- Mursi will in Berlin um Vertrauen werben
Ägypten wird von blutigen Krawallen erschüttert. Dennoch reist Präsident Mursi nach Berlin. Welche Erwartungen gibt es an das Treffen?
Ägyptens Verteidigungsminister warnt bereits vor einem „Zusammenbruch“ des Landes. Doch trotz anhaltender blutiger Unruhen reist Ägyptens Präsident Mohammed Mursi am heutigen Mittwoch zu einem Besuch nach Berlin, den er allerdings erheblich verkürzt hat. Mursi werde nicht wie geplant für zwei Tage, sondern nur für wenige Stunden nach Berlin kommen, um mit Kanzlerin Angela Merkel zusammenzutreffen, sagte ein Sprecher des Präsidialamtes in Kairo am Dienstagabend. Einen Besuch in Frankreich sagte Mursi ganz ab. Die deutschen Gastgeber erwarten, dass Mursi mit seiner Reise handfeste Interessen verfolgt: Wegen der schlechten Wirtschaftslage in Ägypten will er bei der Bundesregierung um Finanzhilfen, bei Unternehmen um Investitionen und in der deutschen Öffentlichkeit um Touristen werben, die seit dem Umsturz vor zwei Jahren ausbleiben.
Was fordern die Deutschen von Präsident
Mursi?
Die ägyptische Interessenlage gibt der Bundesregierung einen Hebel
in die Hand. Mursis Gastgeber wollen von ihm wissen, wie er sein
instabiles Land wieder befrieden will und ob er dazu bereit ist,
der Opposition Zugeständnisse zu machen. Am liebsten sähen es die
Deutschen, wenn Mursi auch Änderungen der umstrittenen Verfassung
prüfen würde.
Bei Deutschland steht Ägypten mit 2,5 Milliarden Euro in der Kreide. Einen schon vereinbarten Erlass von 240 Millionen Euro Schulden wollen die Deutschen wegen der unklaren Lage aufschieben. Allenfalls eine kleinere Tranche von etwa 30 Millionen könnte zur Umwandlung freigegeben werden, heißt es in Berlin.
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) warnte davor, den Dialog mit der islamistischen Regierung auszusetzen. „Es wäre ein schwerer Fehler, den Gesprächsfaden jetzt auszudünnen. Im Gegenteil: Wir müssen die Beziehungen auch zur neuen Führung in Ägypten festigen. Bei allen Zweifeln und aller Kritik müssen wir der Demokratie in Ägypten eine echte Chance geben“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Zugleich mahnte Westerwelle, Mursi müsse verstehen, „dass die Herrschaft des Rechts und zuverlässige Investitionsbedingungen kein merkwürdiges Anliegen der Europäer sind, sondern ureigenes ägyptisches Interesse“. Ohne offene Gesellschaft und Rechtssicherheit, so lautet die Mahnung des Außenministers übersetzt, könnten die Islamisten auch ihr Versprechen nicht wahr machen, wonach die Ägypter eine wirtschaftlich bessere Zukunft hätten.
Zusätzlich dürfte die deutsche Seite darauf drängen, dass politische Stiftungen wieder in Kairo arbeiten können, ohne Repressalien zu fürchten. Vor einem Jahr – und damit noch vor Mursis Amtsantritt – durchsuchten ägyptische Behörden Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung und strengten Prozesse gegen Mitarbeiter an.
Seite 2: Das Vertrauen ausländischer Unternehmer ist dahin
Welche Rolle wird Ägyptens Verhältnis zu Israel bei dem
Treffen spielen?
