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Der Tag... - ...an dem die Frauenquote kam

Rund um den Jahreswechsel blickt Cicero Online nach vorne und entwirft Szenarien für das Jahr 2013, die auf den ersten Blick unrealistisch wirken und doch einen Kern von Wahrheit in sich bergen. Deutschlands Damenwelt ist in heller Aufruhr. Warum? In der Nacht ist das bislang Undenkbare endlich wahr geworden

Autoreninfo

Jana Illhardt studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaften, Politikwissenschaften und Sozial- und Kulturanthropologie an der Freien Universität in Berlin. Sie schreibt für Cicero Online und lebt in Berlin.

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23. Mai 2013, früher Morgen: Familienministerin Kristina Schröder besucht ihre Amtsvorgängerin Ursula von der Leyen, um auf die jüngsten Ereignisse anzustoßen. Dorothee Bär, Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hetzt indes durch die Friedrichstraße von Drogerie zu Drogerie auf der Suche nach Glückwunschkarten. Und Claudia Roth ruft per Twitter zu einem Candystorm auf. Warum? Vor wenigen Stunden vereinbarten die 200 größten deutschen Unternehmen eine Frauenquote – auf eigene Initiative. Damit hatte nun wirklich niemand gerechnet.

Thomas Sattelberger, ehemaliger Personalvorstand der Telekom, bekommt vom morgendlichen Trubel nichts mit. Er liegt noch in seinem Hotelbett – um seinen Coup der vorangegangenen Nacht auszuschlafen.

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Der Abend zuvor

Sattelbergers silberne Armbanduhr piept. Punkt 20 Uhr – Zeit zu gehen. Er rückt das weiße Hemd und die rote Krawatte zurecht. Festen Schrittes betritt er den Konferenzsaal des „Alten Wasserwerks“ am Rheinufer in Bonn-Gronau. Gut 200 Personalvorstände und Unternehmenschefs sind gekommen. Niemand scheint Sattelbergers Versuch, sie von einer Frauenquote zu überzeugen, verpassen zu wollen. Dass der Ein oder Andere weniger wegen des unterrepräsentierten Geschlechts sondern wegen seiner Rede gekommen ist, weiß Sattelberger. Er bahnt sich einen Weg zum Rednerpult. Schweißperlen glänzen auf seiner Stirn. „Wir haben uns hier an einem historischen Ort versammelt“, eröffnet er seine Ansprache. „Nur wenige Meter entfernt befindet sich die ehemalige Pädagogische Akademie, in deren Aula 1949 der Parlamentarische Rat das Grundgesetz verabschiedete – in dem es, wir erinnern uns, seit jeher im Artikel 3 Absatz 2 heißt „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“.“

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Sattelberger macht eine Pause, nimmt sein Publikum fest in den Blick. In den nächsten Minuten beklagt er die lächerliche Anzahl der Führungsfrauen, tadelt die Tatenlosigkeit der Personaler und betont zugleich die Verantwortung, die ihnen obliegt. Sattelberger selbst macht sich seit Jahren für mehr Frauen in Führungspositionen stark, legte der Telekom während seiner Amtszeit eine 30-Prozent-Quote auf, die das Unternehmen bis 2015 umsetzen will. Außerdem sei er froh, dass eine Frau, nämlich Marion Schick, seinen Posten als Personalvorstand übernommen hat. „Sie wissen ebenso wie ich, dass es nicht an qualifizierten Frauen fehlt, sondern vielmehr an objektiven Entscheidern, die sie einstellen. Heute Nacht können Sie das ändern.“

Es folgten fünf Stunden hitziger Diskussion, in der sich die Quoten-Befürworter und -Gegner einen erbitterten Schlagabtausch liefern. Generationenfrage, zu wenig führungswillige Frauen, Qualifikation brauche eben Zeit, sagen die Einen. Blödsinn, erwidern die Anderen, das Repertoire hochqualifizierter weiblicher Führungskräfte sei riesig. Zumal gemischtgeschlechtliche Teams, wie Studien belegen, sowieso effektiver arbeiten würden.

Stunde um Stunde beruhigen sich die Gemüter. Darauf hatte Sattelberger gehofft: Schon 1986 bis 1992, als der Saal als Ausweichquartier des Bundestages diente, seien die Abstimmungen aufgrund der dicht gedrängten Bestuhlung besonders friedlich verlaufen. Am heutigen Abend scheint sich das kein-Platz-kein-Streit-Prinzip zu wiederholen. Ein Uhr nachts kamen die Anwesenden schließlich zu einer Übereinkunft, die sie selbst erstaunte: Binnen fünf Jahren sollen 40 Prozent der Führungs- und Vorstandsposten in Deutschlands größten Unternehmen mit Frauen besetzt sein.

