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(picture alliance) Von „besten Freunden“ ist im Schreiben Merkels nichts zu lesen.

Neue US-Führung - Merkel verschweigt ihre Obama-Skepsis

Hätten die Deutschen den US-Präsidenten gewählt, wäre Obamas Mehrheit neunzigprozentig ausgefallen. Die Kanzlerin bildet in ihrem Land eine Ausnahme. Sie hat Obama anders in Erinnerung: als Umfaller

Es sagt sich leicht, dass Deutschland nun seinen Obama wieder bekommen hat. Bei uns wäre seine Mehrheit neunzigprozentig gewesen. Doch die Verehrung des soeben wiedergewählten amerikanischen Präsidenten hat Grenzen nach oben: Ausgerechnet die Bundesregierung ist von Obama längst nicht so begeistert wie ihr Volk. Bundeskanzlerin Merkel beeilte sich nicht, Obama zu gratulieren. Und sie tat es schließlich nur pflichtgemäß.

Andere konservative Europäer drängten in die Nachrichten mit bewusst schnell geschossenen Tweets: Großbritanniens Premier Cameron freut sich über den Sieg von „Freund“ Obama, EU-Kommissionschef Barroso verspricht aufgekratzt „noch engere Zusammenarbeit“, ebenso Nato-Generalsekretär Rasmussen. Merkels Glückwunsch-Telegramm liest sich dagegen wie höflicher Standard: „Wir haben in den vergangenen Jahren eng und freundschaftlich zusammengearbeitet“, schrieb sie steif. Sie schätze „außerordentlich“ die zahlreichen Gespräche mit Obama über: Bewältigung der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise, den Einsatz in Afghanistan und das iranische Nuklearprogramm. Die Kanzlerin schreibt, sie freue sich, „dies fortsetzen zu können, damit unsere beiden Länder auch weiterhin Seite an Seite die wichtigen außenpolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen, vor denen wir als Freunde und Verbündete stehen, gemeinsam meistern können“. [gallery:20 Gründe, die USA zu lieben]

Von „besten Freunden“ und „wichtigsten Partnern“, wie sich andere verbal niederknien, ist im Schreiben Merkels nichts zu lesen. Nicht einmal die Vertiefung der deutsch-amerikanischen Freundschaft verspricht Merkel, sondern schreibt illusionslos von der „Weiterentwicklung“, mit anderen Worten: Alles geht weiter wie gehabt. No change.

Die Bundesregierung sieht wenig Grund zum Jubeln. Denn sie hat Obama in einer wesentlichen Frage als unzuverlässigen Partner erlebt, als Umfaller. Es ging um die Haltung zu Libyen vor Gaddafis Sturz. Obama hatte der deutschen Regierung versichert, dass sich die USA im Weltsicherheitsrat enthalten werde. Buchstäblich über Nacht war er von seinem Vorhaben abgerückt, seine Außenministerin Hillary Clinton hatte ihn dazu gedrängt. Bündnispartner Deutschland erfuhr davon aber nichts und handelte wie abgemacht: Es enthielt sich der Stimme, ob man gegen Gaddafi militärisch vorgehen wolle. Es stand dann allein da, als einzige Macht des Westens an der Seite Chinas und Russlands. Das hatte die Kanzlerin und ihren Außenminister blamiert in Deutschland und der Welt.

Merkel merkt sich Demütigungen. Ihre Distanz zu Obama verringerte dieser Vorfall nicht, der offenbarte, wie wenig kurz der Draht zwischen Washington und Berlin derzeit ist. Überhaupt sah Merkel Obama schon deshalb skeptisch, eben weil er von Anbeginn fast grundlos gefeiert wurde. Wofür nur, fragte sich mancher im Kanzleramt, als 2008 allein dem Präsidentschaftskandidaten Obama in Deutschland gehuldigt wurde wie einem Heiligen. Viele Deutsche nahmen der Bundeskanzlerin persönlich übel, dass sie Obama nicht das deutsche Wahrzeichen schlechthin, nämlich das Brandenburger Tor, als Wahlkampfbühne geben wollte. Obama konnte das natürlich leicht als Zeichen der Skepsis deuten, was er wohl auch tat, wie es heißt. Während Merkel außenpolitische Wahlkampfhilfe ihrem Freund Sarkozy durchaus gegeben hatte, hat sie bei Obama eisern geschwiegen.

