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Abdelhamid Abaaoud - Der Drahtzieher des Terrors

Der belgische Dschihadist Abdelhamid Abaaoud soll hinter den Terroranschlägen von Paris stecken. Die französische Staatsanwaltschaft bestätigte am Donnerstag, dass er bei der Razzia in Saint-Denis getötet wurde. Abaaoud war Top-Anwerber des „Islamischen Staates“ und lockte sogar seinen 13-jährigen Bruder nach Syrien

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Ein Heckenschütze hätte vor anderthalb Jahren beinahe das Leben jenes Mannes beendet, der als Drahtzieher der Anschläge von Paris gilt.

Syrien, irgendwo im Gebiet des „Islamischen Staates“. Abdelhamid Abaaoud liegt seit etwa einer Stunde in einem Schützengraben. Der Feind, sagt er in einem Video des Nahost-Medienrechercheinstituts MEMRI, habe Panzer, und schwere Artillerie; er und seine Dschihadisten – rund 50 Personen – aber nur einfache Kalaschnikows, einige Panzerbüchsen und Maschinengewehre. Der Heckenschütze, sagt Abaaoud, „wird mich nicht kriegen, das ist der Wille Allahs. Und wenn er mich bekommt, war es Allahs Willen, sein Schicksal, und dann werde ich zufrieden sein.“

Abaaoud trägt einen grünen Turban und einen schwarzen Oberlippenbart. In der linken Hand hält er ein Sturmgewehr, im Hintergrund sind Feuersalven zu hören.

„Kommt zum Dschihad“


Abaaoud wirkt erschöpft, seine Stimme bricht immer wieder ab. Die Worte, die er in dem wackeligen Video erhebt, sind umso markerschütternder. „Es macht Spaß, das Blut von Ungläubigen rinnen zu sehen“, ruft er. Denn: Er und seine Unterstützer seien aufgewachsen mit Fernsehbildern, „in denen wir seit Jahrzehnten sehen, wie Blut von Muslimen vergossen wird“. Abaaoud ruft: „Kommt zum Dschihad. Erhebt euch, steht auf, macht euch auf den Weg von Allah. Erhebt euch für den Sieg hier und im Jenseits!“

Abdelhamid Abaaoud, 28, Kämpfername Abu Omar Al-Belgiki – „der Belgier“ –, war einer der wichtigsten Rekrutierer des „Islamischen Staates“ in Belgien. Die französischen Ermittler haben ihn am Montag, nach drei Tagen Fahnung, als bedeutendsten Anführer der Pariser Terrorgruppe identifiziert. Lange Zeit hatten Nachrichtendienste ihn in Syrien vermutet. Am Donnerstag bestätigte die Staatsanwaltschaft nun seinen Tod. Er soll bei der Razzia im Pariser Stadtteil Saint-Denis ums Leben gekommen sein.

Schon im Januar soll Abdelhamid Abaaoud Anschläge in Europa geplant haben. Ein belgisches Gericht hatte ihn in Abwesenheit zu 20 Jahren Haft verurteilt.

Abaaoud ist in dem Brüsseler Vorort Molenbeek aufgewachsen. Sein Vater, der aus Marokko stammt und vor etwa 40 Jahren auswanderte, hat dort einen Laden. Die Familie lebt in der Rue de l’Avenir, einem wohlhabenderen Teil Molenbeeks, aus dem zahlreiche andere Islamisten stammen. In diesem Quartier hat die belgische Polizei allein am Sonntag sieben Terrorverdächtige festgenommen. Derzeit fahnden sie auch nach einem weiteren mutmaßlichen Täter von Paris, dem Dschihadisten Salah Abdeslam.

Im Auto mit vier verstümmelten Leichen


Warum sich Abaaoud radikalisierte, ist selbst für seine Familie ein Rätsel. Sein tief traumatisierter Vater sagte, der Junge sei in Belgien einer „Gehirnwäsche unterzogen worden“, um in den Dschihad zu ziehen. Dabei hatte er laut seiner Schwester, die selbst keinen Schleier trägt, nie großes Interesse an Religion gezeigt. Er sei früher nicht einmal in die Moschee gegangen, sagte sie der New York Times. Abaaoud soll sogar auf eine katholische Schule gegangen sein.

