Schwule? Gibt?s hier nicht!
?Bei uns gibt es keine Homosexuellen?, hat Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad unlängst im Brustton der Überzeugung erklärt ? und viel Gelächter geerntet. Wie ist es tatsächlich um die Sexualität im Reich der Mullahs bestellt? Eine Spurensuche
Dem Perfektionsdrang der Mullahs zu entrinnen, ist schwer. Vom Straßenfeger bis zum Universitätsprofessor, ein jeder sollte sich bemühen, obwohl niemand genau weiß, was die paradiesische Gesellschaft sein soll. Fragt man Iraner, schütteln sie gedankenverloren ihr Haupt. Nun ja, eben die Pflichten eines guten Moslems erfüllen, wie fünfmal am Tag beten oder Almosen geben, und nebenbei noch sein Vaterland mit Händen und Füßen verteidigen. Bei Gelegenheit seinen Nachbarn verpetzen, falls man sich davon einen Vorteil verspricht, und abgesehen davon sich nicht bei der Ausübung verbotener Tätigkeiten erwischen lassen. Eines wird jedem Kind eingebläut: Ist etwas untersagt, hat das seinen guten Grund, wie etwa: Das Betreffende kommt aus dem Westen, und man lässt besser die Finger davon, weil es noch schlimmer ist, als schlampig angezogen herumzulaufen und vorzutäuschen, man hätte fürs Kopftuchumbinden keine Zeit gehabt.(?)
Ebenso wie über die Fremden ärgern sich die Mullahs über sexuelle Extrawürste der eigenen Leute. In ihrer perfekten Gesellschaft verharren junge Leute in Keuschheit, bis ihre Eltern sie verehelichen, um nach der Zeremonie ihr erstes ausgelassenes Familientreffen miterleben zu dürfen. Mit etwas Glück dürfen sie sich den Ehepartner oder die Partnerin selbst aussuchen. In Teheran ist das heute bei vielen eine Selbstverständlichkeit, auf dem Land aber nicht. Dort sind Ehen weiterhin eine Art Versorgungseinrichtung, was erklärt, warum ein Mann vier Frauen heiraten kann, allerdings mit der Einschränkung, dass alle Frauen zustimmen müssen. Diese Regel klingt ganz vernünftig, existiert jedoch in Wirklichkeit nur auf dem Papier, denn wieso sollten Frauen allen Ernstes zustimmen, Haus und Vermögen mit einer anderen zu teilen, vielleicht sogar mit einer Jüngeren?
Mit solchen Hinweisen kann man einem Mullah nur die Laune verderben, da versteht er einen entweder nicht oder tut so, als würde er nichts verstehen, was aufs Gleiche hinausläuft. Wahrscheinlich denkt er sich, es kann nur einer Ausländerin einfallen, so zu fragen.
Am Rande wäre noch zu erwähnen, dass unzufriedene heimische Frauen in den Vorstellungen der Sittenwächter mit Auspeitschungen bestraft werden sollten, und logischerweise werden Frauen härter bestraft als der Mann. So war es in einem Urteil vor zwei Jahren, als eine Iranerin zu 100 Peitschenhieben verdammt wurde. Die zwei Männer, angeklagt, sie vergewaltigt zu haben, hingegen nur zu 30.
