- Auf der Suche nach dem Katasteramt
In vier Jahren Griechenland-Krise hat sich nichts an der Aktualität dieses Textes getan: Die griechische Misere erklärt sich mit dem Katasteramt. Wer ein solches sucht, wird bis heute nicht fündig. Diese Odysee sagt mehr über das Land als alle Troika-Berichte
Vangelis Samaras, 75, stämmig, Hände wie Schaufeln, sitzt unter dem Feigenbaum und schaut zu, wie Mais und Bohnen auf seiner Parzelle wachsen. Die Bewässerungsanlage zischt, alles sprießt auf dem Acker unweit seines Hauses in Krieza, einem 500-Seelen- Dorf auf der Insel Euböa. Acker hat Samaras viel. Land, auf dem er Gemüse anbaut, auf dem Olivenbäume und Wein wachsen, Land, das wie Saatkorn verstreut auf Hügeln, in Tälern, am Meer und auf einem Berg liegt, wo er, Vangelis Samaras, Ex-Bauunternehmer und heute Rentner, Gott zu Ehren eine Kapelle erbauen ließ. Es ist Land, das er geerbt und im Laufe der Zeit hinzugekauft hat. Insgesamt fünf Hektar, vielleicht auch mehr, so genau weiß das Vangelis Samaras nicht.
Auch in Athen hat er Grund und Boden. Es ist ein Grundstück im Stadtviertel Egaleo, 400 Quadratmeter groß. „Ich fuhr nach Egaleo, um darauf ein Haus zu bauen und kam aus dem Staunen nicht heraus“, erzählt er. Auf seinem Grundstück, das jahrelang brachlag, hatte ein Nachbar einen Zaun gezogen, zehn Meter lang, zwei Meter breit, weil er Platz für seine Hühner brauchte. Nun beanspruchte der Nachbar den Streifen für sich. Streit brach aus. Die Polizei wurde gerufen. „Zum Glück ersannen die Beamten eine findige Lösung“, sagt Vangelis Samaras. Sie schlugen ihm heimlich vor, ihn und den Nachbarn anderntags zu verhaften, sodass die Bauarbeiter in Ruhe den Hühnerzaun niederreißen und das Fundament für das Haus legen können. Das war 1966. Geändert hat sich seither wenig.
Ein Heer von Rechtsanwälten, Notaren und Richtern beschäftigt sich mit Streitigkeiten um Grund und Boden. Das Dickicht aus Besitztitel, Erwerb von Immobilien, Bau- und Immobilienrecht ist so verworren wie die griechische Mythologie. Hinzu kommt die enge Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Kirche. Vor einigen Jahren besuchten zwei Mönche aus dem Kloster Vatopedi die Chefetage des Finanzministeriums. Sie wollten einen angeblich vor tausend Jahren von byzantinischen Kaisern vermachten, heute wertlosen See gegen teure staatliche Grundstücke in Athen tauschen (Cicero 12/2011). Trotz erheblicher Zweifel an der Urkunde klappte der Deal. Die Mönche gründeten einen Immobilienfonds. Aus dem Nichts sackten sie zig Millionen Euro ein, während der Staat das Nachsehen hatte.
Nahezu jeder Grieche besitzt ein Grundstück, ein Haus, eine Wohnung. Ein Eigenheim ist so selbstverständlich wie die Taufe. Doch Griechenland ist der einzige Staat innerhalb der EU, in dem es nach wie vor kein flächendeckendes Kataster gibt, also eine Liegenschaftskarte sämtlicher Immobilien und Flurstücke eines Landes. Größe, Lage, Nutzung, Art, Eigentümer, alles ist bis ins letzte Detail erfasst und kartografiert. Es ist die Bemessungsgrundlage der Grundsteuer. Es ist die Voraussetzung einer urbanen und ruralen Entwicklung eines Staates. Es dient der Nutzung und dem Schutz von Wald, Seen, Flüssen. Es bewahrt vor Willkür und Korruption. Ohne ein Kataster investieren keine Unternehmen. Ohne ein Kataster fließen keine Agrarsubventionen. Es ist die Bedingung für eine funktionierende Marktwirtschaft. Gut 20 Prozent des Bruttosozialprodukts hängen unmittelbar mit Grund und Boden zusammen.
