiß, was Israel zu leisten vermag und was nicht. „Die Iraner haben die Lehren aus unserem Angriff auf den irakischen Kernreaktor gezogen“, sagt er. „Anders als der Irak, dessen Atomprogramm in einem einzigen Reaktor konzentriert war, hat der Iran seine Nuklearanlagen im ganzen Land und zum Teil außerhalb der Reichweite Israels verteilt.
Zudem befinden sich ihre Einrichtungen in unterirdischen Bunkern und sind dadurch geschützt.“ Auch Gabi Aschkenasi, der Generalstabschef der israelischen Streitkräfte, und Verteidigungsminister Ehud Barak, die bei der Entscheidung, den syrischen Reaktor zu bombardieren, eine Schlüsselrolle gespielt hatten, sind äußerst skeptisch hinsichtlich eines israelischen Militärschlags gegen den Iran. Was Israels Sicherheitsinteressen betrifft, stellt sich jenseits plakativer Rhetorik immer noch vor allem eine entscheidende Frage: Wird Israels Handeln grundlegende amerikanische Interessen verletzen?

Die Antwort ist eindeutig. Barack Oba­mas Regierung will nicht, dass Israel den Iran angreift. Washington entsandte seit Obamas Amtsantritt zahlreiche Diplomaten, um Netanjahu mehr als deutlich wissen zu lassen, dass ein solcher Angriff gegen die Interessen der USA verstoßen würde.

Warum stellen sich die USA und EU neuerdings so vehement gegen eine militärische Option? Dafür gibt es mehrere Gründe: Ohne Zweifel würde Teheran versuchen, Raketenangriffe gegen amerikanische Militäreinrichtungen im Irak, in Afghanistan, Saudi-Arabien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten durchzuführen, die größten Schaden anrichten könnten. Ein Militärschlag könnte den gesamten Nahen Osten in Unruhe versetzen, weltweit Solidaritätsdemonstrationen sunnitischer Muslime für den schiitischen Iran auslösen und die prowestlichen Regime in Saudi-Arabien, Jordanien, Ägypten, Bahrain und im Irak gefährden. Zudem hat das iranische Regime unmissverständlich klargemacht, dass es die Ölversorgung vom Persischen Golf durch die Straße von Hormus lahmlegen wird. Fast 40 Prozent des weltweit auf See transportierten Öls fließt durch die Meerenge. Würde der Iran im Falle eines Angriffs diese existenzielle Wasserstraße verminen und hermetisch abriegeln, würde dies die Weltwirtschaft ins Chaos stürzen, der Ölpreis könnte auf 200 US-Dollar pro Barrel steigen.

Die fieberhafte Reisetätigkeit amerikanischer Diplomaten nach Israel hat aber auch weniger sichtbare Gründe: Israel wird als eine Art „bad cop“ gegen Russland, China und den Iran eingesetzt. Sollten Russland und China verschärften Sanktionen gegen den Iran nicht zustimmen, so deuten die USA an, würde Israel eben zuschlagen.

Israel spielt also wieder einmal die Rolle des gefürchteten Rabauken im Nahen Osten, dem man alles Mögliche zutraut – aber der tief im Innersten weiß, dass es eine unüberbrückbare Kluft zwischen seinem Image und seinen tatsächlichen Fähigkeiten gibt. Offiziell behaupten israelische Politiker und Militärführer immer noch, dass „keine Option vom Tisch ist“. Innoffiziell gestehen sie ein, dass die militärische Option keine ist.

Was aber, wenn die USA doch grünes Licht für einen israelischen Militärschlag geben würden? Dann müsste Israel vier wesentliche Aspekte bedenken: die Qualität seiner Geheimdienstinformationen, seine operativen Möglichkeiten, die regionalen und internationalen Auswirkungen und die Möglichkeit einer Vergeltung des Iran.

In den vergangenen Jahren hat Israel immer genauere Informationen über das iranische Nuklearprogramm sammeln können. Die Infiltration der mit dem Atomprogramm beschäftigten iranischen Einheiten wurde verstärkt. Immer mehr Agenten liefern immer bessere Informationen, man hat wesentliche Kommunikationsstränge abgehört, sich in Computersysteme eingehackt und Codes entziffert. Die Koordination und Kooperation zwischen Mossad und befreundeten Diensten mit Zugang zum Iran wie der CIA, dem MI6 und dem BND wurde intensiviert; nicht nur hat man damit Versuche des iranischen Geheimdienstes vereitelt, in Spanien, der Schweiz, in Österreich, Deutschland, China, Taiwan, Kasachstan und Aserbaidschan an wesentliche Bestandteile für Irans Atomprogramm heranzukommen. Diese Kooperation führte auch zur Gründung von „Scheinfirmen“, die dem Iran sabotierte Einzelteile verkauften und damit einige der atomaren Einrichtungen schädigen konnten.