Aber es kann noch viel schlimmer kommen. Homosexuelle haben in der Islamischen Republik keinen Platz. In der Strafgesetzordnung sind ihnen Artikel über Artikel gewidmet, wie sie zu bestrafen und zu ächten seien. Ja, die Mullahs sind beinahe besessen von der Idee, den Menschen jede Art von Andersartigkeit auszutreiben, was ihnen, wie man sich vorstellen kann, nirgendwo weniger gelingt als auf dem breiten Feld der Sexualität. In Tiefgaragen, Hinterhöfen oder in öffentlichen Parks treffen sich Homosexuelle in aller Heimlichkeit, sie feiern Feste oder verabreden sich per Internet. Kommt dies den Moralwächtern zu Ohren, stürmen sie die Treffen. Haben die Ertappten Pech, finden sie sich in den Abendnachrichten wieder, wo ihre ?Vergehen? genüsslich ausgebreitet werden. Die Kommandos haben neuerdings Videokameras bei sich, um dem ganzen Land ihre Tüchtigkeit demonstrieren und alle möglichen ?Sünder? vorführen zu können. Das dient der Abschreckung. Die ganze Angelegenheit ist natürlich ein Albtraum für die jeweiligen Familien der Missetäter. Warum gerade die Homosexuellen so grausam behandelt werden, konnte mir niemand so richtig erklären, nur ein Mullah antwortete mir einmal mit einer langen Darlegung der Unsitten während der Schah-Zeit. Damals hätte es sogar gleichgeschlechtliche Hochzeiten gegeben. Khomeini sei schockiert gewesen und hätte daraufhin beschlossen, eine genau festgelegte Art der Todesstrafe für alle gleichgeschlechtlichen Beziehungen zu erlassen. Seither werden Homosexuelle, erwischt man sie, erst gefilmt, dann verprügelt und im schlimmsten Fall zum Tode durch Hängen verurteilt. Frauen, die schwere Verbrechen wie Fremdgehen begehen, entschied damals Khomeini, werden nicht bloß ausgepeitscht, sondern gesteinigt. Wollte jemand ein Mädchen im Alter von neun Jahren heiraten, bekam er hingegen Khomeinis Segen. Er fand nichts dabei. Erst nach seinem Tod traute man sich, das heiratsfähige Alter hinaufzusetzen, auf sage und schreibe zehn Jahre.(?)
Anders, als man annehmen würde, reden die Mullahs in der Islamischen Republik zwar nicht oft, aber doch von Zeit zu Zeit über die unerlaubten Formen der Sexualität ihrer Staatsbürger. Das geschieht stets in kritischem Ton, etwa wie in ?Wir machen uns ernsthafte Sorgen über die Moral im Land?. So war es, als im Winter 2006 auf dem Teheraner Schwarzmarkt eine DVD auftauchte, auf welcher eine bekannte TV-Schauspielerin beim Geschlechtsakt zu sehen war. So etwas kommt hier nicht alle Tage vor. Deswegen verbreitete sich die Neuigkeit wie ein Lauffeuer. Weil die Frau festgenommen worden war und ihr eine Strafe drohte, schien es mir eine Reportage wert. Überdies waren bereits 100 000 DVDs an den Mann gebracht worden, was in jeder anderen Stadt berichtenswert wäre, und erst recht in der keuschen Metropole der Mullahs.(?)
Inzwischen weitete sich die Sache zur Staatsaffäre aus. Die üblichen Religionsführer meldeten sich zu Wort, um die Frau aller möglichen Vergehen zu bezichtigen. Zwischendurch verteidigten sie andere, als wäre sie eine Heilige, bis sich niemand mehr auskannte. Daraufhin hatte die Schauspielerin die rettende Idee. Im Brustton der Überzeugung erklärte sie, nicht sie sei es gewesen, sondern eine Doppelgängerin. Eine eben, die ihr wie aus dem Gesicht geschnitten war. Wer immer ihr zu dieser Ausrede geraten hatte, war ein Genie. Die Sache schlief ein, was allen nur recht war, denn schon hieß es, Feinde im Ausland hätten die ganze Angelegenheit erfunden, um den Ruf der Islamischen Republik zu beschmutzen.
Viele Entscheidungen in der Mullah-Republik, eingeschlossen zu sexuellen Praktiken, beruhen auf einem Rechtsspruch, einer ?Fatwa?. Niemand würde bei uns wissen, was damit gemeint ist, hätte nicht Khomeini eine berüchtigte Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie ausgesprochen. Er beschuldigte den Autor, den Islam beleidigt zu haben. Ein Todesurteil war in den Augen des gestrengen Khomeinis gerade die richtige Strafe. Daraufhin musste jener von Leibwächtern rund um die Uhr beschützt werden. Zumindest wissen wir jetzt, was eine Fatwa ist. Obwohl Fatwas nicht immer von ausgesprochener Grausamkeit sein müssen. Sie können auch das Gegenteil sein, und manchmal sogar ein wahrer Segen. Da sie genauso viel wert sind wie Gesetze, ist es, als wären sie in Stein gemeißelt. Niemand darf sie missachten. Selbst, wenn er nicht damit einverstanden ist. Ist ihm danach, kann jeder Iraner einen hohen Ayatollah anrufen, ihm seine Lage erklären und, mit etwas Glück, einen Rechtsspruch zu seinen Gunsten bekommen. Damit hat er ein für alle Mal Ruhe, wie etwa Irans Transsexuelle. Anders als Homosexuelle werden sie heute nicht verfolgt, sondern können vielmehr nach Belieben eine Geschlechtsumwandlung vornehmen lassen, in Teheran, ganz offiziell in einer Klinik.
