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Putin verschärft Netz-Zensur - Die kritischen Geister aus dem Internet

Putin will das Netz stärker regulieren. Ab August nimmt dafür ein neues Gesetz russische Blogger an die Kandare. Damit öffnet Russlands Präsident der Internet-Zensur Tür und Tor

Autoreninfo

Mandy Ganske-Zapf arbeitet als freie Journalistin in Magdeburg. Sie studierte in Potsdam und St. Petersburg Politik- und Medienwissenschaften sowie VWL und ist Mitglied bei n-ost – Netzwerk für Osteuropaberichterstattung e.V.

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Ein Bild macht die Runde im Web – und mit ihm die Häme über die wertlose Ausbeute der russischen Polizei. Unter dem Titel „Schlechter, guter Mensch“ ist darauf ein versoffener, dröger Punk in der Umgebung globalisierter Popkultur zu sehen, daneben ein strahlender, athletischer Bursche unter dem alleinigen Einfluss Russlands. Die Collage war in Alexej Nawalnys Wohnung, als Ermittler an einem Freitag im Juni um 4 Uhr morgens unangekündigt auftauchten und alles durchsuchten. Nawalny ist der bekannteste Blogger Russlands. Er steht seit Monaten unter Anklage und Hausarrest.

Das Bild vom „Schlechten, guten Menschen“, das beschlagnahmt wurde und trotzdem seinen Weg ins Internet fand, symbolisiert das gegenwärtige Klima unter Präsident Wladimir Putin in Russland. Konservative Werte erfahren eine massive Renaissance. Neben dem unlängst weltweit für Empörung sorgenden Verbot von „Homosexuellenpropaganda“ zeigen das zahlreiche weitere Verbotsvorstöße, gegen Schimpfwörter in Medien, Liedgut und Kunst, gegen die Benutzung fremdsprachlicher Ausdrücke oder gegen das Tragen von hochhackigen Schuhen. Nicht für alles, was diskutiert wird, gibt es am Ende tatsächlich auch ein Gesetz. Für alles, was im Moment das Internet betrifft, aber schon. So soll das Netz vom 1. August an stärker reguliert werden. Blogger mit täglich mehr als 3000 Lesern sollen sich beim Staat registrieren. Alle Leser-Kommentare sollen sechs Monate auf Vorrat gespeichert werden. Wie Massenmedien könnten die Blogger für ihre Texte künftig strafrechtlich belangt werden. In Deutschland hat jüngst der Bundesgerichtshof dagegen festgehalten, dass Internetportale die Daten ihrer Nutzer nicht herausgeben müssen, die Verfasser von Kommentaren also anonym bleiben. Was es mit diesem neuen Regelwerk in Russland genau auf sich hat, lässt sich am Fall von Alexej Nawalny erklären.

Alles begann für den 38-jährigen Anwalt mit einem kleinen Blog und Aktienanteilen an großen Staatskonzernen, die ihm für Einblicke in Firmen-Interna ermöglichten. Bald wurde sein Blog zur Enthüllungsplattform für die Korruption in der russischen Elite. Nawalny wurde Meinungsführer im Netz, Star der außerparlamentarischen Straßenopposition, stieg auf zur Identifikationsfigur für Protestwähler und schnitt als Kandidat zur Moskauer Bürgermeisterwahl im vergangenen Sommer überraschend gut neben dem siegreichen Amtsinhaber ab. Die Durchsuchung nun, die nicht viel mehr als dieses Bild vom „Schlechten, guten Menschen“ für die Staatsanwaltschaft zutage förderte, galt offiziell einer Strafsache, der er sich vor acht Jahren schuldig gemacht haben soll: angeblich Veruntreuung. Denselben Stempel trägt eine schon verhängte Bewährungsstrafe, und eine weitere laufende Anklage. Sein Blog, soviel ist klar, blieb keine harmlose Seite zum Wettern und Ätzen gegen die etablierte Politik, sondern entfaltete Wirkung in die Gesellschaft hinein. Nawalny gewann Publikum und Unterstützer, 670 000 Follower sind es heute auf Twitter und 3000 freiwillige Helfer seinerzeit im Moskauer Wahlkampf.

Selbstzensur aus Angst vor Internetsperren

Das neue Gesetz richtet sich gegen populäre, hartnäckige Kritiker im Web wie ihn, oder gegen solche, die es werden könnten. Anders ist nicht zu erklären, dass die Meldepflicht nur für Blogger mit einer gewissen Mindestleserschaft eingeführt werden soll. Die digitale Sphäre reagiert mit Selbstschutz und Selbstzensur: Die marktführende Suchmaschine Yandex, das russische Pendant zu Google, hat seine Blogcharts gestrichen. Auch das Livejournal, die beliebteste Blog-Plattform in Russland, gibt ab 2500 Lesern täglich keine Zahlen mehr an. Oleg Kosyrew, einer der meistgelesenen Blogger im russischen Web, hat bei sich sofort die Kommentarfunktion eingeschränkt, weil er befürchtet, gesetzeswidrige Lesereinträge könnten Anlass geben, seinen Blog einfach zu sperren.