Dass die Bundesregierung dieser Frage einen besonderen Stellenwert
beimisst, liegt auf der Hand: Das Wohlergehen Israels und vor allem
seine Sicherheit sind – weitgehend parteiübergreifend – Bestandteil
deutscher Staatsräson. Seit Mursis Amtsantritt im Sommer 2012
gelten die Beziehungen zwischen Kairo und Tel Aviv allerdings als
angespannt. Der Dialog beschränkt sich fast ausschließlich auf
Kontakte zwischen beiden Verteidigungsministerien. Und dann geht es
vornehmlich um die Terrorbekämpfung auf dem Sinai, wo sich nach dem
Sturz Hosni Mubaraks eine rechtlose Zone gebildet hat. Doch
ansonsten macht Ägyptens Staatschef geflissentlich einen Bogen um
das Wort „Israel“ – bestenfalls. Vor kurzem wurde bekannt, dass
Mursi, der viele Jahre als Funktionär der Muslimbruderschaft
angehörte, sich 2010 explizit antijüdisch geäußert hat. In einem
Fernsehinterview hatte der Islamist Israelis unter anderem als
„Nachkommen von Affen und Schweinen“ und „Blutsauger“ verunglimpft.
Und er forderte damals dazu auf, militärischen Widerstand zu
leisten gegen „diese zionistischen Kriminellen, die das Land
Palästina und die Palästinenser angreifen“.
Nach der Machtübernahme versicherte Mursi jedoch mehrfach, der Friedensvertrag mit Israel werde eingehalten. Dort ist man vorsichtig. Das Versprechen, den Friedensvertrag zu achten, müsse Bestand haben, fordert deshalb Israels ehemaliger Botschafter in Deutschland, Shimon Stein. Das Abkommen sei ein entscheidender Garant für die Stabilität im Nahen Osten. „Die Bundesregierung sollte deshalb darauf drängen, dass Kairo die Bestimmungen des Friedensvertrags weiterhin erfüllt – weil dies nicht nur in Israels Interesse liegt, sondern gerade in dieser Zeit auch im ureigenen Interesse der ägyptischen Regierung ist“, sagt Stein. Die Deutschen könnten zudem als Vermittler fungieren.
Wie ist die wirtschaftliche Lage in
Ägypten?
Jedes Jahr wächst die Bevölkerung am Nil um 1,5 Millionen Menschen.
Ägyptens Wirtschaft müsste mindestens um acht Prozent wachsen, um
genügend Jobs für die jährlich 800 000 Schulabgänger bereitstellen
zu können. Doch mit der Wirtschaft geht es bergab. Die meisten
Bürger haben ihre Reserven aufgebraucht. Immer mehr Fabriken
schließen, Hotels und Baderessorts stehen leer. Offiziell liegt die
Arbeitslosigkeit bei gut 12 Prozent, doch fast jeder zweite Ägypter
lebt mittlerweile unterhalb der Armutsgrenze von zwei Dollar pro
Tag. Zugleich ist die ägyptische Währung gegenüber dem Dollar auf
ein Allzeit-Tief gefallen, was vor allem die Lebensmittel
verteuert. Die Kreditgespräche mit dem Internationalen
Währungsfonds (IWF) treten auf der Stelle, denn der IWF verlangt,
dass Kairo die Steuern erhöht und gleichzeitig die Subventionen für
Brot, Benzin und Strom kürzt. Das könnte aber zu schweren sozialen
Unruhen führen.
Wie will die ägyptische Regierung diese Lage
verbessern?
Ausländische Investitionen liegen schon das zweite Jahr
hintereinander bei null, der Tourismus kommt nicht auf die Beine
und für Infrastrukturprojekte fehlt das Geld. In den öffentlichen
Finanzen klaffen riesige Löcher, die Devisenvorräte sind
geschrumpft. Die innenpolitische Polarisierung blockiert jede
Möglichkeit, das Volk zu motivieren, die wirtschaftlichen
Schwierigkeiten mit einer großen patriotischen Anstrengung
anzupacken. In den Ministerien fallen seit Monaten keine
Entscheidungen mehr, das Vertrauen ausländischer Unternehmer in die
Stabilität Ägyptens ist vorerst dahin. Ägyptens Präsident will
deshalb vor allem werben – um neues Vertrauen und finanzielle
Hilfen.
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