Noch in den ersten Jahren wurden die Transsexuellen als Menschen zweiter Klasse behandelt, sprich eingesperrt und wie die Homosexuellen oft hingerichtet, bis einer von ihnen, ein Fernsehtechniker, seinen ganzen Mut zusammennahm und versuchte, bei Khomeini einen Termin zu bekommen, um ihm sein Problem, die Transsexualität, persönlich darzulegen. Wenn er es schaffen würde, ihn zu überzeugen und einen entsprechenden Rechtsspruch zu erhalten, wären alle seinen Sorgen vorüber. Gesagt, getan. Wochenlang stellte sich der Mann an. Endlich saß er Khomeini gegenüber. Er redete um sein Leben. Das Treffen dauerte zwar eine Weile, doch am Ende war der Revolutionsführer weichgekocht. Trotz eingehendem Studium des Korans hatte er nichts gefunden, was einer Fatwa, diesmal einer positiven, entgegenstehen würde. Transsexualität sei, so Khomeini, mit dem heiligen Buch der Moslems durchaus vereinbar, werde daher von nun an erlaubt. Was sage ich erlaubt! Seither darf man sogar Reportagen darüber drehen, so viele und so lange man will. Es dauert nur einen Tag, bis man die entsprechenden Genehmigungen in der Tasche hat.
Der schlaue Techniker, inzwischen eine Technikerin, erzählte mir bei einer Tasse Tee in ihrer Wohnung, ein Reich wie aus Tausendundeiner Nacht, ausführlich, wie ihr Treffen mit dem Revolutionsführer ablief. Und dann erklärte sie mir, wie die ganze Prozedur der Geschlechtsumwandlung vor sich geht. Zuerst sei da diese Kommission, zusammengesetzt aus verschiedenen Mullahs sowie Ärzten, deren Urteil maßgeblich sei für die Erlaubnis, sich operieren zu lassen. Die Kommission sei großzügig, denn sonst wäre es nicht zu erklären, warum in keinem Land der Region inzwischen mehr Geschlechtsumwandlungen stattfinden als im Iran.
Nicht vergessen dürfe man, die Operation in einer Teheraner Privatklinik sei alles andere als preiswert. Mit ungefähr 3000 Dollar müsse man rechnen für eine einzige Operation, und brauchen würde man mehrere. Die lebenslange Hormonbehandlung koste extra. Ob es Krankenkassen-Zuschüsse gäbe? Sogar das, erwiderte sie und nahm zufrieden einen großen Schluck Tee, aber beim Vorbeugen rutschte beinahe der Tschador in die Tasse.
Die Sache mit dem Tschador ist ein eigenes Kapitel: Ob sie nun will oder nicht, die Technikerin muss ihn tragen, weil ihr der schlaue Khomeini ein entsprechendes lebenslanges Gelöbnis abgenommen hatte. Würde sie zu einer Frau, hatte er am Ende des Gesprächs erklärt, müsse sie sich anständig kleiden, nicht nur mit einem Kopftuch herumlaufen, damit wäre es nicht getan!
Seit diesem Tag verhüllt sich die Technikerin, als wäre sie superfromm, was sie, wenn ich alle Anzeichen richtig interpretierte, nicht ist. Da war einmal der Lidschatten um die Augen, wie er breiter nicht sein könnte. Sie hatte Rouge auf die Wangen aufgetragen und Lippenstift auf den Mund.
Leider hat der Tschador auch bei ihr zu den üblichen Problemen geführt, sprich Übergewicht: ?Sie werden es nicht glauben, aber früher war ich viel schlanker?, seufzte die Frau beim Abschied und deutete als Beweis auf ein paar Fotos auf einem Regal, aus Zeiten, als sie noch im Körper eines untergewichtigen jungen Mannes steckte. Das war wie in einem anderen, weit entfernten Leben.