Seit 1830, seit der Anerkennung seiner Souveränität, hat Griechenland keinen Überblick darüber, was sein ist. Größe und Wert seines Staatseigentums verlieren sich im Ungefähren. Es kennt nicht seinen Grund und Boden, nicht seine Küste, Berge, Seen, nicht seine Gebäude und auch nicht seinen Wald, obgleich die Verfassung ein Waldkataster vorschreibt. Es weiß nicht, wo sein Eigentum beginnt und wo es endet. Immer wieder wurde versucht, das Land zu kartografieren. Man vermaß Ländereien, Weinfelder, ein paar Waldgebiete. Aber immer wieder stockte die Arbeit und blieb liegen. Einzig auf den Dodekanes gibt es ein Kataster. Die Inseln waren in italienischer Hand. Die Geschichte des griechischen Katasterwesens ist die Geschichte eines Staates, der geformt wurde von Abertausenden Einzelinteressen, die sich wie Bäche zu einem Mahlstrom vereinten und alles mit sich rissen, was auf dem Weg lag.
Seite 2: Auf eine Million wird die Zahl der Schwarzbauten geschätzt
Geschätzte 180 000 Hektar Land sind illegal in Besitz. 300 000 Gebäude sind ohne Eigentümer. Wälder verschwinden. Es wird gebaut, was das Zeug hält. Auf Bergen, in Wäldern und am Strand schießen Ferienhäuser aus dem Boden; die Kykladen ertrinken im Zement. Und das trotz oder gerade wegen der 4000 Gesetze und ministerialen Beschlüsse, die den Immobilienbesitz regeln. Auf eine Million wird die Zahl der Schwarzbauten geschätzt. Bauten, die an das staatliche Strom- und Wassernetz angeschlossen sind. Bauten, die es nicht gäbe, existierte ein Kataster. Doch für alles finden sich Lösungen. Alle Jahre wieder erlässt der Staat eine Amnestie und füllt so seine Kassen auf. Der Bürger legalisiert seinen Schwarzbau. Und wer noch nicht gebaut hat, der kann es auch weiterhin schwarz tun, denn die nächste Amnestie kommt gewiss. Besonders gewieft ist die Antragstellung auf Legalisierung von Schwarzbauten, die noch gar nicht gebaut worden sind.
Seit Jahren fordert die EU den Verkauf von Staatsimmobilien und die Privatisierung staatlicher Firmenbeteiligungen. Im Zuge der Finanzkrise willigte die Regierung unter Jorgos Papandreou ein und kündigte einen Erlös von 50 Milliarden Euro an. Doch wie sollen Häfen, Grundstücke, Gebäude und Betriebe verkauft werden, wenn Eigentumsrechte unklar sind? Wie kommt es, dass ein Staat, der seit 182 Jahren unabhängig und seit 31 Jahren Mitglied der EU ist, sein Vermögen verwaltet wie eine Studenten- WG? Alles, was bis heute existiert, sind 400 Grundbuchämter, die so aufgebaut sind wie vor 180 Jahren.
