- Unter Gangstern und Dschihadis
Hinter der Fassade islamistischer Gruppen, die den Norden Malis besetzt haben, bündeln sich widersprüchliche Interessen. Es geht um Drogenhandel, Öl und die Vormacht im Sahel. Ausgerechnet hier soll die Bundeswehr für Ordnung sorgen?
Die Männer, jeder von Ihnen mit langem, buschigem Bart, trugen Kalaschnikow-Gewehre und Schaufeln. Um kurz nach fünf am Sonntagmorgen, der Himmel färbte sich hellblau, führten sie den Mann und die Frau zu den ausgehobenen Löchern mitten in Aguelhok, einem Marktflecken im Norden Malis, nicht weit von der Grenze zu Algerien entfernt. Bis zu den Schultern wurde das Paar eingegraben. Dann erhob einer der Männer die Stimme. „Er sagte, Allah habe diese Strafe befohlen“, berichtet später ein Augenzeuge. Andere sprechen davon, wie sie vor Angst versteinert zusahen, als die Islamisten mit Steinbrocken nach den beiden Köpfen warfen. „Die Frau hat laut geschrien, aber schon bald hing sie nur noch da – beim Mann hat es 15 Minuten gedauert, bis er tot war.“ Viele der 2000 Einwohner Aguelhoks flohen nach dem Exempel, das die neuen Herren im Norden Malis Ende Juli statuierten – aus Angst davor, die nächsten Opfer zu sein. Wer blieb, gehorchte.
Seit einem Militärputsch im März dieses Jahres ist der Norden Malis in der Hand von Rebellen und radikalen Islamisten. Die Autorität der neuen Übergangsregierung in der Hauptstadt Bamako beschränkt sich auf den Süden des Landes. Ein militärischer Einsatz der Europäischen Union könnte für Ordnung sorgen. Frankreich drängt zur Eile, will französische Sicherheitsinteressen in seinem „afrikanischen Hinterhof“ wahren. Die Bundesregierung versichert, es gehe nicht um einen Kampfeinsatz, sondern um eine Ausbildungsmission, an der sich Bundeswehrsoldaten beteiligen sollen. Eine militärische Intervention im Norden Malis obliege den Regierungstruppen und Soldaten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas.
Vor drei Jahren galt Mali noch als westafrikanische Vorzeigedemokratie, die Hauptstadt Bamako als Boomtown im Sahel. Überall wird gebaut, mit chinesischem Geld und auch mit Einnahmen aus dem Goldexport – Mali ist nach Südafrika und Ghana der drittgrößte Produzent des Edelmetalls. Die Stimmung in den Bars über dem träge dahinfließenden Niger-Fluss ist in dieser Zeit noch gut: Uranfunde und jüngst entdeckte Ölvorkommen lassen Geschäftsleute auf einen lang anhaltenden Aufschwung hoffen, und auch das Tourismusgeschäft wächst. In einer der pompösen Hotelneubauten aus Beton, Stahl und Glas treffe ich Mohamud al Faroukh. Er stammt aus dem Norden Malis, ein Tuareg. „Wir Tuareg bekommen vom neuen Reichtum Malis nichts ab“, erzählt er verbittert. „Unter dem Wüstensand liegen die Reichtümer, die die Politiker hier in Bamako verschachern, aber wir leben in absoluter Armut.“ Sosehr al Faroukh in dieser warmen Nacht von der Sahara schwärmt, so desillusioniert ist er von Malis politischer Klasse. „Das Einzige, was etwas ändern kann, ist eine Revolution“, sagt er.