Seit Khomeinis Fatwa sitzen so viele Transsexuelle im Wartesaal der kleinen Privatklinik, die sich auf solche Eingriffe spezialisiert hat, dass die Ärzte gar nicht mehr nachkommen. Der eine oder andere ist sogar aus einem entlegenen Kaff angereist. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie man dort mit dieser Frage umgeht. ?Aber nein?, erwidert ein junger Mann, vor einigen Monaten noch ein Mädchen. Der örtliche Mullah hätte es allen lang und breit dargelegt, den Koran in der Hand, damit sei die Sache erledigt gewesen, und niemand wage es mehr zu lästern, was früher ganz schön oft geschehen war.
Ist gerade kein Mullah zur Hand, geht die Sache längst nicht so sang- und klanglos über die Bühne. Da wird nicht nur hinter dem Rücken der Operierten herumgeredet. So einer oder eine kann sicher sein: Er oder sie wird nicht nur aus der Gesellschaft ausgestoßen, sondern auch die eigene Familie hat so ihre Bedenken. So lebt zum Beispiel im religiösen Südteheran eine alleinstehende Frau, ein früherer Lastwagenfahrer und Ehemann mit zwei Kindern. Seit der ersten Operation hat sich niemand von ihnen mehr in der Hinterhofwohnung gemeldet. Die Nachbarn meiden sie. Weil Frauen keine Lastwagen fahren dürfen, hat sie keinen Job, und sie wird so schnell keinen bekommen. Ihr steht eine elende Zukunft bevor.
Jüngst, eines Abends, mitten im Zentrum, auf dem Weg vom Hotel zum Schnellimbiss, kam uns eine Transsexuelle entgegen. Weil sie unsere Kamera gesehen hatte, heftete sie sich an unsere Fersen und weinte sich die Seele aus dem Leib, sie wüsste nicht wohin, weil sie einer verfolgen und verprügeln würde, stöhnte sie. Wir waren hilflos. So eine kann man doch nicht auf die nächste Polizeistation schicken, wer weiß, was ihr droht, wenn sich Khomeinis Fatwa noch nicht bis zum letzten Ordnungshüter herumgesprochen hat.
Am Ende unserer Reportage über Irans Transsexuelle fahren wir sicherheitshalber nach Qom, um mit eigenen Ohren zu hören, ob das Ganze nicht eine der üblichen vorübergehenden Regeln sei, morgen schon wieder abgeschafft. Wieder erwartet uns ein kleines Wunder. Mit todernster Stimme erzählt uns ein Mullah, Spezialist für sexuelle Fragen und deren Auslegung, man hätte uns keineswegs einen Bären aufgebunden. Es sei so, Frauen dürften sich zu Männern operieren lassen und umgekehrt. Irgendwann landen wir beim Thema Homosexualität, daraufhin meint der Mann im gleichen Tonfall, dies sei ein schweres Vergehen, und man hätte mit der Höchststrafe zu rechnen, das würden wir ja wohl wissen, oder?
Die armen Iraner kennen sich kaum mehr aus: Transsexualität ist erlaubt, ehebrechende Frauen werden in ein Loch gesteckt und mit Steinen beworfen, bis sie elend zugrunde gehen, Vielehen hingegen sind legal, Homosexualität jedoch nicht.(?)
Neulich verlangte der Innenminister, ein islamischer Geistlicher, man solle die ?Zeitehen? offiziell wiederaufleben lassen, schließlich seien sie eine gute alte Tradition, daran sei nichts verwerflich. Er argumentierte, bei einer so jungen Bevölkerung wie der iranischen würde man damit eine Reihe von sozialen Problemen lösen, wobei niemand verstand, was er damit meinte, und ein Bekannter es so interpretierte, dass der Minister sozial mit sexuell verwechselt hatte. Trotzdem, jeder verstand den versteckten Sinn der Botschaft: Junge Pärchen könnten sich unter dem Deckmantel der Zeitehe treffen, ohne des außerehelichen Verkehrs beschuldigt zu werden, sprich ohne gleich Kopf und Kragen zu riskieren. Es war, als wäre eine Bombe hochgegangen. Von allen Seiten meldeten sich Mullahs mit Einwänden, etwa dass damit nichts anderes als das Allerschlimmste gefördert würde, nämlich Prostitution! Niemand solle sich einbilden, so etwas wäre in der Islamischen Republik vertretbar!
Antonia Rados berichtet für Fernsehsender aus dem Irak und Iran. Für ihre Reportagen erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. Der Beitrag ist ihrem soeben erschienenen Buch ?Zwei Atombomben dankend erhalten? (Heyne) entnommen
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