Lobby eines Luxushotels bei Moskau / dpa

Wirtschaft in Russland - Kreml will hohe Einkommen stärker besteuern

Um dem Haushaltsdefizit entgegenzuwirken, will Russland erstmals ein progressives Steuersystem einführen. Geringe und mittlere Einkommen wären davon nicht betroffen. Dennoch birgt das Vorhaben eine Reihe von Risiken.

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Ekaterina Zolotova ist Analystin für Russland und Zentralasien beim amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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Die russische Regierung arbeitet an einem Plan zur Einführung eines progressiven Steuersystems, um die wachsende Haushaltslücke zu schließen. Kurz vor den jüngsten Präsidentschaftswahlen sagte Wladimir Putin in einem Interview mit staatlichen Medien, er glaube, dass sowohl die einfachen Russen als auch die russischen Unternehmen diesen Schritt mit einem gewissen Verständnis betrachten würden. Nachdem er sich am Wahltag eine fünfte Amtszeit gesichert hat, hofft Putin, dass die Maßnahme dazu beitragen wird, die Haushaltseinnahmen zu erhöhen, wichtige soziale und militärische Vorhaben zu finanzieren und ein weiteres Aufblähen der russischen Auslandsschulden zu vermeiden.

Die russische Wirtschaft wird während Putins nächster Amtszeit mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert sein. Vor allem werden die russischen Regionen damit zu kämpfen haben, dem anhaltenden Sanktionsdruck standzuhalten und sicherzustellen, dass die Wirtschaft genügend Devisen anziehen kann, um den Haushaltsbedarf des Landes zu decken. Der Kreml hat die Zahl der wirtschaftlichen Veränderungen, die er vorzunehmen bereit ist, begrenzt, um eine weitere Destabilisierung der Wirtschaft zu vermeiden – aber er kann nicht zulassen, dass die Auslands- und Binnenverschuldung und das Haushaltsdefizit des Landes unkontrolliert anschwellen. Es muss etwas geschehen.

Im Jahr 2023 wies der Haushalt der Russischen Föderation ein Defizit von 3,24 Billionen Rubel (knapp 33 Milliarden Euro) oder 1,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf, was zum Teil auf steigende Ausgaben zurückzuführen ist. In den ersten beiden Monaten des Jahres 2024 beliefen sich die Ausgaben des Bundeshaushalts auf 6,5 Billionen Rubel, ein Anstieg um 17,2 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres. Das Problem beschränkt sich jedoch nicht nur auf die föderale Regierung, auch einzelne russische Regionen sind von einer steigenden Verschuldung betroffen. Nach Angaben des russischen Finanzministeriums ist die Staatsverschuldung in 73 der föderalen Gebietskörperschaften Russlands gestiegen und betrug im Januar für alle Regionen insgesamt 3,2 Billionen Rubel, was einem Anstieg von 15 Prozent gegenüber Januar 2023 entspricht.

Der Kreml kann nicht zulassen, dass das Einkommensniveau der Armen und der Mittelschicht sinkt

Traditionell machen Kredite der föderalen Regierung den größten Teil der regionalen Verschuldung aus – fast 77,4 Prozent im Jahr 2024 –, obwohl sie oft nicht zurückgezahlt werden. In einer kürzlich gehaltenen Rede vor der Föderalen Versammlung kündigte Putin an, dass die Regierung den Regionen zwei Drittel der ausstehenden Schulden für Haushaltsdarlehen erlassen werde. Der Staat plant jedoch weiterhin, den Regionen vom nächsten Jahr an Infrastrukturdarlehen (mit einem Zinssatz von 3 Prozent pro Jahr und einer Laufzeit von bis zu 15 Jahren) in Höhe von nicht weniger als 250 Milliarden Rubel jährlich zu gewähren – was bedeutet, dass die öffentliche Verschuldung der Regionen weiter steigen wird. (Diese Kredite sind für die Aufrechterhaltung und Verbesserung der Infrastruktur von entscheidender Bedeutung, sodass ein Verzicht auf das Geld für die Regionen keine wirkliche Option ist.)

Der Kreml muss die Situation in den Griff bekommen, aber seine Möglichkeiten sind begrenzt. Er hat mit einer sich verlangsamenden Wirtschaft zu kämpfen, da ausländische Unternehmen weiterhin zögern, mit Russland Geschäfte zu machen. Die russische Wirtschaft beginnt sich zu überhitzen, und es wird erwartet, dass die Wachstumsraten nach dem starken Anstieg im vorigen Jahr, als sich die Wirtschaft von den ersten Auswirkungen der Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 erholte, zurückgehen werden. Das Bruttoinlandsprodukt stieg im Jahr 2023 um 3,6 Prozent, aber einige Wirtschaftsexperten sagen für dieses Jahr ein Wachstum von nur 2 Prozent voraus. Darüber hinaus ist die Nachfrage nach Arbeitskräften in diesem Monat zum ersten Mal seit dem Frühjahr 2022 deutlich zurückgegangen. Da eine sinkende Nachfrage nach Arbeitskräften häufig eine Folge der rückläufigen Industrieproduktion ist, könnte dies auf den Beginn einer Rezession hindeuten.

