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() Theaterregisseurin Andrea Breth
Theaterregisseurin Andrea Breth: „Ich bin jetzt gesund!“

Im Leben nimmt Andrea Breth kein Blatt vor den Mund, auf der Bühne aber lässt sie immer den Dichtern den Vortritt. Die Meisterin des psychologischen Realismus entschlüsselt außer Worte auch Noten – wie demnächst die von Alban Bergs „Wozzeck“ an der Berliner Staatsoper.

Mag sein, dass es im Park von Schloss Belvedere, dort, wo die feudalen Wurzeln Wiens noch ganz an der Oberfläche liegen, irgendwann einen Weg geben wird, der nach Andrea Breth benannt ist. Es müsste aber ein unruhig verlaufender Trampelpfad sein. Denn als die in der Donaustadt lebende Regisseurin im Jahr 2008 wochenlang durch die Grünanlagen lief, befand sie sich in einer äußerst rastlosen Verfassung. Über Dostojewskis „Verbrechen und Strafe“ zermarterte sie sich den Kopf. Sie wollte den Jahrhundertroman auf die Bühne bringen, aber die vorliegende Adaption entsprach nicht ihren theatralischen Visionen. Also nahm sie die beinahe 800 Seiten selbst in Angriff und stürzte sich tollkühn in das Abenteuer, eine eigene Stückfassung zu entwickeln. Sie las, schrieb, wanderte – und schaffte es. Nach der knapp fünfstündigen Premiere bei den Salzburger Festspielen jubelten Publikum und Kritik. Die legendäre Swetlana Geier, auf deren Neuübersetzung Breths Version beruhte, glaubte erst nicht an eine adäquate Dramatisierung – und besuchte dann, überzeugt und voller Begeisterung, gleich mehrere Vorstellungen. Für Andrea Breth, die souveräne Meisterin des psychologischen Realismus, war das ein besonderes Lob. Schließlich ist es ihr ein zentrales Anliegen, all das akribisch zu erforschen und zu verdeutlichen, was Dichter wie Dostojewski, Tschechow oder Schiller einst gedacht haben. Mit Werktreue hat das nichts zu tun, sondern mit Respekt vor der Kunst und den Zuschauern. Sensibel, autonom und mit ausgeprägtem Kunstverständnis vermittelt Breth zwischen den Dramen einerseits und der Bühne andererseits. Sie filtert die Sprache und feiert sie, ohne sie einzuschränken, als eine herausfordernde, großartige Spielmasse. Zuletzt verknüpfte sie Texte von Daniil Charms, Georges Courteline und Pierre Henri Cami unter dem Titel „Zwischenfälle“ am Wiener Akademietheater – abgründig und witzig, verwegen und grotesk. Karten für die Aufführungen sind kaum mehr zu bekommen. Ihre philologisch genaue, den Worten, Noten, Figuren auf den Grund gehende Art, Theater zu machen, wird viel bewundert, jedoch mitunter als zu anspruchsvoll, zu gebildet und zu ungemütlich gescholten. Andrea Breth freilich lässt sich lieber „old fashioned“ nennen, anstatt sich auf der Bühne in den Vordergrund, sprich vor die Autoren, zu drängeln. Mode und Zeitgeist sind für sie genau das, worum sie sich nie kümmert. An Ignoranz und böswillige Ablehnung, die ihr durchaus begegnen, verschwendet sie gleichfalls keinen Gedanken. „Wozu auch? Als Regisseurin arbeiten zu dürfen, ist ein solches Geschenk“, sagt die passionierte Raucherin beim Gespräch in einer Berliner Bar, wo sie ungestraft ihre Zigaretten genießen kann. Ein ebensolches Geschenk sei es, „arbeiten zu können“. Das war nicht immer so, obwohl Breth, 1952 in Bayern geboren, bereits 1985 mit ihrer fulminanten Inszenierung von García Lorcas „Bernarda Albas Haus“ zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde und zum Shootingstar avancierte. Der Erwartungsdruck begann sie bald nur noch zu überanstrengen. Sie stürzte künstlerisch ab – und raffte sich nach einer Pause vom Theater zu einem Neuanfang auf. Von 1992 bis 1997 leitete sie die Berliner Schaubühne, danach wechselte sie ans Wiener Burgtheater. Als schwierig, nicht belastbar, unzuverlässig galt sie allerdings immer noch. In Wirklichkeit war sie einfach ziemlich krank. Ihre bipolare Störung wurde erst vor wenigen Jahren erkannt. In den depressiven Phasen musste sie etliche Produktionen abbrechen, versank in destruktiven Zweifeln und unternahm schließlich gar Selbstmordversuche. In den manischen Phasen hingegen marschierte sie wie ein wilder Stier über Freund und Feind hinweg, verprasste ihr Geld, suhlte sich in Größenwahn – nur um irgendwann erschöpft zusammenzubrechen. Ihr Wiener „Wallenstein“ etwa, mit Gert Voss in der Titelrolle, wurde mehrfach verschoben. 2006 musste ihn die Direktion endgültig absagen. Dann endlich stellte ein Arzt die richtige Diagnose und sorgte für medika-mentöse Abhilfe. „Ich bin jetzt gesund“, betont sie, „ich habe Glück gehabt.“ Sie ist sich bewusst, dass ihre Krankheit auch ein anderes Ende hätte nehmen können. Nach und nach sind Breths physische, mentale und kreative Kräfte zurückgekommen. Nun freut sie sich auf Alban Bergs „Wozzeck“. Unter der musikalischen Leitung von Daniel Barenboim werden mit ihrer Inszenierung Mitte April die diesjährigen Festtage der Berliner Staatsoper eröffnet. Es ist das sechste Mal, dass Andrea Breth eine Oper inszeniert. In Anlehnung an den großen Regisseur Walter Felsenstein spricht sie aber lieber von „Musiktheater“: „Alles auf der Bühne muss grundsätzlich und strukturell mit der Musik zu tun haben, sonst kann ich es auch sein lassen.“ Breth liebt das Wechselbad zwischen den Genres, und sie liebt die Impulse, die sie dadurch erhält: „Im Theater muss ich den Ablauf, den Sound, den Rhythmus selbst entscheiden. In der Oper ist es wunderbar, da gibt es das dank der Komposition schon alles.“ Gleich wird die Sopranistin Nadja Michael in der verrauchten Bar auftauchen, um noch einmal über ihre Figur der Marie in „Wozzeck“ zu reden. Die Regisseurin kennt das inzwischen gut: „Oft werden die Sänger allein auf ihre Stimmen reduziert, dabei singen sie viel besser, wenn sie nicht bloß herumstehen müssen, sondern wissen, was sie spielen.“ Auf bewährte Weise wird Andrea Breth auch diesem Ensemble einen historischen, kritischen und sinnlichen Rückhalt geben. Zurück zur Homepage

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