- Ramphele – Einzelkämpferin im Seidenkostüm
Gemeinsam mit dem Bürgerrechtler Steve Biko gründete Mamphela Ramphele in den Siebzigern die „Black‑Consciousness‑Bewegung“ und erklärte dem Apartheidsregime den Kampf. Heute rebelliert die Südafrikanerin gegen die Politik ihrer einstigen Weggefährten. Ein Porträt
Einen solchen Ansturm hat der kleine Buchladen in Kapstadts Zentrum nicht oft erlebt. Bis auf die Straße hinaus stehen die Besucher, argwöhnisch beäugt von zwei Bodyguards im Innern. Angekündigt ist Mamphela Ramphele. Ehemalige Kämpferin gegen das Apartheidsregime und heute eine der angesehensten Intellektuellen im Land. Eine moralische Autorität, von Weißen wie von Schwarzen geschätzt. Sie ist bekannt dafür, Missstände anzuprangern und mit den Verantwortlichen schonungslos ins Gericht zu gehen. Auch sich mit dem Staatspräsidenten anzulegen, schreckt sie nicht. Das kommt bei den Mächtigen im Land nicht immer gut an. Womöglich hat sie auch deswegen die Bodyguards dabei.
In einem eleganten türkisfarbenen Seidenkostüm sitzt sie auf dem Podium, eine zierliche ältere Dame mit einem freundlichen Lächeln. Schnell aber wird klar, dass sie nicht jedem freundlich zugetan ist. „Wir haben eine Regierung, die auf jedem Gebiet, an dem demokratische Regierungen gemessen werden, versagt hat: im Bildungswesen, im Gesundheitswesen, in der Sicherheit, dem Arbeitsmarkt“, wettert sie mit einer durchdringenden Stimme. „Dennoch ist diese Regierung davon überzeugt, wiedergewählt zu werden. Warum? Weil in diesem Land die Parteibosse und nicht die Bürger regieren.“
Ramphele ist 64 Jahre alt und hat in ihrem Leben eigentlich genug gekämpft. In den siebziger Jahren gründete sie an der Seite des noch heute als Held verehrten Bürgerrechtlers Steve Biko die „Black Consciousness Bewegung“ mit. Mehrere Jahre wurde sie deswegen in ein Dorf verbannt. Sie brachte Bikos Sohn auf die Welt, kurz nachdem der Aktivist an den Folgen von Folterung im Gefängnis ums Leben gekommen war.
Die Großmutter, die sich weigert, einer Partei beizutreten, wird nicht müde. Es geht wieder um den alten Traum. Doch diesmal zieht sie nicht gegen eine weiße Minderheitsregierung zu Felde. Es sind die eigenen früheren Genossen, von denen viele vergessen zu haben scheinen, wofür sie einst ihr Leben aufs Spiel setzten. „Unser Fehler war es, die Macht an unsere Freiheitskämpfer zu übergeben, statt die Dinge selbst in die Hand zu nehmen“, sagt sie, „so sind wir in der Rolle der Almosenempfänger geblieben, abhängig, ohne Selbstbewusstsein.“
Nach solchen deutlichen Worten lechzen viele Menschen in Südafrika. 18 Jahre seit dem Ende der Rassentrennung ist die Frustration über die enorme Einkommensungleichheit groß. Fast täglich finden in Armenvierteln Proteste wegen schlechter staatlicher Leistungen statt. Gleichzeitig ist von immer neuen Skandalen zu lesen – ob sich Staatspräsident Jacob Zuma eine Luxusresidenz bauen lässt, oder der frühere Chef der ANC-Jugendliga, Julius Malema, sich an öffentlichen Aufträgen in seiner Heimatprovinz bereichert.
„Für die normalen Leute hat sich nicht viel geändert, nur haben die Weißen immer mehr Schuldgefühle, und die Schwarzen empfinden immer mehr Wut“, bilanziert Ramphele. „Die meisten von uns sind nicht frei. Warum? Weil wir eine Regierung haben, die zwar aus der Freiheitsbewegung hervorgegangen ist, aber in die Fußstapfen ihrer Vorgänger tritt.“
Ramphele selbst wuchs in armen Verhältnissen mit sechs Geschwistern auf. Die Mutter spornte die Kinder frühzeitig zu Leistung an. Die junge schwarze Frau studierte Medizin, arbeitete auch in der Verbannung als Ärztin. Nach der Wende erlebte sie eine steile Karriere, wurde zur Rektorin der Universität in Kapstadt und gehörte später als erste Südafrikanerin dem Direktorium der Weltbank an. Heute sitzt sie in den Aufsichtsräten von Rohstoffkonzernen, schreibt Bücher, tritt in der Öffentlichkeit auf.
Die Medizinerin belässt es jedoch nicht bei der Diagnose. Vor kurzem hat Ramphele die Organisation „Citizens Movement for Social Change“ gegründet, welche die junge konstitutionelle Demokratie Südafrika „aus den Teenagerjahren“ ins Erwachsenenalter befördern soll. „Wir haben in diesem Land Bürger ohne Macht, weil sie ihre Rechte nicht kennen und ihnen nie jemand beigebracht hat, diese Rechte auszuüben.“
Viele aber wünschen sich mehr. Immer wieder wird sie gefragt, ob sie für das Präsidentenamt kandidieren will. Doch immer wieder lehnt sie ab. „Was soll das bewirken? Wir suchen wieder einen Messias, anstatt dass sich jeder selbst fragt, was er heute tun kann, damit dieses Land wirklich frei ist.“
Gut 1000 Kilometer von dem Buchladen entfernt gehen die außer Kontrolle geratenen Arbeitskämpfe weiter, auch in den Minen eines Goldförderers, dem Ramphele vorsteht. Streikbrecher werden systematisch verfolgt und gelyncht. Ihre Beschreibung einer wohlgeordneten Demokratie könnte kaum gegensätzlicher sein. Doch die Einzelkämpferin im Seidenkostüm lässt sich die Zuversicht nicht nehmen. „Ich glaube an diese Nation, es ist eine großartige Nation“, ruft sie zum Abschied. „Und eine Krise ist eine wertvolle Gelegenheit, die man nie ungenutzt verstreichen lassen sollte.“
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