Anfang 2012 ist es so weit. Die Zeichen für einen Aufstand der Tuareg stehen so günstig wie nie. „Nach dem Fall Gaddafis sind militärisch gut ausgebildete Tuaregkämpfer aus Libyen nach Mali zurückgekehrt“, erklärt Gilles Olakounlé Yabi, Westafrika-Direktor der International Crisis Group. „Sie kamen mit sehr vielen Waffen, mit Munition und Fahrzeugen – für die Tuareg im Norden Malis war das das entscheidende Signal.“ Als die Armee in Bamako den scheidenden Präsidenten Amadou Touré Ende März aus dem Amt putscht, besetzen die Tuaregkämpfer der Nationalen Bewegung für die Befreiung Azawads innerhalb eines langen Wochenendes den Norden Malis und rufen ihren eigenen Staat aus. „Azawad“ beginnt nördlich der Stadt Mopti und ist größer als der verbleibende Rest Malis. Eine Fluchtwelle setzt ein. Mehr als 200.000 Vertriebene innerhalb des Landes zählt die Uno, fast ebenso viele Malier fliehen in Nachbarländer.
Doch selbst Sympathisanten der Tuaregbewegung, die in den Städten Timbuktu, Gao und Kidal und den spärlich besiedelten Landstrichen dazwischen die Rebellion begrüßt haben, feiern nicht lange. Gaddafis Ex-Söldner erwerben sich schnell einen Ruf als Diebe, Plünderer und Vergewaltiger. Andere Tuaregverbündete agieren disziplinierter, etwa jene islamistischen Gruppen, die mit der Al Qaida im Islamischen Maghreb verbandelt sind. Seit gut zehn Jahren haben sich die aus den algerischen Salafisten hervorgegangenen Al‑Qaida‑Zellen im Norden Malis eingerichtet. „Im malischen Exil haben die Terroristen, deren Anführer zum ganz überwiegenden Teil aus Algerien stammen, immer mehr an Stärke gewonnen: Sie haben Leute entführt, Lösegelder kassiert und sich damit Kapital für ihren Kampf beschafft“, sagt Gilles Olakounlé Yabi. „Zudem profitieren sie vom Schmuggel von Drogen, Waffen und Menschen durch die Sahara – wenn sie das Geschäft nicht selbst betreiben, verlangen sie zumindest Schutzgelder.“ Die im Bürgerkrieg in Algerien gestählten Terroristen nutzen die erste Chance, die sich ihnen bietet, um die vermeintlich siegreichen Tuareg zurück in die Wüste zu schicken. Nach nicht einmal einem Vierteljahr ist der Traum vom Tuaregstaat ausgeträumt.
Seite 2: Was im Norden Malis geschieht, ist schwer herauszufinden
Was seitdem genau im Norden Malis geschieht, ist schwer herauszufinden. Nur wenige Journalisten, die meisten von ihnen Malier, trauen sich noch in den von Islamisten kontrollierten Norden. Einer von ihnen pendelt zwischen Bamako und Gao, aus Sicherheitsgründen nennen wir ihn Yusuf. Mit SMS-Kurznachrichten und E-Mails über seinen französischen Yahoo-Account schickt er Nachrichten aus der größten Stadt im Norden Malis. Knapp 70.000 Menschen lebten hier bis zum Einmarsch der Rebellen; heute ist es noch knapp die Hälfte.
Gao gilt heute als Basis der Bewegung für die Einheit und den heiligen Krieg in Westafrika, kurz Mujao. Ihre Kämpfer sind es, die die letzten Tuareg‑Truppen der Nationalen Bewegung für die Befreiung Azawads Ende Juni endgültig aus der Stadt gejagt haben. Seitdem beherrschen die Islamisten Gao. „Vor zwei Monaten hat ein Scharia-Gericht eine Bande von Straßenräubern verurteilt“, berichtet Yusuf. „Sie haben den fünf Männern je einen Fuß und eine Hand amputiert, einem davon öffentlich auf dem Marktplatz.“
Danach brachten die neuen Herrscher die Straßenräuber in eine Klinik, um Beinund Armstümpfe behandeln zu lassen. „Wir haben ihnen neue Kleider gegeben, und wenn sie entlassen werden, geben wir ihnen Geld, weil sie unsere Brüder sind“, wird der Kommandant der neuen Religionspolizei zitiert, die in die Wachen der staatlichen Sicherheitskräfte eingezogen ist. Bei weitem nicht alle der strengen Sittenwächter (und der Kämpfer) sind Malier: Nigerianer sollen unter ihnen sein, Mitglieder der islamistischen Terrorbewegung Boko Haram; Mauretanier, Nigerer, Senegalesen und nicht zuletzt Männer aus der Westsahara, die seit Mitte der siebziger Jahre gegen die marokkanische Besatzung kämpfen – weitgehend unbeachtet von der Welt.