Konstantinos Bibikas, 72, ein freundlicher Herr mit sanfter Stimme, ist Leiter eines solchen Grundbuchamts. Es liegt zwischen Autowerkstätten im zweiten Obergeschoss eines Neubaus in der Kleinstadt Aliveri auf Euböa. Es ist ein kleiner Raum mit Wandregalen, vollgestopft mit Ordnern und schweren Büchern, die so groß sind wie Atlanten. Ein Ventilator durchschneidet die heiße Luft. Zwei Rechtsanwälte sitzen über Büchern und machen Notizen. „Die ersten Grundbücher wurden 1836 unter Otto I eingeführt“, erklärt Konstantinos Bibikas. Sie dienten der Vergabe von Hypotheken an Privatpersonen und Körperschaften. Vom Grundbuch explizit ausgeklammert waren staatliche Immobilien. Die Wirtschaft musste angekurbelt, Geld in Umlauf gebracht werden. Kapital war knapp. Kaum gegründet, war der neue Staat bereits hoch verschuldet. König Otto I hatte als Antrittsgeschenk von den Großmächten zwar eine Garantie für eine Anleihe über 60 Millionen Francs mitgebracht. Doch das Geld zerrann dem Staat in Windeseile. Nicht einmal die Zinsen konnte Griechenland aufbringen. Wurden Truppen zum Eintreiben von Steuern losgeschickt, griffen die Untertanen zu den Waffen.
Der neue, nach französischem Vorbild zentralisierte Staatsapparat und die importierten Ideen der Aufklärung waren nicht kompatibel mit dem jahrhundertealten Verständnis von Machtausübung und patriarchalem Klientelwesen der Bürger. Griechenland ist Heimat, Stolz, Identifikation. Der neue Staat dagegen ist ein aufoktroyiertes Konstrukt der Großmächte, des Westens, dem man schon seit Byzanz misstraut. So wurde aus dem neuen Griechenland fremdes Territorium, das man als Eroberer in der Gestalt eines Sekretärs, Bürgermeisters, Ministers betritt, es plündert und die Beute in den sicheren Hafen der Familie bringt. Ein Modus vivendi, der noch heute gilt.
Seite 3: Mit dem Abzug der Türken entstanden unklare Besitzverhältnisse
Die Zentralregierung in Athen schaffte es nicht, die Macht der lokalen Clans zu brechen. Graf Kapodistrias, der erste Ministerpräsident, wurde 1831 von Großgrundbesitzern erschossen. Ein neuer, von Fremdherrschaft befreiter Staat einigt kein Volk, und eine politische Neuordnung ändert nicht den Menschen. Mit dem Abzug der Türken entstanden unklare Besitzverhältnisse. Riesige Ländereien wurden umverteilt, die im Grunde jeder für sich beanspruchen konnte: arbeitslos gewordene Revolutionäre, die Kirche, Clans, Politiker. Und immer wieder verschoben sich die Staatsgrenzen. Griechenland wuchs bis 1947. Erst dann lag das Staatsgebiet endgültig fest. An einer genauen Klärung der Eigentumsrechte der riesigen Nationalgüter war unter den politischen und wirtschaftlichen Wirren kaum zu denken. Der Aufbau eines Katasters wurde auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verlegt. Indem der Staat drängende Rechtsfragen unter den Teppich kehrte, hielt er seine Wähler bei Laune, und die besitzenden Schichten blieben gefügig.
„Und heute zahlen wir die Zeche“, sagt Konstantinos Bibikas. „Nichts ist so, wie es sein sollte. Kaum ein Eintrag im Grundbuch entspricht der Wirklichkeit.“ Oder er ist schwammig formuliert und damit unbrauchbar. Das Grundbuchamt Aliveris ist ein Archiv aus Verträgen und Büchern, die Personennamen, Erfassungsdatum, Art und Ort der Immobilie, Art der Transaktion und Angaben zu Hypotheken und Pfändungen enthalten. Digitalisierte Grundbücher gibt es nicht. Die ältesten Bücher stammen von 1856. Sie enthalten handschriftliche Kopien der Kaufverträge, niedergeschrieben von Gymnasiasten für eine Mahlzeit. Manche Einträge sind zum Schmunzeln: „Das erworbene Grundstück liegt zwischen dem von Dimitris Raptis und Janis Makridis“, „Das Grundstück erstreckt sich vom Olivenbaum an der Kirche bis zum Hügel“. Alle Grundbücher sind personenbezogen. Eine Suche nach Grundstücken oder dem Eigentümer bestimmter Grundstücke ist somit unmöglich.
