Birgit Kelle
Birgit Kelle / dpa

Birgit Kelle - Die Wutmutter eines neuen Feminismus

Kinder, Küche, keine Krippe: Die Publizistin Birgit Kelle verkörpert einen neuen Feminismus, der von den alten Frontstellungen der Geschlechter nichts wissen will.

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Katharina Schmitz ist freie Journalistin in Berlin. 

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Im Hauptberuf Mutter – ist das noch rückständig oder schon wieder modern? Birgit Kelle jedenfalls hat morgens um zehn die Frühschicht bereits hinter sich. Die vier Kinder im Alter zwischen fünf und 14 Jahren sind versorgt, das Haus nahe der niederländischen Grenze, wo sie mit der Familie wohnt, hat sie nach dem Frühstück verlassen. Ländlich ist es dort, man ist umgeben von Schafen und hat „die Illusion, dass die Kinder sicher aufwachsen“. Sagt Birgit Kelle, als wir uns in Köln treffen. Sofort fällt die kräftige Stimme auf, die rasch in einen Talkshow-Modus gerät. Um den Kindern gerecht zu werden, arbeitet die freie Journalistin oft abends und am Wochenende, immer zu Hause.


Birgit Kelle ist Vorsitzende von „Frau 2000plus“, eines eingetragenen Vereins, der laut Selbstdarstellung für ein „neues Frauenbild jenseits der alten feministischen Vorstellung“ kämpft. Insbesondere sollen „Frausein und Mutterrolle“, anders als im bisherigen, im Alice-Schwarzer-Feminismus, nicht als Gegensatz verstanden werden. Das neue Rollenmodell ist nicht die kinderlose, männerskeptische Karrieristin, sondern die Frau, die frei wählt. Und sich nicht von anderen Frauen als unselbständig beschimpfen lassen will, wenn sie sich für ein Leben als Hausfrau und Mutter entscheidet.

„Der Krippenplatz ist die teuerste Art, Kinder großzuziehen. Das ist doch paradox!“


Kelle benötigt selbst morgens um zehn nur ein Stichwort, um in Fahrt zu kommen. Die „Herdprämie“, zum Beispiel. Es sei skandalös, dass in Deutschland arbeitende Eltern Subventionen erhielten, die traditionelle Familie aber diskriminiert werde. Dabei gebe es sehr viele Eltern, die das Alleinverdienermodell lebten – aus Überzeugung. „Der Krippenplatz ist die teuerste Art, Kinder großzuziehen. Das ist doch paradox!“ Auf schlimmste Weise neoliberal sei es, gebildete Mütter, die ihre Kinder erziehen und sie nicht vom Staat betreuen lassen, als „vergeudetes Potenzial“ zu diffamieren. „Das macht mich alles wahnsinnig!“, ruft Kelle. Von der Frauenquote hält sie auch nichts.

Ihren Furor kompensierte Kelle mit einem Sachbuch unter dem Titel „Dann mach doch die Bluse zu“. Der Klappenteil zeigt die 39-jährige Autorin in leicht lasziver Pose. Das Buch verkauft sich gut. Sogar die taz äußerte sich lobend. Ihr gleichnamiger Online-Kommentar zur Sexismus-Debatte wurde im Netz der Renner. Das Magazin Werben und Verkaufen kürte ihn zum Social-Media-Phänomen des Jahres 2013.
 

Birgit Kelles Markenkern sind Plädoyers für Kinder und Familie im Stakkato. Bei Youtube sind eindrückliche Beispiele zu sehen, etwa aus „Maybrit Illner“, wo sie zu Beginn ihrer Karriere als Wutmutter einen Auftritt hatte. Familienministerin Kristina Schröder fehlten die Worte, Cem Özdemir schaute nachdenklich. Unlängst kreuzte sie die Klingen mit der stellvertretenden Vorsitzenden von Femen Deutschland. Bei „Menschen bei Maischberger“ warf sie sich für die traditionelle Ehe in die Bresche und kritisierte den baden-württembergischen Bildungsplan zugunsten „sexueller Vielfalt“, der Toleranz mit Akzeptanz verwechsle. Ihr Mann, Journalist wie sie, hält ihr den Rücken frei, „selbstverständlich“.

Sie provoziert einen Satz, den bisher Eva Hermann, Christa Müller, Thilo Sarrazin abonniert hatten: Endlich sagt es mal eine(r)! Ihre Ansichten versteckt sie nicht, hat eine Kolumne bei The European, schreibt für Focus, Die Welt und das konservative Portal Freie Welt. Ja, sie hält nichts von der gleichgeschlechtlichen Ehe. Findet es problematisch, dass Schwangerschaftsabbrüche Normalität in Deutschland sind. Nennt die Idee „perfide“, Abtreibung als „so genanntes Frauenrecht“ auf europäischer Ebene einzuführen.

Im Gespräch wehrt sie sich: „Nein. Ich bin nicht konservativ, ich bin liberal.“ Der Staat mische sich zu sehr ein. Es gehe ihr um die Freiheit, selbst entscheiden zu dürfen, wie man sein Leben gestaltet. „Das Private ist nicht politisch“, sagt sie und leitet zum Feminismus über. Spricht von einer Diktatur und lässt die Gender-Fraktion wissen, sie brauche keine Gleichstellungsbeauftragte für ihre Ehe, „Frau Schwesig geht es nichts an, wer bei uns den Müll runterträgt“. Könnte sie sich ein politisches Amt vorstellen? Anfragen gab es. Die CDU-Wählerin und CSU-Sympathisantin, die vom evangelischen Glauben zum Katholizismus konvertierte, winkt ab. „Als Publizistin kann ich schreiben, was ich will.“


Birgit Kelle hat Jura studiert, dann abgebrochen und mit Anfang zwanzig beim Badischen Verlag in Freiburg volontiert, wo sie ihren Mann kennenlernte. Sie wurde schwanger.

Plötzlich galt das Mädchen, das mit neun Jahren aus dem rumänischen Siebenbürgen nach Deutschland kam, immer eine große Klappe hatte und sich qua Geschlecht nie benachteiligt gefühlt hatte, im Kreis der aufstiegsorientierten Kolleginnen als bemitleidenswert. Weil sie Mutter wurde und die nächsten Jahre mit Erziehung beschäftigt war. „Ich bin ja ein Doppelopfer: Frau und Migrationshintergrund!“, sagt sie und lacht kräftig. Dann muss sie los. Die Jüngste hat sich heute Nudeln ohne Sauce gewünscht.

Richtigstellung: In einer früheren Version dieses Textes stand in einer Zwischenüberschrift: „Als sie ihr Volontariat beim Badischen Verlag abbrach, wurde sie von Kolleginnen bemitleidet“. Das ist nicht richtig. Zum Volontariat bei der Badischen Zeitung liegen uns keinerlei Informationen vor. Wir haben den Beitrag am 5. Mai 2023 entsprechend korrigiert.

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