Der Kreml kann nicht zulassen, dass das Einkommensniveau der Armen und der Mittelschicht sinkt. Neben der steigenden Inflation, die inzwischen bei über 7 Prozent liegt, ist die russische Gesellschaft durch ein hohes Maß an Ungleichheit gekennzeichnet. Im Jahr 2023 stieg der Gini-Koeffizient, der das Ausmaß der Einkommensungleichheit in einem Land misst, von 0,395 im Vorjahr auf 0,403 an. In Anbetracht der Tatsache, dass mindestens ein Drittel der Bevölkerung von staatlichen Leistungen lebt und viele andere in staatlichen Einrichtungen arbeiten, könnte die Unterstützung von Sozialprojekten und Einkommenszuwächsen viel mehr Finanzmittel erfordern, als der Kreml bereit ist, zur Verfügung zu stellen.

Gebühren aus der Gewinnung von Bodenschätzen machen fast 50 Prozent aller Steuereinnahmen aus

Russland verfügt immer noch über ein Sicherheitsnetz in Form des Nationalen Wohlfahrtsfonds, der etwa 12 Billionen Rubel umfasst. Die Fähigkeit des Landes, diesen Fonds wieder aufzufüllen, ist jedoch eingeschränkt, was zum Teil auf die westlichen Sanktionen zurückzuführen ist, die die Einnahmen aus dem Öl- und Gassektor einschränken, und zum Teil auf die fehlende Infrastruktur, die den russischen Energiesektor mit potenziellen neuen Märkten verbindet. Die einzige Möglichkeit für Russland, seine wachsenden Haushaltsausgaben auszugleichen, ist daher die Einführung einer progressiven Besteuerung.

Die Regierung ist der Ansicht, dass dieses System nicht zu Massenunruhen oder sozialer Destabilisierung führen wird, zumindest nicht in dem Maße, wie es der Fall wäre, wenn das Problem nicht angegangen würde. Etwa 76,4 Prozent der Einnahmen des russischen Bundeshaushalts stammen aus Steuern. Der größte Teil davon wird durch Gebühren und Zahlungen aus der Gewinnung von Bodenschätzen eingenommen, die fast 50 Prozent aller Steuereinnahmen ausmachen. Aufgrund einer OPEC+-Vereinbarung zur Kürzung der Fördermenge, des Mangels an neuen Technologien in Russland und der Exportbeschränkungen war Moskau jedoch gezwungen, die Ölproduktion zu drosseln, wodurch die Staatseinnahmen aus Steuern und Gebühren im Energiesektor begrenzt wurden.

 

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Auch die zweitgrößte Steuereinnahmequelle des Staates – die Einfuhrzölle – ist angesichts der immer strengeren Sanktionen des Westens und der Entwicklung neuer Handelsrouten, die es Ländern ermöglichen, Handel zu treiben, ohne russisches Territorium zu betreten, keine zuverlässige Einnahmequelle. Die Mehrwertsteuer macht 20 Prozent der gesamten Steuereinnahmen aus, aber angesichts der steigenden Inflationsrate kann der Kreml die Mehrwertsteuer nur sehr begrenzt anheben, ohne öffentliche Gegenreaktionen zu provozieren. So wurde beispielsweise die Mehrwertsteuer auf Hamburger im vergangenen Oktober von 10 auf 20 Prozent erhöht. Dies zwang die ehemalige McDonald‘s-Restaurantkette, die jetzt „Vkusno i Tochka“ („Lecker und auf den Punkt“) heißt, die Preise für ihre Burger zu erhöhen, führte aber nicht zu ernsthaften sozialen Unruhen.

Die einzige zuverlässige Möglichkeit der Regierung, die Steuereinnahmen zu erhöhen, ist die Einführung höherer Einkommensteuersätze – unter dem Vorwand, die Steuerlast gerechter zu verteilen. Die Einkommensteuer macht derzeit 10 Prozent der Haushaltseinnahmen aus, kann aber durch ein progressives Steuersystem erheblich gesteigert werden. Erste Anzeichen für den Übergang zu einem solchen System gab es im Jahr 2021, als auf Initiative des Präsidenten angekündigt wurde, dass Einkommen über 5 Millionen Rubel pro Jahr mit 15 Prozent besteuert werden sollen, während diejenigen, die weniger verdienen, weiterhin den Pauschalsatz von 13 Prozent zahlen sollen.

