- Blut garantiert Öffentlichkeit
Kisslers Konter: Die Bilder eines blutverschmierten Mörders aus London schockierten die Welt. Genau so hatten es sich die Attentäter gewünscht. Helfershelfer im neuen Terrorismus sind wir alle
Mindestens zwei Dinge lehrt die Hinrichtung Lee Rigbys am helllichten Tag, letzte Woche auf Londons Straßen: Wären die beiden Attentäter nicht in jungen Jahren zum Islam konvertiert, lebte Lee Rigby vermutlich noch. Es war der Islam in salafistischer Zuspitzung, der ihnen die feste Überzeugung eingab, mit der Köpfung Rigbys ein gottgefälliges Werk zu tun. Ihre Tat, erklärte ein Hassprediger, in dessen Umfeld sich die Attentäter radikalisierten, könne islamisch gerechtfertigt werden. Rigby sei schließlich kein Zivilist gewesen, sondern ein Soldat.
Vermutlich aber lebte Lee Rigby auch dann noch, wenn die Mörder nicht absolut sicher hätten sein können, mit Tat und Bekenntnis sofort zum weltweiten Medienereignis zu werden. Sie nahmen ihre Verhaftung in Kauf, damit Bilder entstehen konnten. Das Foto des redseligen Exekutors mit blutverschmierten Händen, ein Fleischermesser tragend, ist schon jetzt eine Ikone der Gewalt im 21. Jahrhundert. „Die Schlächter“, heißt es in einer Meldung, „hielten die schockierten Passanten dazu an, alles zu filmen und zu fotografieren.“ Die ganze Welt sollte erfahren, dass ihr Gott groß sei und dass „wir niemals aufhören werden, euch zu bekämpfen.“ Und die Welt erfuhr es.
Zentrum der Gewalttat war deren Weiterverbreitung im Bild. Dem ewigen Bildergedächtnis der Menschheit wollten die beiden sich einschreiben. Nach Lage der Dinge ging der Plan auf. Dazu musste manches zusammenwirken: Nötig war zunächst eine hinreichend große Zahl von Zeugen, mit Smartphones ausgestattet. Vor dem Aufstieg des kameratauglichen Mobiltelefons zum Massenprodukt wäre es höchst ungewiss gewesen, ob zufällig mehrere Menschen mit Fotoapparaten anzutreffen sind. Erst das Smartphone machte den Mord kommunikabel. Am Tag wurde er wegen der guten Lichtverhältnisse begangen.
Zweitens muss der Impuls zum Aufzeichnen derart konventionell geworden sein, dass selbst eine solche Bestialität ihn nicht zu bändigen vermag. Dem schnellen Klick, dem Huschen der Finger über das Display, darf nichts Intimes, nichts Bedrängendes mehr innewohnen. Es muss den Smartphonenutzern zur zweiten Natur geworden sein, zum Habitus, die Welt in einen Film zu verwandeln. Tatsächlich ist heute keine Scheu zu spüren, Bekannte und Unbekannte, Nähe und Ferne ganz spontan zu Darstellern der eigenen Erinnerungsbilder zu machen. Darauf konnten sich die Mörder verlassen.
Drittens müssen das Aufzeichnen und Aussenden zusammenfallen. Bilder und Filme, die im Datenspeicher verbleiben, sind nur kurios. Alles Private, heißt das, muss prinzipiell Material werden des Öffentlichen. Weniger dem Dokumentieren als dem Verbreiten des gerade Erlebten dient bekanntlich der am schnellsten wachsende Zweig der Medienindustrie. Das Motto der sozialen Netzwerke lautet: Ich lebe, weil ich es euch zeigen kann.
Viertens und hauptsächlich also muss es Plattformen geben, die das Gefilmte und Geknipste zum unbedingten Abruf bereitstellen. Wenn eine Boulevardzeitung wie die britische „Daily Mirror“ online Fotostrecken der Tat anbietet und „exklusive Videos“ mit „schockierenden Bildern“, macht sich die Zeitung zur Mordkomplizin. Der Verrohung der Täter ging die Verrohung der Medien voraus. Das ist denn auch das wahrlich Beunruhigende der Hinrichtung zu Woolwich: Es kann jederzeit und überall wieder geschehen, weil jederzeit und überall Telefone mit Kameraaugen bereit stehen, einem Mord jene Sofortöffentlichkeit zu garantieren, derentwegen er begangen wird. Jedes Smartphone macht die Welt zur Bühne. Auch für allerschlimmste Geschichten. Und jede Zeitung kann sich missbrauchen lassen zum Propagandainstrument des Hasses. Sofern sie es zulässt.
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