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Katholische Kirche in Lateinamerika - Zwischen Widerstand und Komplizenschaft

Vier von zehn Katholiken leben in Lateinamerika. Doch welche Rolle hat die Amtskirche auf diesem Kontinent? Das Verhältnis zur eigenen Vergangenheit ist noch lange nicht aufgearbeitet, wie die Diskussion um Bergoglios mögliche Verstrickung in die argentinische Militärjunta zeigt

Autoreninfo

Daniel Lenski ist Politikwissenschaftler und evangelischer Theologe. 2012 erschien von ihm die Forschungsarbeit „Die Spaltung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Chile 1974/75“ auf Deutsch und Spanisch.

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Der Befreiungstheologe Ignacio Ellacuría wurde einmal gefragt, was seine ersten Amtshandlungen als neuer Papst wären. „Am ersten Tag“, soll er geantwortet haben, „würde ich die Kunstwerke der Vatikanischen Museen verkaufen und das Geld den Armen spenden. Am zweiten Tag entließe ich alle Kardinäle, um einen echten Neuanfang im Vatikan möglich zu machen. Und am dritten Tag…“, da wurde er von einem lächelnden Zuhörer unterbrochen: „Den dritten Tag, Ignacio, würdest Du gar nicht mehr erleben.“

Die Anekdote stammt aus einer Zeit, in der das bloße Bekenntnis zu einer „Option für die Armen“ in Lateinamerika zum Todesurteil werden konnte. Militärregierungen im ganzen Kontinent erkannten die Gefahr, die von Theologen und Basisgemeinden ausgingen, die sich verstärkt mit ihren sozialen Lebensbedingungen auseinandersetzten. Viele Reformen gehen auf die Bischofskonferenz im kolumbianischen Medellín zurück, wo die Hirten 1968 die gravierende Ungerechtigkeit auf dem Kontinent anprangerten. Damals wurde mit der „Theologie der Befreiung“ zugleich eine politische Bewegung geboren, die Jesus als Bruder der Entrechteten verstand und auf Gott als Befreier von Militärdiktaturen setzte. Heute reibt man sich verwundert die Augen: Die Kirche als linksrevolutionäre Kraft?

Jorge Mario Bergoglio wird weder die Laokoon-Gruppe verkaufen noch die 116 wahlberechtigten Kardinäle in den vorzeitigen Ruhestand schicken. Der neu gewählte Papst, der bereits durch seine Namenswahl, den Verzicht auf den pelzbesetzten Umhang und das bescheidene „Buona Sera“ auf der Loggia des Petersdoms viele Sympathien gewann, setzt andere Zeichen. Und entspricht damit auch einer lateinamerikanischen Kirche, die sich verändert hat.

Marxistische Basisgemeinden und in der Guerilla kämpfende Priester findet man heute nur noch selten. Das hängt natürlich mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Fall der zahlreichen Militärdiktaturen zusammen, die den Kontinent von Feuerland bis nach Mexiko prägten. Doch bemühte sich auch der Vatikan darum, politische und reformfreudige Kirchenbewegungen auszubremsen. Werkzeuge dafür waren konservative Bischofsernennungen und Sanktionen gegen Theologen wie Leonardo Boff und Jon Sobrino, die auch vor Kritik am Reichtum und Machtmissbrauch der Kirche nicht zurückschreckten. Besonders ein früherer Präfekt der Glaubenskongregation gab sich Mühe, auf die vielen Irrtümer der politischen Theologie hinzuweisen: Joseph Ratzinger, später Benedikt XVI.

Dennoch geht der kirchliche Kampf für die Entrechteten bis heute weiter: Dazu gehört der Protest gegen paramilitärische Gruppen im kolumbianischen Süden ebenso wie die Unterstützung von indigenen Mapuche, mit deren Bedürfnissen sich die chilenische Regierung lange nur aufgrund des internationalen und kirchlichen Druckes aussetzte. Besonders der Jesuitenorden, ursprünglich eine päpstliche Eliteeinheit im Kampf gegen die Reformation, hat sich sowohl intellektuell als auch ganz praktisch in vielen Projekten dem Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung verschrieben. Auch dies prägt die Vita des ersten Jesuitenpapstes Franziskus.