Es ist möglich, dass die Steuerhinterziehung zunimmt

Die Regierung spricht nun offen über die Einführung eines vollständig progressiven Steuersystems. Während sich für die Mehrheit der Bevölkerung keine nennenswerten Änderungen bei den Steuerzahlungen ergeben werden, sollen die wohlhabenderen Bevölkerungsschichten nach den von der Regierung erwogenen Vorschlägen für die Umsetzung mehr zahlen. Einer der Pläne sieht vor, dass diejenigen, die weniger als 360.000 Rubel (3600 Euro) im Jahr verdienen, mit 0 Prozent besteuert werden, bis zu 5 Millionen Rubel mit 13 Prozent, zwischen 5 Millionen und 10 Millionen Rubel mit 15 Prozent, zwischen 10 Millionen und 50 Millionen Rubel mit 25 Prozent, zwischen 50 Millionen und 100 Millionen Rubel mit 30 Prozent und über 100 Millionen Rubel mit 35 Prozent. Die Regelung würde weniger als 10 Prozent der gesamten russischen Bevölkerung betreffen, die über ein durchschnittliches Monatseinkommen von 100.000 Rubel (1000 Euro) verfügt.

Es ist schwer zu sagen, wie hoch die Einnahmen aus einem progressiven Steuersystem sein werden. In Anbetracht der Tatsache, dass die größte Last auf einem kleinen, wenn auch wohlhabenden Teil der Bevölkerung lasten wird, scheint der Kreml nicht bereit zu sein, das Risiko einzugehen, die Mittelschicht zu verärgern oder Unternehmen und potenzielle Investoren zu verschrecken, indem er breitere Steuererhöhungen durchsetzt. Es handelt sich um eine begrenzte Maßnahme, die Verluste teilweise ausgleichen kann, aber sie ist kein Allheilmittel. Und sie wird sicherlich nicht die Steuereinnahmen aus der größten Quelle ersetzen: der Ölindustrie. Außerdem birgt sie eine Reihe von Risiken in sich. Es ist möglich, dass die Steuerhinterziehung zunimmt, der graue Markt wächst und mehr Menschen in die Selbstständigkeit wechseln, um höhere Steuersätze zu vermeiden.

Höhere Steuersätze für die wohlhabendsten Personen werden jedoch inzwischen als unvermeidlich angesehen. Möglicherweise hat Putin also recht, wenn er behauptet, dass russische Privatpersonen und Unternehmen die Gründe für die Änderungen des Steuersystems verstehen und wissen, dass sie ohnehin nicht viel dagegen tun können. Aber ihre Unterstützung wird nur so lange anhalten, wie sie im Gegenzug Vorteile sehen, entweder für die Marktbedingungen oder für ihren eigenen Geldbeutel.

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Christoph Kuhlmann | So., 31. März 2024 - 13:22

Nicht von ungefähr kommt die Mehrzahl der Rekruten und neuen Vertragssoldaten aus den ärmsten Schichten der Bevölkerung. Die wohlhabenden, besser gebildeten Schichten der Bevölkerung sind vom Krieg bisher kaum betroffen. Dies wird sich durch die Steuerreform ändern. In einer Demokratie wäre das nun ein Grund für eine Serie von Wahlniederlagen der Partei, die das zu verantworten hat. Insbesondere da diese Kreise in der Demokratie einen größeren Einfluss auf die Medien haben. Das hat Putin nicht zu befürchten. Es geht wahrscheinlich darum, dass unten nichts mehr zu holen ist. Wer 100% seines Einkommens benötigt um über die Runden zu kommen ist von der Inflation stark betroffen. Eine Ausweitung der Geldmenge würde nicht nur den Wert des Rubels gefährden sondern auch die Armut breiter Schichten vergrößern. Dies stärkt wieder deren Bereitschaft sich zum gut bezahlten Militärdienst zu melden. Das ist das Perpetuum Mobile des Fleischwolfes. Ich schätze die Geldmenge kommt zum Schluss.

Ernst-Günther Konrad | So., 31. März 2024 - 14:00

Warten wir es ab, ob und wie sich das Vorhaben Putins tatsächlich auswirken wird. Dass die westlichen Msm und der ÖRR sich bemühen, auch dieses Vorhaben generell als negativ darzustellen und wieder einmal Putins Niedergang herbeischreiben, dürfte klar sein. Steuererhöhung nur für die Reichen, damit hat er den Rest der Bevölkerung zumindest aus diesem Grund nicht gegen sich. Sie schreiben selber, es sei ein Risiko. Na dann warten wir einfach mal ab, ob das wirklich eins war.