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Mordaufruf - „Meine Gedanken können sie nicht erdrosseln“

Weil er vor einem Islamofaschismus gewarnt hatte, wurde Hamed Abdel-Samad öffentlich mit dem Tod gedroht. Radikalen ägyptischen Gelehrten ist der Cicero-Autor ein Dorn im Auge, weil er gegen die Muslimbrüder anschreibt. Davon lässt er sich jedoch nicht beirren

Autoreninfo

Hamed Abdel-Samad ist ein deutsch-ägyptischer Politikwissenschaftler, Historiker und Autor.

So erreichen Sie Hamed Abdel-Samad:

Vor einigen Monaten sah ich auf Facebook ein mit Photoshop gefaktes Bild. Ein böse blickender, bärtiger Mann hielt ein Plakat, darauf stand: „Enthauptet diejenigen, die behaupten, der Islam sei die Religion der Gewalt.“ Ich habe herzlich gelacht und sah in dem gefälschten Foto eine elegante Beschreibung der bitteren Realität. An dieses Bild musste ich denken, als ich plötzlich mein eigenes Porträt mit dem Aufruf „Wanted Dead“ auf Facebook entdeckte. Das soziale Netzwerk, das wir 2011 genutzt hatten, um den ägyptischen Diktator zu stürzen, wird heute von Islamisten missbraucht, um einen Mordaufruf gegen mich zu verbreiten.

Alles begann am 4. Juni. Ich hielt in Kairo einen Vortrag über den „religiösen Faschismus in Ägypten“ und vertrat die These, dass das faschistoide Denken im Islam nicht erst mit dem Aufstieg der Muslimbrüder begonnen habe, sondern in der Urgeschichte des Islam begründet sei. Ich argumentierte: Der Islam habe die religiöse Vielfalt auf der arabischen Halbinsel beendet, verlange von seinen Angehörigen unbedingten Gehorsam, dulde keine abweichenden Meinungen und strebe seit seiner Gründung nach der Weltherrschaft. Bis heute ist diese Geisteshaltung im Islam dominanter als andere Aspekte dieser Religion. Daher kann man von Islamofaschismus sprechen.

Mir war bewusst, dass man moderne Begriffe wie Faschismus, die aus einem bestimmten historischen und politischen Kontext und aus einer europäischen Erfahrung stammen, nicht auf Arabien im 7. Jahrhundert übertragen kann. Meine Botschaft war daher: Wenn die religiösen Muslime es ablehnen, dass der Prophet und der Koran mit Maßstäben des 21. Jahrhunderts beurteilt werden, müssen sie aus den gleichen Gründen akzeptieren, dass säkulare Muslime es ablehnen, dass ihr Alltag, die Politik und die Justiz im 21. Jahrhundert durch die Regeln des Korans bestimmt werden, die für eine andere Zeit entstanden sind und eine andere Erfahrung beschreiben.

Kurz darauf versammelte sich eine Gruppe islamischer Gelehrter und wollte meine Argumente live im Fernsehen entkräften. Nachdem sie zahlreiche Beispiele aus der Biografie des Propheten und aus dem Koran zitiert hatten, die beweisen sollten, dass der Islam Vielfalt und andere Meinungen akzeptiere, diskutierten sie, wie ich für die Verunglimpfung des Islam bestraft werden sollte. Das Urteil fiel schnell und einstimmig: Ich soll getötet werden!

Allein wie ich getötet werden solle, und wer die Macht habe, über meine Tötung zu verfügen, wurde weiter debattiert. Ein Fernsehprediger sagte, ich solle zur Reue und Rückkehr zum Islam eingeladen werden; sollte ich das ablehnen, müsse der Herrscher Ägyptens mich töten. Ein Professor aus der renommierten Al-Azhar-Universität und der Anführer der Terrorbewegung Dschamaa Islamiya forderten meinen sofortigen Tod ohne Reue, denn ich soll auch den Propheten beleidigt haben, und da helfe keine Reue. Einer von ihnen sah keine
Notwendigkeit, den Herrscher Ägyptens vor meiner Tötung um Erlaubnis zu bitten.