Der spontane Jubel über den neuen Pontifex hielt trotz aller Bescheidenheit nur kurz an. Schnell wurde bekannt, dass seine Rolle zur Zeit der argentinischen Militärdiktatur zumindest unklar ist. Ob sich die Vorwürfe gegen den ehemaligen Jesuiten-Provinzial aus Buenos Aires belegen lassen, kann bezweifelt werden. Der Vatikan dementierte entsprechende Medienberichte scharf. Es handle sich um eine Diffamierungskampagne, sagte Vatikansprecher Federico Lombardi am Freitag. Bergoglio habe in dieser Zeit viel getan, um Menschen zu helfen.

Dennoch weist der Verwurf auf das schwierige Erbe hin, das die argentinische Kirche bis heute belastet: der vielschichtigen Kooperation mit der Militärjunta. Besonders die Berichte über Geistliche, die in Folterzentren an Vernehmungen beteiligt gewesen sein sollen, erschütterten in den letzten Jahren das Vertrauen in die argentinische Kirche.

Seite 2: Jorge Mario Bergoglio geriet schon mit Argentiniens Präsidentin aneinander

Es stimmt: In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es kaum eine Bischofskonferenz in Südamerika, in der nicht zumindest einzelne Hirten der jeweiligen Militärregierung nahe standen. Doch auch hier zeigt die Kirche ihren Facettenreichtum: San Salvadors Erzbischof Oscar Romero wurde 1980 während einer Messe erschossen, weil er unabänderlich auf die Ermordung und Verschleppung von Menschen hinwies. Und Raúl Silva Enríqez, Erzbischof von Santiago de Chile, gründete die Vicaría de la Solidaridad, die unzähligen Verfolgten unter Augusto Pinochet das Leben rettete.

Die argentinischen Bischöfe haben sich 2000 in Córdoba für das Verhalten der Kirche entschuldigt. Der Prozess der Aufarbeitung wird aber noch viele Jahre brauchen – wie in der ganzen argentinischen Gesellschaft: Erst am Montag wurde der frühere Junta-Chef Reynaldo Bignone in Buenos Aires erneut zu lebenslanger Haft verurteilt. Als Leiter eines der größten argentinischen Straflager soll er Verschleppungen und Folter angeordnet haben.

Kritik an der Regierung übte der argentinische Episkopat in den letzten Jahren vor allem bei Fragen der Sexualmoral. Dass auch der neue Pontifex bei Themen wie Abtreibung, Verhütung und den Rechten homosexueller Paare schon mit Argentiniens Präsidentin Christina Fernández de Kirchner aneinandergeriet, verwundert nicht: Lateinamerikanische Bischöfe müssen sich nämlich nicht nur gegenüber Rom, sondern auch gegenüber den immer stärker werdenden Pfingstkirchen behaupten. Die zahlreichen charismatischen Gruppen profitieren auf dem ganzen Kontinent von der personellen Schwäche und der geringen institutionellen Flexibilität katholischer Bistümer. Singend und predigend zeigen sie auf den Straßen missionarische Präsenz. Gegenüber ihren simplen biblizistischen Antworten auf komplexe Probleme kann in Lateinamerika oft nur ein pointierter moralischer Konservatismus bestehen. Ähnlich ist die Situation in vielen Ländern Afrikas und Asiens.

So ist es konsequent, dass der Papst endlich aus einer Kirche des Südens kommt. Nicht nur, weil vier von zehn Katholiken weltweit aus Lateinamerika stammen. Auch die Katholiken in Luanda und Manila haben auf einen Pontifex gewartet, der ihre Lebensrealität besser als sein Vorgänger kennt.

Als Joseph Ratzinger, damals noch römischer Kurienkardinal, zur Zeit der Militärdiktatur ein chilenisches Armenviertel besuchte, zeigte man ihm die Not der Menschen und die Spuren der militärischen Gewalt. Nach dem Rundgang hielt er noch eine Messe in der Kapelle des Slums. Doch in seiner Predigt ging er weder auf Hunger noch auf politische Willkür ein.  Stattdessen dozierte der spätere Papst über die Frömmigkeit des mittelalterlichen Kaisers Heinrich II., der nicht einmal den anwesenden Pfarrern bekannt war.

Die Erwartungen an den neuen Nachfolger Petri sind groß. Es bleibt zu hoffen, dass Franziskus auch nach dem Anlegen des Fischerringes am Dienstag ein lateinamerikanischer Papst bleiben wird.
 

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