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Elke Holst, Forschungsdirektorin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, ist eine der Ersten, die in den frühen Morgenstunden von der bahnbrechenden Entscheidung erfährt. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch in Berlin-Mitte und arbeitet sich wild durch Dateien. Langsam wandern ihre Augen über die Zahlenflut. Sie greift sich in ihre blonden Locken, schüttelt den Kopf, überfliegt die Daten erneut und konstatiert schließlich in ungläubigem Tonfall: „Gemessen an der Entwicklung der vergangenen fünf Jahre hätte es bei den DAX 30 Unternehmen noch mindestens 25 Jahre dauern müssen, bis annähernd gleich viele Frauen wie Männer in den Vorständen sitzen; bei den 200 größten deutschen Unternehmen sogar 100 Jahre.“ Was für ein Zeitsprung!

Seite 2: Aufbruchstimmung, Kochkurse und eine verwirrte Alice Schwarzer

Noch im Januar präsentierte Elke Holst die neusten Ergebnisse des Managerinnen-Barometers und kam sich dabei vor wie Bill Murray in „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Seit Jahren musste sie ihre Forschungserkenntnisse mit den immergleichen Aussagen zusammenfassen: „leichte Veränderungen“, „jedoch keine nennenswerten Anstiege“, „männliche Monokulturen“, „nur Lippenbekenntnisse“. Manche Journalisten brachten sogar ihre Tabellen vom Vorjahr mit und korrigierten lediglich ein paar Zahlen: 2011 waren 28 der 942 Vorstandsposten der 200 größten deutschen Unternehmen von Frauen besetzt; 2012 stieg die Zahl leicht an. Die Telekom etwa berief nicht nur Marion Schick sondern auch Claudia Nemat in den Vorstand. Die Lufthansa angelte sich Simone Menne, BMW vertraute sein Personal Milagros Caiña-Andree an. Unter dem Strich blieben diese Frauen jedoch weiterhin Ausnahmen von der Regel – bislang.

Jetzt soll sich das ändern. Homosoziale Reproduktion getreu dem Motto „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ ade. Alle Vorurteile über Bord. Stoisch sammelt Elke Holst ihre Unterlagen zusammen, stapelt sie auf einen großen Haufen und legt diesen schließlich in einem Ordner mit der Aufschrift „erledigt“ ab. Und nun? Ein langer Urlaub? „Nein.“ In der Wissenschaftlerin kommt die Skepsis der Erfahrung durch: „Kontrollieren und überprüfen.“ Holst erinnert an 2001, als sich die Unternehmen schon einmal mit Pauken und Trompeten zu einer Erhöhung des Frauenanteils verpflichtet hatten. Elf Jahre lang blieb es bei der Ankündigung. Nicht einmal im Zuge der Finanzkrise, als in diversen Banken und Versicherungen die Spitzengremien neu besetzt wurden, hatte Mann das weibliche Geschlecht bedacht.

Doch nun soll alles anders werden. Ihr Abkommen untermauerten die Personalvorstände diesmal mit einem umfassenden Maßnahmenpaket, das auf ein grundlegend flexibleres Denken im Unternehmen abziele. Führungswillige Frauen wolle man motivieren und gezielt fördern – etwa mittels Mentoring- Programmen, die viele Unternehmen bereits erprobt haben. Oberste Priorität solle endgültig die so oft thematisierte Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhalten. Karriere trotz Kind: ab sofort mehr als nur ein idealistischer Slogan – so das Versprechen. Flexible Arbeitzeiten – etwa mittels Jobsharing, Gleitzeit, Teilzeit oder einem Mix aus Halb- und Ganztagsarbeit –, Heimarbeit sowie firmeneigene Kindertagesstätten sind nur drei der zahlreichen Verbesserungen, die die 200 Unternehmen ihren Mitarbeitern garantieren.

In sechs Monaten wollen alle Firmen ihren ersten Bericht vorlegen der darüber informiert, welche Maßnahmen bereits umgesetzt und welche bis wann noch zu erfüllen sind. Einer Kommission bestehend aus Betriebsräten verschiedener Branchen obliegt die Prüfung der Berichte. Etwaige Sanktionsgelder wegen Nichteinhaltung der gesetzten Fristen sollen Mentoring-Programmen zugutekommen.

Trotz Claudia Roths Optimismus, reagierten die Grünen eher verhalten bis skeptisch auf die Versprechen der Unternehmen. Zwar entglitt Nicole Maisch ihr Handy vor freudiger Überraschung, als sie Claudias Jubel-Parteirundmail las. Das Piccolo-Fläschchen wolle sie dennoch vorerst im Schrank lassen.

Wie belastbar die Übereinkunft der vergangenen Nacht tatsächlich ist, bleibt abzuwarten. Doch es herrscht bereits Aufbruchstimmung: Handwerker sammeln ihr Werkzeug zusammen, um schnellstmöglich mit der Demontage der gläsernen Decken beginnen zu können; Fitnessstudios organisieren Extrakurse zum Waden-Muskelaufbau – für den unbeschwerten Treppenaufstieg; Kochschulen bieten „Wie bereite ich mir mein Abendbrot zu, wenn meine Frau mal wieder länger im Büro ist“- Kurse an.

Einzig Alice Schwarzer hat noch nichts von sich hören lassen. Man munkelt, die sonst so mitteilungsfreudige Feministin starre seit Stunden mit offenem Mund auf ihr iPhone.

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