Mossad und CIA konnten einige iranische Wissenschaftler und hohe Beamte zum Überlaufen überreden und sich somit wertvolle Informationen verschaffen. Trotz einiger Erfolge konnte Mossad-Chef Meir Dagan aber das Versprechen, das er bei seinem Amtsantritt 2002 gemacht hatte, bis heute nicht einlösen: nämlich das iranische Nuklearprogramm zu verhindern. Es ist höchstens verzögert worden.

Will man es wirklich stoppen, dann sind nicht Israels Geheimdienste das geeignete Mittel, sondern nur Israels Luftwaffe (IAF). Aber auch sie hat nur eine begrenzte Leistungsfähigkeit. Wie will sie in den Iran fliegen, ohne entdeckt zu werden? Drei Routen sind denkbar, und alle drei sind heikel. Über Jordanien und den Irak zu fliegen, wäre der kürzeste Weg, würde aber genaue Abstimmung wenigstens mit den USA erfordern, die den Luftraum kontrollieren. Die Route über Saudi-Arabien wäre die längste, weshalb weniger Bomben geladen werden könnten. Der Weg über die Türkei und Syrien ist der gefährlichste; beide Staaten würden die Verletzung ihres Luftraums nicht hinnehmen und unterhalten zudem gute Beziehungen zum Iran, den sie vermutlich warnen würden.

Selbst wenn diese Probleme gelöst wären, könnten nicht mehr als 120 Kampfflugzeuge und Jagdbomber beteiligt werden, die höchstens je zwei Einsätze fliegen könnten.
Israel aber verfüge gar nicht über die strategische Möglichkeit, weit entfernte Ziele mit der erforderlichen Intensität zu bombardieren, sagt Brigadegeneral Relik Schafir. „Dafür würden Langstreckenbomber benötigt, die sogenannte Bunker Buster transportieren und ein Flächenbombardement ausführen können.“ Bunker Buster, die Israel von den USA zur Verfügung gestellt wurden, könnten aber die Atomanlagen nur beschädigen, nicht vollständig zerstören.

Hinzu kommt: Der Preis eines Krieges mit dem Iran wäre enorm für die israelische Zivilbevölkerung. Alle Szenarien von Experten und Militärstrategen gehen davon aus, dass der Iran im Fall eines Militärschlags massiv Vergeltung üben wird. Teheran würde vermutlich städtische Ballungszentren, Militärstützpunkte oder den Forschungsreaktor in Dimona angreifen; die mit Iran verbündete libanesische Hisbollah könnte nordisraelische Städte attackieren; auch Syrien könnte in den Konflikt gezogen werden. Auch wäre Iran in der Lage, Agenten zu entsenden oder Schläferzellen zu aktivieren, die weltweit Attentate auf israelische und jüdische Einrichtungen begehen könnten.
Geheimdienstexperten mögen davon überzeugt sein, dass Irans Möglichkeiten, in Israel selbst großen Schaden anzurichten, begrenzt sind. Die israelische Öffentlichkeit jedoch sieht das anders.

Und die arabischen Staaten wie Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien, Irak oder die Vereinigten Arabischen Emirate, die einen atomar bewaffneten Iran und damit eine schiitische Vormacht im Nahen Osten fürchten und insgeheim hoffen, dass Israel dieses Szenario noch verhindern könnte? Sie werden eine öffentliche Unterstützung einer solchen Aktion scheuen und ihren Luftraum gewiss nicht für israelische Bomber öffnen.
Israel wird also die Möglichkeit eines atomar bewaffneten Iran in Betracht ziehen müssen. Mit einem nuklear bewaffneten Iran aber würde eine neue Realität im Nahen Osten geschaffen. Einige sunnitische arabische Staaten und die Türkei könnten ebenfalls nukleare Ambitionen entwickeln. Bereits jetzt gibt es erhöhtes Interesse an der zivilen Nutzung der Atomkraft – und dass es von der friedlichen zur militärischen Nutzung der Atomkraft nur ein kleiner Schritt ist, hat Pakistan bereits bewiesen. Ein Naher Osten mit mehreren Atommächten wird die instabilste und gefährlichste Region der Erde sein – viel gefährlicher als heute.

Das Dilemma, dem sich Israel und die internationale Gemeinschaft gegenübersehen, lautet: Bombardieren oder nicht? Es wird die existenzielle Entscheidung sein, die eine israelische Regierung zu treffen hat. Und es ist keine Entscheidung zwischen gut und besser, sondern zwischen schlecht und am schlechtesten.

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