[gallery:Eine kleine Geschichte des Euro]
Im Grunde genommen ist das griechische Grundbuchamt ein öffentliches schwarzes Brett, an das Rechte auf Eigentum gepinnt werden, deren Rechtmäßigkeit ungeprüft ist. Denn Eigentumsverhältnisse können aus dem Nichts geschaffen werden. Alles, wessen es bedarf, sind ein Notar und ein Eintrag ins Grundbuch. Land, das früher mittels „dia logou“, das heißt ausschließlich mündlich vererbt oder verkauft wurde, eine noch kürzlich praktizierte Gepflogenheit, verwandelt sich so rechtskräftig in Eigentum. Ebenso Land, das 20 Jahre lang bewirtschaftet wurde und auf dem, wie zum Beweis, Olivenbäume oder Bohnenstangen stehen. Ebenso ungeprüft sind topografische Karten. Sie beschreiben Immobilien und sind Bestandteil eines Kaufvertrags und Voraussetzung einer Baugenehmigung. „In manchen Fällen wurden Ställe im Nachbargrundstück einfach mit vermessen“, sagt Konstantinos Bibikas. Plötzlich hat der Stall zwei Eigentümer. Warum? Weil der Verkäufer vermessen lässt, was er verkaufen will. Doch auch klare Eigentumsrechte schützen nicht vor Überraschungen. Wer ein Grundstück kauft, erwirbt damit noch lange nicht die darauf befindlichen Olivenbäume.
Seite 4: Auch der Staat hält sich nicht an die Gesetze
Aber nicht nur Bürger werden kreativ, wenn es um ihre Interessen geht. Die Stadtgemeinde Aliveri wollte das Rathaus um ein Stockwerk erweitern, aber die dazu nötige Grundstücksfläche reichte nicht aus. Also wies man den Landvermesser an, die Verkehrsstraße als Baufläche in die topografische Karte einzuzeichnen. Prompt erfolgte die Baugenehmigung. So trickst sich der Staat selber aus. Wenn sich aber der Staat nicht an seine Gesetze hält, warum sollten es dann die Bürger tun? Es gibt ein Geflecht von sehr strengen Gesetzen in Griechenland. Und es gibt die jahrhundertealte Gewohnheit, Gesetze zu dehnen, mit ihnen zu spielen, sie nicht anzuwenden, sie zu ignorieren oder, besser noch, Gesetze eigens auf die Interessen einer bestimmten Gruppe oder Person zuzuschneiden. Und das Interesse ist groß. Denn jede Familie ist ein Interessenverband, und jeder Wähler ist seine eigene Lobby.
Konstantinos Bibikas hält nichts von Schummeleien. Er mag Kontrolle, er braucht sie. Damit er über Akti Nireos, das 200 Hektar große Neubaugebiet Aliveris, nicht den Überblick verliert, hat er von Hand ein Büchlein angelegt. Es ist sein Kataster. Es erlaubt ihm, Immobilien und Eigentümer genau zu lokalisieren. Das Neubaugebiet mit Meeresblick umfasst bis jetzt gut 500 Häuser. Fast alle davon wurden nach der Einführung des Euro erbaut. Der riesige Hang, ursprünglich bewaldet, wurde 1967 von zwei Baukooperativen gekauft. Fast jede Berufsgruppe in Griechenland verfügt über eine solche Kooperative. Lehrer, Bankangestellte, Mitarbeiter der halbstaatlichen Stromgesellschaft. Sie erwerben riesige Flächen Bauland, parzellieren und verkaufen es günstig an ihre Mitglieder, und zwar unabhängig vom Beruf. Die Kooperativen reichen zurück bis in die zwanziger Jahre, als 1,5 Millionen Griechen im Zuge eines Bevölkerungsaustauschs aus Kleinasien in ihr Heimatland strömten und die Landflucht zugleich immer mehr verarmte Menschen in die Städte trieb. Wohnraum war nicht vorhanden, und der Staat war zu arm, um welchen zu bauen. Ein Finanzierungsmodell musste her. Die Baukooperativen entstanden. Ganze Stadtviertel in Athen erwuchsen auf diese Weise.