Ein Angestellter der Stadt mutmaßte: „Er wurde im Gefängnis in Saint Gilles radikalisiert.“ Die Haftanstalt befindet sich im Süden Brüssels.

Die Propaganda wirkte: Vor zwei Jahren trat Abdelhamid Abaaoud dem „Islamischen Staat“ bei. Sein Charme und seine Brutalität ließen ihn schnell in den Reihen des IS aufsteigen. Er trat in zahlreichen Propagandafilmen auf, brüstete sich mit Gräueltaten, bediente das Netzwerk „Sharia4Belgium“. Ein Video zeigt ihn in einem Auto, das vier verstümmelte Leichen hinter sich herzieht. Mittlerweile leitet Abaaoud eine 32-köpfige Abteilung von Terroranwerbern.

Seine Wut richtet sich gegen die angebliche Unterdrückung von Muslimen in der Welt. In dem Memri-Video sagt er, „die Feinde Allahs und die Feinde des Islams haben sich in der ganzen Welt versammelt, seien es die sogenannten pazifistischen Buddhisten, die die Muslime Asiens auslöschen, köpfen, zerstückeln und essen, oder die Afrikaner in Zentralafrika, die Muslime töten“. Er wettert gegen den Westen, gegen die Schiiten, „die Allah verflucht“. „Sie sind alle versammelt gegen die sunnitischen Muslime, die den Sieg Allahs wollen.“ An die „Tyrannen, deren Soldaten und Bewunderer“ richtet er diese Botschaft: „Möge Allah euch den Rücken brechen, möge Allah euch auslöschen!“

Abdelhamid Abaaoud rekrutierte seinen 13-jährigen Bruder Younes


Im Januar 2014 lockte er auch seinen jüngeren Bruder Younes nach Syrien. Der damals gerade mal 13-Jährige wurde schnell bekannt als „jüngster Dschihadist der Welt“. Auf einem Foto ist der Schuljunge mit einem Turban und einer AK-47-Waffe in der linken Hand zu sehen. Der Vater der beiden Jungs, Omar, erstellte bei der Polizei Anzeige. Abdelhamid Abaaoud wurde wegen Kidnappings verurteilt.

Am 15. Januar 2015, kurz nach den Anschlägen auf die französische Satirezeitung „Charlie Hebdo“ und auf den koscheren Supermarkt, plante Abaaoud sein erstes großes Attentat in Belgien. Mit zwei Komplizen soll er von Syrien eingereist sein, um in Verviers an der Grenze zu Deutschland zuzuschlagen. Ziel sollten Kioske sein, die „Charlie Hebdo“ verkaufen. Die Polizei konnte den Anschlag jedoch vereiteln: Einsatzkräfte stürmten das Versteck der Dschihadisten und töteten zwei Terroristen.

Nach Angaben von Spiegel Online war Abaaoud kurz nach dem versuchten Attentat in Deutschland. Am 20. Januar soll ihn die Bundespolizei am Flughafen Köln/Bonn kontrolliert haben, als er von dort nach Istanbul fliegen wollte. Den Beamten habe er erzählt, er wolle Freunde und Verwandte in der Türkei besuchen und anschließend wieder nach Köln reisen. Doch die Tour zurück erfolgte dann offenbar auf anderen Wegen. In jedem Fall konnte sich Abaaoud wieder nach Syrien absetzen. Laut dem Spiegel-Online-Bericht war der Belgier auch schon 2007 in Köln.

Für die Planung des Anschlags in Verviers hatte Abaaoud ein griechisches Handy benutzt. Die Sicherheitsbehörden konnten das Gerät lokalisieren. In Athen kam es zu einer Razzia. Doch Abaaoud entwischte damals erneut. Im Magazin des „Islamischen Staates“, Dabiq, brüstete er sich damit, einer weiteren Polizeikontrolle entkommen zu sein. „Ich wurde von einem Beamten verhaftet, der mich lange anschaute, um mich mit einem Fahndungsfoto zu vergleichen. Aber er ließ mich gehen, weil er keine Ähnlichkeit feststellen konnte.“ Abaaoud nannte das „ein Geschenk Gottes“.

Nach An

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