Für Websperren waren die Grundlagen in jüngster Zeit systematisch ausgeweitet worden und hängen mittlerweile wie ein Damoklesschwert über der Netzgemeinde. Offiziell wird mit dem Kampf gegen Extremismus und Terrorismus, Kinderpornographie, Verherrlichung von Drogenmissbrauch und öffentliche Anleitungen zum Selbstmord argumentiert – was durchaus eine gesellschaftliche Debatte spiegelt, so dass auch kremlkritische Politiker diese Gesetze mittrugen. Internetaktivisten hatten jedoch früh davor gewarnt, dass damit ein Einfallstor für die Zensur unliebsamer Stimmen geschaffen würde, mit der jüngsten Verschärfung auch gegen Protestaufrufe im Web. Diese Befürchtungen haben sich während der Ukraine-Krise offen bewahrheitet: Ausgerechnet wenige Tage vor dem Abspaltungsreferendum auf der Krim gingen ohne Vorwarnung die unabhängigen, putinkritischen Webportale grani.ru, kasparov.ru und ej.ru vom Netz. Ej-Chefredakteur Alexander Ryklin gehört zu Organisatoren von Protesten gegen Russlands Position im Ukraine-Konflikt und monierte erfolglos die fehlenden Angaben der Behörden zu den konkreten gesetzeswidrigen Inhalten, die sich auf den Seiten befinden sollen. Gerichte lehnten Einsprüche kurzerhand ab.

Blogger-Gesetz – ein Teil umfassender Regulierung

 

Internetexperten sind sich sicher, dass solche Sperren auch sozialen Netzwerken drohen könnten. Dagegen versichert Präsident Putin öffentlich das Gegenteil. Der Kreml will mit der Option im Hintergrund offenbar lieber Einfluss gewinnen, vor allem auf Facebook und Twitter – beide sind für Blogger, oppositionelle Politiker und Aktivisten zentrale Plattformen und waren in der Vergangenheit Katalysator für Proteste. Das neue Blogger-Gesetz soll sozialen Netzwerken unter anderem nun ganz klare Vorgaben für eine Vorratsdatenspeicherung über russische Nutzer machen, inklusive Verpflichtung zur Weitergabe an die Sicherheitsorgane. Twitter-Vize Colin Crowell war zu Gesprächen darüber in der vergangenen Woche eigens bei Medienaufsichts-Chef Alexander Scharow in Moskau – und wurde gleich noch mit der Bitte konfrontiert, ein Dutzend von Russland als „extremistisch“ eingestufte Accounts für das russische Territorium zu sperren. Einer solchen Anfrage ist Twitter kurz zuvor schon einmal nachgekommen, bei @PravyjSektorRus, dem russischsprachigen Social-Media-Kanal des ukrainischen ultranationalistischen „Rechten Sektors“.

So erweist sich das neue Gesetz als Teil einer Regulierungsoffensive. Es sieht auch vor, den Traffic ausländischer Dienstleister wie Twitter mit russischen Nutzern über Server in Russland zu führen. Der anerkannte Internetexperte Andrej Soldatow, glaubt, dass dieser Ansatz eines der Hauptanliegen des Kreml für das künftige Web in Russland ist – damit der Geheimdienst Zugang zu den Daten erhalte. Dass die Chefs der führenden Onlinegiganten von Yandex bis Mail.ru gegenüber Putin angesichts der Entwicklung nicht aufbegehren, beklagte er jetzt auf ej.ru. Bisher galt die Internetwirtschaft in Russland als robust gegenüber staatlichen Einflüssen – schon aus Geschäftsinteresse. Die kritischen Geister aus dem Internet, sie saßen auch in den Chefetagen jener Firmen, welche die Infrastruktur störungsfrei bereitstellten. Das seit 15 Jahren erste gemeinsame Treffen der führenden Köpfe mit dem russischen Präsidenten nannte Soldatow denn auch zynisch „Kongress der Unterlegenen“. Selbst das aktuelle Blogger-Gesetz sei nicht zur Sprache gekommen, ärgerte er sich.

Alexej Nawalny ist unterdessen im Internet nicht totzukriegen, obwohl auch sein Blog seit dem Krimreferendum wegen eines offiziellen Schreibverbots abgeschaltet ist. Er leitet seine Seite auf andere Server um, veröffentlicht weiter kompromittierendes Material und wurde gerade zu einer Geldstrafe von 300.000 Rubel (rund 6500 Euro) verurteilt. Daneben nimmt sich das neueste Strafverfahren harmlos aus. Wie sich herausstellte, gehört die beschlagnahmte Collage „Schlechter, guter Mensch“ nämlich einem Kleinkünstler, der seine Bilder reihenweise am Straßenrand aufhängt. Nawalny sagt, es war ein Geschenk von jemandem. Die Staatsanwaltschaft meint, es sei Diebstahl und wurde aktiv – während Nawalny ein Urteil in der noch laufenden Anklage wegen Veruntreuung eine Strafe von zehn Jahren Haft einbringen könnte.

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