In den Sechzigern explodierte die Anzahl der Kooperativen. Sie verkamen zum Rammbock privater Interessen. Einflussreiche Berufsgruppen, Rechtsanwälte, Notare, Richter, das Militär schufen anstatt fehlenden Wohnraums Ferienhäuser und Villen mit Meeresblick. Manche Baukooperativen verkauften mehr Land, als sie erwarben. Andere erstanden Ländereien mit fragwürdigem Besitztitel. Die Bauwirtschaft boomte. Im Gegenzug verschwanden Wälder, circa eine Million Hektar. So auch in Aliveri. Aber das will heute keiner mehr so genau wissen. Und so genau lässt sich das auch nicht ermitteln ohne Kataster. Es gibt zwar Luftaufnahmen aus dem Jahr 1945. Aber was damals Wald war, ist heute Bauland – und umgekehrt.
Was einen Wald definiert, ist gesetzlich festgeschrieben. Forstämter können Wald zu Ackerland machen und Ackerland zu Wald. Auch wo er beginnt und aufhört, was also noch Bauland ist und was nicht, liegt im Ermessen der Forstämter. Da liegt es auf der Hand, dass mithilfe eines Briefumschlags oder eines politischen Machtworts sich intakte oder verbrannte Wälder in Bauland verwandeln. Das Fehlen eines Katasters öffnet alle Schleusen. Zuerst rinnen Bäche, kleine Geldsummen an Mitarbeiter von Forstämtern und des Archäologischen Instituts, an Beamte, Makler, Notare, Rechtsanwälte, Landvermesser. Später sind es Ströme, große Geldsummen an Bauunternehmen, Politiker, Architektenbüros, Spekulanten. Für nahezu alles finden sich in Griechenland Lobbys. Nur das Gemeinwohl hat keine.
„Niemand hatte ein Interesse an einem Kataster. Es fehlte der politische Wille“, sagt Apostolos Arvanitis. Er sitzt in seinem Büro im Athener Stadtviertel Agia Paraskevi und blickt zum Fenster hinaus. Was er sieht, ist ein betongewordener Moloch mit vier Millionen Einwohnern, eine Stadt, die so schnell wuchs, dass jede Planung, kaum fertig, bereits überholt war. „Es gibt große Unternehmen, deren Rechte an Grund und Boden nie ganz geklärt wurden“, sagt Arvanitis. Er sagt es vorsichtig, er wägt jedes Wort ab. Apostolos Arvanitis ist seit 2009 Direktor der Ktimatologia AG. Der 54-Jährige steht unter enormem Druck. Er und seine 365 Mitarbeiter erstellen das nationale Kataster. „Wir organisieren ein Land, das unorganisiert ist“, sagt er. Eine Herkulesaufgabe, ein Jahrhundertprojekt, gemessen an dem Dschungel aus illegalen, legalen und halblegalen Eigentumsverhältnissen und dem Desinteresse, Ordnung und Transparenz in den Dschungel zu bringen.
