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Referendum in den Niederlanden - Die Perversion der Demokratie

Bei dem Referendum in den Niederlanden wurden die Unterstützer des EU-Ukraine-Abkommens darin bestraft, dass sie ihr Stimmrecht ausübten. Das zeigt, dass direkte Demokratie tatsächlich zu weniger Demokratie führt

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Wer am Morgen nach diesem unglücklichen Referendum in den Niederlanden die Zeitung aufschlug oder sich durch die Onlineseiten klickte, musste ein betrübliches Bild von unseren Nachbarn erhalten: „Ein klares Nee richtet sich gegen Europa“, „Nee“ zum Ukraine-Abkommen, „Nee“ zur EU, so lauteten einige der Schlagzeilen. Die BILD-Zeitung meldete „Niederlande stimmen gegen EU-Ukraine-Abkommen“, 64 Prozent der Wähler hätten engere Beziehungen zur Ukraine abgelehnt – ohne auch nur in einem einzigen Satz zu erklären, dass das 30-Prozent-Quorum wackelte. Am Donnerstag war klar: Es wurde nur ganz knapp erreicht, mit 32 Prozent.

Von einer „klaren Mehrheit“ kann keine Rede sein. Wenn man das Ergebnis betrachtet, ist das Gegenteil wahr: Gerade mal ein Fünftel der Holländer stimmte gegen das Assoziierungsabkommen. Zwar ist das Referendum nicht bindend. Aber es zwingt das Parlament, sich erneut mit einer Sache zu befassen.

Wer mit Ja stimmte, wurde bestraft


Das Referendum war eine Unverfrorenheit. Erstens, weil es von Populisten orchestriert wurde, die den Wählern auch noch vorgespiegelt hatten, es sei um einen EU-Beitritt der Ukraine gegangen. Zweitens, weil die Abstimmung alle demokratischen Prinzipien verdrehte.

Wer für das Assoziierungsabkommen stimmen wollte, saß in einer Falle: Stimmte er an der Wahlurne mit „Ja“, sorgte er dafür, dass das Quorum erfüllt wurde – und half den Populisten. Das betraf genau 36 Prozent der Teilnehmer. Sie wurden dafür bestraft, dass sie ihr Stimmrecht ausübten. Sinnvoller wäre es für sie gewesen, gleich ganz zu Hause zu bleiben. Dann wäre das Quorum nie erreicht worden, Geert Wilders wäre krachend gescheitert. Thema erledigt.

Das Referendum war also nicht nur europafeindlich. Es war eine Perversion der Demokratie.

Mehr direkte Demokratie ist kein Allheilmittel


Wer jetzt, wie der EVP-Fraktionschef Manfred Weber, mehr Bürgerbeteiligung in Europa fordert, zieht daraus die falschen Konsequenzen.

Mehr direkte Demokratie ist nicht das Allheilmittel, mit dem sich Politikverdrossenheit und die Entfremdung zwischen oben und unten bekämpfen lassen. Wie der Politikwissenschaftler Armin Schäfer seit langem warnt, verschärft sie die Ungleichheit noch. Zahlreiche Volksentscheidungen auf nationalen und regionalen Ebenen haben gezeigt: Einkommens- und bildungsstarke Bevölkerungsschichten bringen ihre Interessen viel stärker in den politischen Prozess ein als benachteiligte Gruppen.

Dass es holländischen Populisten mit diesen Mitteln gelang, Bürger unter völlig falschen Annahmen ihres Handels an die Urnen zu locken und so das niederländische Parlament, ja ganz Europa in Geiselhaft zu nehmen, ist ein handfester Skandal: Wahltagsbefragungen in den Niederlanden zeigten, dass viele überhaupt nicht wussten, worum es in dem Referendum ging.

Das Plebiszit schwächt die Parlamente


Der Politikwissenschaftler Markus Linden vom Forschungszentrum Europa an der Universität Trier hat jüngst in der „Frankfurter Allgemeinen“ herausgearbeitet, welche Gefahr zu viel direkte Demokratie birgt. Das kann man in Hamburg betrachten, wo das Wahlrecht mit plebiszitären Elementen ergänzt wurde. Es wurde in großen Teilen nach den Vorstellungen des Vereins „Mehr Demokratie“ reformiert. Bei der Bürgerschaftswahl 2015 dann gab es sehr viele ungültige Stimmen. Viele Menschen waren von der Listenwahl schlicht überfordert. Zudem habe das neue 10-Stimmen-Modell zu einer starken Personalisierung geführt, schrieb Linden. Auch in Thüringen darf „Mehr Demokratie“ demnächst einen neuen Gesetzentwurf für kommunale Bürgerbegehren und Bürgerentscheide ausarbeiten.

Der Ausbau des Plebiszits aber geht auf Kosten der Parlamente. Sie sind eigentlich das Herzstück der Demokratie. Die Antwort auf die Legitimitätskrise in Europa darf nicht die Zunahme nationaler Referenden sein, sondern die Stärkung der repräsentativen Funktion – des Europäischen Parlaments.

„Mehr Demokratie“ hatte das von Rechtspopulisten initiierte holländische Referendum übrigens am Dienstag in einer Pressemitteilung gefeiert – als „Erstes von Bürger/innen ausgelöstes Referendum“. Am Donnerstag, als das verheerende Ergebnis feststand, hörte man von „Mehr Demokratie“ dann nichts mehr. Auf der Webseite: kein Kommentar.

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