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Verbot russischer Bücher - Patriotische Zensur in der Ukraine

Die Ukraine hat die Einfuhr „antiukrainischer“ Bücher aus Russland verboten. Zuvor hatte Kiew bereits eine Reihe russlandfreundlicher Schauspieler und Sänger mit Einreiseverboten belegt, darunter den Franzosen Gérard Depardieu. Bürgerrechtler sprechen von einer „unheilvollen Entwicklung“

Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Marina Achmedowa ist die Diva des russischen Journalismus: In langen Kleidern reist sie durch die Kriegsgebiete und bringt alle zum Reden, vom ukrainischen General über den Chef des „Rechten Sektors“ bis zum Separatistenführer Sachartschenko.

Um größere politische Zusammenhänge schert sie sich wenig, in ihren Reportagen „menschelt“ es stets, oft im Übermaß. Ihre Reportagen, die Ende 2014 unter dem Titel „Ukrainische Lehrstunden“ in Russland erschienen, geben deshalb selten Antworten auf große politische Fragen.

Für den ukrainischen Geheimdienst SBU gehört das Buch dennoch in den Giftschrank: Anfang August veröffentlichte er eine Liste von 38 Büchern, die nicht mehr in die Ukraine eingeführt werden dürfen. Erstellt wurde die Liste von einer Expertenkommission im Kulturministerium.

Schutz vor „Methoden des Informationskrieges“


Die Einfuhr werde verboten, um die Bürger der Ukraine vor „Methoden des Informationskrieges und der Desinformation, vor der Verbreitung menschenverachtender, faschistischer, rassistischer und separatistischer Ideologien zu schützen und Angriffe auf die territoriale Integrität und die staatliche Verfassung der Ukraine abzuwehren“, heißt es zur Begründung.

Auf der Liste stehen neben Achmedowas Buch Werke des Eurasien-Ideologen Alexander Dugin, des russischen Nationalbolschewiken Eduard Limonow und von Sergej Glasjew, Ukraine-Berater von Präsident Putin. Es sind allesamt Pamphlete, die tatsächlich den Zerfall der Ukraine an die Wand malen und die Abspaltung der Krim und des Donbass als natürliche Folge des „faschistischen“ Umsturzes in Kiew darstellen. Kurzum – sie geben die in Russland verbreitete Sichtweise wieder.

Reporterin Achmedowa zeigt sich empört. „Ein solches Verbot ist keine besonders intelligente Entscheidung für ein Land, das behauptet, nun eine Demokratie geworden zu sein“, erklärt sie. Ihr Buch verschwand am Dienstag aus dem Katalog des ukrainischen Online-Händlers „Knigograd“. Was allerdings nur bedingt mit dem Verbot zu tun habe: „Unser Großhändler hat uns erklärt, dass er ohnehin seit Anfang des Jahres keinerlei propagandistische Literatur mehr aus Russland importiert“, erläutert Sergej Kowal, Verkaufsmanager bei „Knigograd.“

Auf Achmedowa persönlich scheint sich das Verbot allerdings nicht auszuwirken. Vor wenigen Tagen ist sie von einer Recherchereise in der Westukraine und Kiew zurückgekehrt.

Gérard Depardieu gefährdet plötzlich die nationale Sicherheit


Der französische Schauspieler Gérard Depardieu dagegen wird in den kommenden fünf Jahren von einer Reise nach Kiew absehen müssen. Wie Ende Juli bekannt wurde, steht er wegen seiner pro-russischen Einstellungen zusammen mit 13 anderen russischen Sängern und Schauspielern auf einer Liste von Personen, die laut Geheimdienst eine „Gefahr für die nationale Sicherheit“ der Ukraine darstellen. Die Liste veröffentlichte das Kulturministerium Ende Juli. Die betreffenden Personen sind mit einem Einreiseverbot belegt.

Gleichzeitig veröffentlichte das Ministerium eine „weiße Liste“ von ausländischen Musikern und Schauspielern, die aufgrund ihrer pro-ukrainischen Äußerungen von staatlicher Seite unterstützt werden sollen: Neben russischen Rockstars stehen auf der Liste auch der Scorpions-Sänger Klaus Meine, Regisseur Pédro Almodovar und Ex-US-Gouverneur und Schauspieler Arnold Schwarzenegger.

Ukrainische Regierungsmitglieder verteidigen die Maßnahme als angemessen. „Die Ukraine muss ihren Informationsraum vor böswilligen Interventionen von Seiten Russlands schützen“, sagt etwa Anton Geraschtschenko, Berater des Innenministers.

Auch die EU kämpft gegen russische Propaganda


Auch die EU will sich ab September gegen die russische Propaganda zur Wehr setzen, allerdings mit etwas anderen Mitteln: Das sogenannte „East StratCom Team“ soll in den sechs Ländern der Östlichen Nachbarschaft, darunter der Ukraine, aber auch Georgien und Moldawien unabhängige Medien stärken, Desinformationskampagnen entgegenwirken und ein positives Bild der EU-Aktivitäten in der Region vermitteln. Die EU-Strategie richtet sich gegen die russische Propaganda, die insbesondere in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, in denen die meisten Menschen Russisch verstehen, wirksam ist. In Russland selbst dagegen gibt es immer weniger unabhängige Informationsquellen: Im letzten Jahr etwa zwang die russische Medienaufsicht „Roskomnadzor“ die Internet-Provider, oppositionelle Seiten wie kasparov.ru oder den Blog des Antikorruptionskämpfer Alexej Nawalny zu sperren.

Im Falle der Ukraine kritisieren Bürgerrechtler jedoch die staatliche Willkür, die dem jetzigen Bücherverbot zugrunde liegt.

„Das ist eine unheilvolle Entwicklung, insbesondere für ein Land, das sich Europa auf die Fahnen geschrieben hat“, erklärt Josef Haslinger, Schriftsteller und Präsident des deutschen PEN-Clubs. Er sieht die Maßnahme als Fortsetzung einer Strategie, um die Bevölkerung ideologisch „auf Vordermann“ zu bringen. Er erinnert an die Verbote russischer Fernsehsender und hunderter russischer Filme, die über die vergangenen Monaten erlassen wurden. „Ende 2014 hat die Ukraine ein Informationsministerium eingeführt, das de facto nichts anderes ist als ein Propagandaministerium. Und das sucht sich dann eben seine Aufgaben“, so Haslinger.

Buchverbote „willkürlich und verfassungswidrig“


Der ukrainische Rechtsextremismus-Experte Anton Schechowzow, der sich beruflich etwa mit Eurasien-Ideologen wie Dugin beschäftigt, hält die staatlichen Verbote für „willkürlich und verfassungswidrig“. „Natürlich hat der Staat das Recht, bestimmte Fernsehsender zu verbieten, die Propaganda für den russischen Staat betreiben. Aber dazu muss es ein gerichtliches Urteil geben – und nicht die willkürliche Entscheidung eines Bürokraten“, so Schechowzow. Absurd sei etwa, dass nun zwar zwei Bücher Dugins verboten sind, alle anderen jedoch weiterhin verkauft werden dürfen.

Die betroffenen Russen nehmen das Verbot allerdings gelassen. Die meisten Bücher sind schließlich weiter als E-Books erhältlich – über administrative Grenzen hinweg. So sieht das auch der russische Nationalbolschewist Eduard Limonow, der einst als Sowjetdissident das Land in Richtung Paris und dann New York verließ. „Die ukrainischen Jugendlichen werden die verbotenen Bücher lesen“, sagte er der BBC. „Das hat mir in meiner Jugend auch gefallen.“

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