Seite 5: Die Hälfte der vor Bebauung geretteten Waldbestände ist erfasst
Gegründet wurde die Ktimatologia AG 1995, als die Regierung den Aufbau eines Katasters beschloss. Sie gehört dem Ministerium für Umwelt, Raumplanung und öffentliche Arbeiten. 152 Millionen Euro wurden damals in Brüssel für das Pilotprojekt genehmigt. Einige Jahre später war fast alles Geld verbraucht und kaum etwas erledigt. In den Büros saß eine Mannschaft von Akademikern ohne jede Erfahrung. Man glaubte, das Kataster mit Excel, einem Tabellenkalkulationsprogramm, erstellen zu können. Ein Desaster. Der Staat musste Teile der Hilfsgelder zurückerstatten. „So ist halt Griechenland“, erklärte der damals zuständige Minister Kostas Laliotis bei einer Pressekonferenz.
Nun ist das Projekt erneut erwacht. 1,5 Milliarden Euro soll es kosten. 15 000 Kilometer Küste, 3000 Inseln und 132 000 Quadratkilometer Land wurden fotografiert. Ein Drittel der Landesfläche ist in Bearbeitung. Die Umsetzung hinkt dem Zeitplan hinterher. Schuld ist unter anderem die kafkaeske Lage. Im Zuge der Katastererstellung wurden auf Attika Immobilien deklariert, deren Gesamtfläche die Attikas um das Doppelte übersteigt. Wie ist das möglich? Viele Grundstücke im Ausland lebender Griechen wurden gleich von mehreren Nachbarn beansprucht, in der Hoffnung, eigenen Grund und Boden zu mehren. Ein weiterer Grund sind die offiziellen Grundstücksflächen, die meistens größer sind als die tatsächlichen. So konnten Häuser gebaut werden, für die sonst nie eine Baugenehmigung erteilt worden wäre. Ebenso spielen Agrarsubventionen eine Rolle. Je größer die gemeldeten Olivenhaine, desto mehr Gelder fließen. Abenteuerlich auch die Erstellung der Waldkarten. Manche Forstämter weigern sich, dem Katasteramt bereits bestehende Karten auszuhändigen, weil sie um den Verlust ihrer Befugnisse fürchten – und damit um ihren lukrativen Nebenverdienst. Andere können die Karten erst gar nicht anfertigen, weil sie dazu den örtlichen Bebauungsplan benötigen, den die Baubehörde versäumt hat zu erstellen.
Die Hälfte der vor Bebauung geretteten Waldbestände ist erfasst. Sobald eine Waldkarte erstellt ist, muss sie zuerst im Ministerium abgestempelt werden. „Und das dauert“, klagt Dimitris Rokos, 44, Planungsleiter der Ktimatologia AG. „Leider ist unser Unternehmen so flexibel wie eine staatliche Behörde.“ Entscheidungen und Verantwortlichkeiten sind über mehrere Ministerien verteilt. Im Grunde kein Problem. Doch Ministerien konkurrieren und sind untereinander weder koordiniert noch vernetzt. Oft ist nicht klar, wer was in welchem Ministerium tut. Oft fehlt den Mitarbeitern die Kompetenz. Kürzlich noch wussten die Behörden nicht einmal, an wie viele Beamte und Rentner sie Gelder überweisen und ob sie überhaupt noch leben. Nur ein Big Bang könne helfen, den griechischen Staatsapparat zu reformieren, erklärte die OECD. „Die Troika würde unsere Probleme besser verstehen als unsere Behörden“, sagt Dimitris Rokos seufzend.
2020 soll das Kataster fertiggestellt sein. Bis dahin wird um Grund und Boden geschachert, Grenzlinien werden hinund hergeschoben, und die Gerichte werden eine Fülle von Ungereimtheiten klären müssen. Der Aufbau des Katasters ist die letzte Möglichkeit, staatliches Territorium zu besetzen. „Das Kataster wird die Mentalität der Menschen verändern“, hofft Dimitris Rokos. „Transparente Eigentumsverhältnisse. Vereinfachte Baugenehmigungen. Gerechtigkeit. Alle werden profitieren.“ Das Wohl der Gemeinschaft stünde über dem Wohl einzelner Gruppen. Bleibt zu hoffen, dass es die Menschen in Griechenland auch so sehen.
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