Gut 300 Westsaharer sollen in den Reihen der malischen Islamisten kämpfen, die meisten für die Bewegung für die Einheit und den heiligen Krieg in Westafrika. „Viele Westsaharer sind im Flüchtlingslager geboren und dort aufgewachsen“, beschreibt der westsaharische Lyriker Limam Boisha die Lebensbedingungen seines Volkes nach fast vier Jahrzehnten Vertreibung. Mehr als 110.000 Flüchtlinge leben alleine in den Wüstenlagern rund um die algerische Stadt Tindouf. „Wir Saharer pflegen traditionell einen toleranten Islam“, sagt Boisha. „Aber in den Lagern gibt es nichts zu tun, die Männer wissen nicht, was sie mit sich anfangen sollen.“ Aus Frust und Perspektivlosigkeit schließen sich vor allem junge Männer Al Qaida an.
Islamismus ist unter den Westsaharern kein neues Phänomen: Schon in den neunziger Jahren rekrutierten algerische Salafisten in den Lagern rund um Tindouf. Sowohl in Mauretanien als auch im Norden Malis wurden seit 2007 Westsaharer, die der Al Qaida im Islamischen Maghreb nahe standen, als mutmaßliche Terroristen verhaftet. Im Oktober 2011 schließlich wurden humanitäre Helfer – zwei Spanier und ein Italiener – in einem westsaharischen Flüchtlingslager entführt. Als sie im Juli dieses Jahres freigelassen werden, wird in Gao ausgelassen gefeiert. „Angeblich soll die Bewegung für die Einheit und den heiligen Krieg in Westafrika 15 Millionen Euro Lösegeld erhalten haben“, sagt Yusuf.
Seite 3: Statt mit der Peitsche herrschen die Islamisten in Gao inzwischen mit viel Zuckerbrot
Es ist Geld, das die Islamisten klug investieren. „Die Leute fliehen nicht mehr, viele kommen sogar zurück“, beobachtet Yusuf. „Die Angst hat nachgelassen, mit ihrem Geld kauft die Mujao nicht nur neue Rekruten, sondern auch Unterstützung in der Bevölkerung.“ Statt mit der Peitsche, herrschen die Islamisten in Gao inzwischen mit viel Zuckerbrot. „Die Mujao achtet zum Beispiel genau darauf, dass die Krankenhäuser offen sind und funktionieren“, berichtet Hannes Stegemann, Afrikaexperte der Caritas. Stegemann, der mit Bewohnern von Gao, Timbuktu und Kidal in Verbindung steht, sieht auch sonst eine weitgehende Rückkehr von Normalität im Alltag. „Die Märkte sind voll, frische Lebensmittel und Benzin werden aus Algerien importiert. Die Islamisten bemühen sich erfolgreich um Rückhalt in der Bevölkerung, und die Bevölkerung hat sich mit den neuen Machthabern weitgehend arrangiert.“ Zwar gelten nach wie vor drakonische Strafen für jeden, der raucht, Alkohol trinkt oder auch nur Musik hört. Dafür gibt es praktisch keine Kriminalität mehr.
