- Mit Tsipras kommt der Grexit
Bis zuletzt glaubten die meisten Krisenbeobachter, die Regierung Tsipras würde im Amt schon zur Vernunft kommen. Ist sie aber nicht. Die Verhandlungen sind gescheitert. Bereits im Januar, noch vor der Wahl Tsipras', warnte Cicero-Chefredakteur Christoph Schwennicke vor einer möglichen Regierung der Linkspopulisten. Wenn diese Regierung komme, dann sei der Grexit wahrscheinlich
Das klassische griechische Drama nach der Poetik des Aristoteles kennt vor der Katastrophe das so genannte retardierende Moment. Es lässt beim Publikum nach der Peripetie (dem Wendepunkt der Handlung) kurz die Hoffnung keimen, das Unheil lasse sich doch nach ab- und alles zum Guten wenden.
Die Amtszeit des griechischen Premiers Antonis Samaras ist (oder: war) so ein retardierendes Moment. Von Brüssel und Kerneuropa aus betrachtet sah es einige Zeit so aus, als könne der konservative Regierungschef nach einer steilen Lernkurve vom Populisten zum Pragmatiker das Land auf einen guten Kurs bringen. Ein Kurs freilich, der der griechischen Bevölkerung ein hohes Maß an Entbehrung abverlangt. Im Prinzip wird Griechenland seit einigen Jahren von der EU und dem IWF zwangsverwaltet, und der jeweilige Regierungschef in Athen ist mehr oder minder der Statthalter der politischen Vormundschaft.
Syriza: Ein Parteiprogramm wie aus Sonneborns Feder
Nun hat es Samaras nicht geschafft, seinen Präsidentenkandidaten durch die Wahl im Parlament zu bringen. Die Folge sind Neuwahlen Ende Januar, die mutmaßlich der linkspopulistische Scharfmacher Alexis Tsipras des Parteienbündnisses Syriza für sich entscheiden wird. Sein Programm ist so absurd, dass es vom Politsatiriker Martin Sonneborn stammen könnte, nur ist es nicht so witzig. Die Kreditverträge mit der EU und dem IWF für nichtig erklären, den Beamtenapparat wieder aufblähen, fröhliches Leben auf Pump, alles wieder wie früher, das ist Tspipras‘ Botschaft.
Bei allem Verständnis für das Leid der griechischen Bevölkerung unter dem beinharten Reform-Regime der Europäischen Union: Die Opferhaltung, aus der Tsipras politischen Profit schlägt, verkennt Ursache und Wirkung. Es geht nicht darum, dass sadistische Regierungschefs anderer Euro-Länder, allen voran eine Art deutsche Lack-und-Lederlady aus einem Berliner SM-Studio namens Kanzleramt ihre Quällust an Griechenland ausleben. Es geht darum, einem Land, dessen öffentliche Finanzen ruinös sind, in einem absehbaren Zeitraum wieder eine finanzielle Grundlage zu geben. Ein Land, das sich in den Euro geschummelt hat, wieder zu konsolidieren, bevor es die ganze Eurozone in den Abgrund reißt.
Die zwei möglichen Szenarien für Griechenland
Ja, was mit Griechenland gerade passiert, ist kalter Entzug. Aber es geht nicht anders. Es geht nur so.
Deshalb gibt es nach der möglichen Wahl des Alexis Tsipras nur zwei Szenarien. Entweder der Mann begreift schnell, dass er sich in die Rolle des Statthalters europäischer Vorgaben fügen muss.
Oder die Mitglieder der Eurozone befreien das Land vom ungeliebten Kuratel und sorgen dafür, dass der Euro nicht länger Zahlungsmittel in Griechenland ist. Wenn Tsipras sein Programm ernst meint, kann nur der Grexit, Griechenlands Austritt aus dem Euro die Antwort sein.
Griechisches Trauerspiel seit vier Jahren
Ist ein anderes Ende noch vorstellbar? Seit vier Jahren immerhin geht dieses griechische Trauerspiel nun schon, seit Ausbruch der Staatsfinanzkrise, die Jahrzehnte des Schlendrians und der Misswirtschaft nicht mitgerechnet. Und wenn die Bevölkerung mit der Wahl Tsipras‘ beschließt, das Griechenland nicht (mehr) zu helfen ist, dann soll das so sein.
Aristoteles' Anmerkungen zur Struktur des klassischen Dramas beziehen sich übrigens ausschließlich auf die Tragödie. Was er zur Komödie, dem Drama mit glücklichem Ausgang, zu sagen hatte, ist entweder nie von ihm aufgeschrieben worden oder seit jeher verschollen. Und ein Gott aus dem Schnürboden, ein Deus ex machina, wie ihn die antike griechische Tragödie als (vorübergehenden) Heilsbringer kennt, ist dieser Alexis Tsipras entgegen der Wahrnehmung vieler Griechen zu allerletzt.
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