Diese Gelehrten leben in einem geschlossenen ideologischen Kreis, weshalb sie überhaupt nicht merken, dass ihr Urteil meine Argumente eher bekräftigt. Es ist die Ironie des Schicksals, dass diese Religionswächter im Frühjahr 2011 die Massendemonstrationen gegen Hosni Mubarak verurteilt haben und sie für unislamisch hielten, während ich mit Tausenden von Ägyptern auf dem Tahrir-Platz für den Sturz des Diktators demonstriert habe. Uns haben sie als Agenten des Westens bezeichnet, die durch die Demonstrationen Ägypten destabilisieren wollen.

Ich hätte mir damals nie gedacht, dass mein Land nach dem Sturz Mubaraks noch unfreier sein würde. Aber ich bereue es trotzdem nicht. Mubarak war es gewesen, der durch seine Politik den Muslimbrüdern die richtige Atmosphäre bot, um zu wachsen und ihre Ideologie zu verbreiten. Durch seine Alleinherrschaft konnten sich die Islamisten als Opfer darstellen und damit die Sympathie vieler Ägypter gewinnen. In Ägypten gab es eine Diktaturzwiebel, die aus mehreren Schichten bestand: die Schicht des Mubarak-Clans, die Militärdiktatur und die religiöse Diktatur. Man muss eine Schicht nach der anderen abschälen, um zu einem demokratischen Kern zu gelangen. Freiheit ist eben teuer!

Nun werden die Muslimbrüder demaskiert und verlieren allmählich die Sympathie der Ägypter. Den neuen Präsidenten Mohammed Mursi nennen einfache Ägypter „Mubarak mit Bart“. Das Land geht durch eine schwere wirtschaftliche Krise, die die neue Regierung nicht meistern kann. Überall fehlt es an Brot und Benzin.

So waren meine islamkritischen Aussagen ein willkommener Anlass für den Sender der Muslimbrüder und der Salafisten, um von diesen Krisen abzulenken und stattdessen über die angeblich gefährdete religiöse Identität Ägyptens zu diskutieren.

Normalerweise müssten selbst nach ägyptischem Recht die beiden Männer, die den Mordaufruf gemacht haben, sofort verhaftet werden. Aber gerade diese Männer braucht Präsident Mursi, weil er von der Opposition unter Druck gesetzt wird. Eine Unterschriftenaktion, die seine Amtsenthebung fordert, konnte binnen eines Monats mehrere Millionen Unterschriften sammeln. Für den 30. Juni ist eine Massendemonstration vor dem Präsidentenpalast geplant. Die Muslimbrüder versuchen nun, meine islamkritischen Ansichten als Meinung der gesamten Opposition darzustellen, um sie als Islamhasser zu diffamieren und dadurch mehr Unterstützung zu bekommen.

Die Muslimbrüder haben bislang in allen Bereichen versagt. Nur in einem waren sie erfolgreich. Sie haben es geschafft, Ägypten in zwei Völker zu spalten: Gläubige und Ungläubige. Die Ressentiments in beiden Lagern wachsen und drohen, das Land ins politische Chaos zu stürzen. In Ägypten hat der innere Kampf der Kulturen begonnen. Es ist ein existenzieller, aber unvermeidbarer Kampf, den die Mubarak-Diktatur künstlich verzögert hatte.

In diesem Kampf bin ich nur eine Person, die ihre Meinung sagt. Ich habe keine Angst, mache mir nur Sorgen um meine ägyptische Familie, die nun in Mitleidenschaft gezogen wurde und Ziel von Beschimpfungen und Drohungen ist. Wenn ich wieder in Deutschland bin, erwarte ich allerdings angemessene Schutzmaßnahmen durch den Staat. Überhaupt sollte die Bundesregierung in Ägypten anders auftreten als bislang. Zurückhaltung ist nicht mehr angebracht.

Es ist zwar bedauerlich, dass ich mich verstecken muss, während die, die mich töten wollen, frei herumlaufen können. Aber meine Gedanken können diese Fanatiker nicht erdrosseln. Im Gegenteil. Diese Hetzkampagne gegen mich hat meinen Leserkreis in Ägypten vergrößert. Ich erfahre viel Zustimmung und Solidarität von Kreisen, die mir bislang verschlossen waren. Unter den vielen Nachrichten, die mich über Facebook erreicht haben, habe ich mich über eine besonders gefreut. Ein junger Ägypter schrieb mir: Ich danke den Terroristen dafür, dass sie mich mit Ihnen und Ihren Gedanken bekannt gemacht haben. Bitte machen Sie weiter! 

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