Offiziell sind es drei Gruppen, die heute den Norden unter sich aufgeteilt haben: Die Bewegung für die Einheit und den heiligen Krieg in Westafrika hält Gao, Al Qaida im islamischen Maghreb Timbuktu, und Kidal im Nordosten Malis wird von der Ansar Dine-Miliz kontrolliert. Die Miliz bezeichnet sich selbst als islamistische Abspaltung der Nationalen Bewegung zur Befreiung Azawads. Was und wer genau hinter diesen Gruppen steckt, ist unklar. Nicht wenige glauben, dass die Bewegung für die Einheit und den heiligen Krieg in Westafrika in Wirklichkeit eine Zelle von Al Qaida im Islamischen Maghreb ist. Ansar Dine betont unterdessen immer wieder seine engen Verflechtungen nach Algerien, das nach Gaddafis Sturz im Sahel die neue Vormacht werden will. „Algerien kennt uns gut und weiß, dass wir keine terroristische Gruppe sind“, sagt etwa der Ansar Dine- Unterhändler Scheikh Awisa. Der Sprecher der Miliz, Sanda Ould Bouamama, betont dagegen: „Wir sind eine islamistische Bewegung und pflegen eine brüderliche Beziehung zu Al Qaida.“
Der Anführer von Ansar Dine, Iyad Ag Ghaly, hat den Ruf eines Wüsten-Wendehalses. Welchen Bestand die Verhandlungen haben, die er im November in Burkina Faso begonnen hat, ist unklar. Viele glauben, dass Ansar Dine eher einen neuen Führer bekommt, als dass die Gruppe ein Friedensabkommen mitträgt. Außerhalb der Städte sind die Kämpfer vor allem denjenigen verpflichtet, die am besten zahlen. Doch woher stammt das Geld, mit dem die Islamisten um sich werfen? Manche Analysten wie Gilles Olakounlé Yabi glauben, dass sich die Kämpfer am ehesten als „Gangster-Dschihadis“ charakterisieren lassen – Kriminelle, die mit dem Putsch ihre illegalen Geschäfte fördern wollen. Hannes Stegemann, der 17 Jahre in Afrika gelebt hat, hält das kriminelle Geschäft dagegen für nebensächlich. „Es gibt viel logischere Drogenrouten von Südamerika nach Europa als den Weg durch die Sahara –, und bisher habe ich noch keinen Beleg dafür gesehen, dass in der Sahara Drogenschmuggel im großen Stil stattfindet.“
Für stichhaltiger hält Stegemann Gerüchte über Geld, das aus dem Emirat Katar in den Norden Malis fließen soll. Auch Yusuf hat Gerüchte über Waffen und Millionen in bar gehört, die an alle drei islamistischen Bewegungen geflossen sein sollen. Das Motiv: Öl. Im Norden Malis liegt ein großer Abschnitt des Taoudeni-Beckens, in dem reiche Öl- und Gasvorkommen vermutet werden. Angebliche Vorabsprachen mit dem französischen Staatskonzern Total wären gegenstandslos, wenn der Norden Malis unter Kontrolle der Rebellen bliebe – was seinerseits das Interesse Frankreichs an einer militärischen Intervention erklärt. Interessen am Öl hat auch Algerien, das über seinen Staatskonzern Sonatrach an der Exploration beteiligt ist. Paris ist zudem sehr an möglichen Uranvorkommen interessiert: Die Ausbeute im Norden des Nachbarlands Niger reicht dem französischen Konzern Areva nicht aus.
Einer europäischen Einmischung sieht man in Mali eher skeptisch entgegen – sicher auch, weil die aus dem Putsch hervorgegangene Regierung in Bamako nur wenig Vertrauen in der Bevölkerung genießt. „In Mopti sammeln sich bereits Freiwillige, um selber den Norden zu befreien“, sagt Yusuf. Die „Ganda Koy“ ist eine traditionelle Miliz der Songhai, einer der bedeutendsten Ethnien im Norden Malis. Es sind Männer und Frauen, die ihre Heimatstädte von den Islamisten befreien wollen. Ob sie nach einem Sieg bereit sein werden, die Macht wieder an Bamako abzugeben, ist fraglich. „In der Vergangenheit hat ihnen das nichts Gutes gebracht“, sagt Yusuf.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.