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Nun hat man sich im Bundeskanzleramt nicht unbedingt Mitt Romney im Weißen Haus gewünscht, allein schon, weil dort Realisten regieren und Romneys Sieg als unrealistisch galt – wenn auch in den Tagen bis zum Hurrikan „Sandy“ nicht mehr gänzlich. Aber die deutsche Regierung hätte mit Romney gut zusammenarbeiten können. Denn trotz ihrer eigenen innenpolitischen Abkehr von neoliberalen Reformen kann Merkel einem strammen ordnungspolitischen Konzept, wie Romney und Ryan es hatten, immer noch einiges abgewinnen. So wie sie in Sorge ist um Frankreich wegen des offensichtlichen Reformversagens des dortigen sozialistischen Präsidenten Hollande, so sieht sie natürlich auch radikalen Handlungsbedarf in der amerikanischen Haushaltspolitik. Es entspricht nicht ihrer Haltung, dass Obama die Schulden seines Landes verdoppelt hat anstatt, wie 2008 versprochen, sie zu halbieren. [gallery:20 Gründe, die USA zu lieben]

Öffentliche Kritik an Obama, wie sie etwa Finanzminister Schäuble wagte, verkneift sich Merkel jedoch. Denn sie weiß, wie empfindlich die Deutschen wirken, wenn die ihrer Meinung nach falsche Seite gelobt wird. Merkels Standhaftigkeit an der Seite von Obamas Vorgänger George Bush vor dem Irak-Krieg schadete ihr innenpolitisch. Deshalb sehen ihre Leute auch innenpolitische Vorteile in der Wiederwahl Obamas. Ein möglicher Einsatz zum Schutz Israels gegen Iran wird leichter sein an der Seite Obamas als er an der Seite Romneys hätte werden können.

Der latente deutsche Antiamerikanismus brach – jedenfalls nach dem Krieg – häufiger unter republikanischen Präsidenten hervor als unter demokratischen. John F. Kennedy wurde 1963 jubelnd empfangen, als er, im offenen Lincoln stehend, Millionen Berlinern zurückwinkte. Erst seit Richard Nixons Besuch 1969 begann der Krawall Normalität zu werden in Deutschland, wenn ein amerikanischer Präsident kam. Und war er ein Republikaner, flogen Steine und Brandbomben. Zwar nahm die Polizei auch 1978 während des Besuchs von Jimmy Carter Demonstranten fest. Aber als Ronald Reagan vier Jahre später das erste Mal nach Berlin kam, wurden die Krawalle zu Straßenschlachten. Bei Reagans zweitem Berlin-Besuch, zur 750-Jahr-Feier der Stadt im Juni 1987, demonstrierten 50.000 Menschen gegen den Mann, der hinter schusssicherem Plexiglas Gorbatschow aufforderte, die Mauer niederzureißen. Als schließlich die Bushs kamen, vor allem der junge, waren Hunderttausende auf den Beinen. Kein Kanzler und keine Kanzlerin konnten neben diesem Präsidenten glänzen.

Neben Obama aber ist das möglich in Deutschland. Das weiß Merkel. Deshalb wird sie seinen Sieg öffentlich niemals als schlecht für Deutschland oder Europa hinstellen. Und deshalb hat sie ihn in ihrem Glückwunschbrief auch gleich eingeladen. Sie möchte ihn gern als Gast durchs Brandenburger Tor führen. Am liebsten bereits im nächsten Sommer. Denn dann ist Wahlkampf – in Deutschland.

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