Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Kampfansage des „IS“ - Die Anfrage an unser kulturelles Selbstverständnis

Kolumne: Grauzone. Der „Islamische Staat“ ist eine apokalyptische Bewegung, für die Friedfertigkeit moralische Unterlegenheit demonstriert. Der Westen hat die Mittel, der Terrormilliz ein Ende zu setzen, wird sie jedoch nicht einsetzen. Es ist diese militärische Selbstbeschränkung, mit welcher der „IS“ die westliche Welt als verweichlicht auszeichnet

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Für Verteidigungsministerin von der Leyen ist der Krieg gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) „kein Krieg, aber ein sehr gefährlicher Einsatz“. Schließlich würden hier ja „nicht zwei Staaten aufeinander prallen“.

Dieses Statement ist verräterisch. Es verbarrikadiert sich rhetorisch hinter völkerrechtlichen Definitionen und verkennt dabei die Dimension des Konfliktes, der in den nächsten Jahren auf uns zukommen wird. Dabei wären wir gut beraten, uns nicht hinter schwammigen Worthülsen zu verschanzen, sondern die Tatsachen dieses Konfliktes zu begreifen. Was sich hier abzeichnet, ist ein blutiger Kulturkampf, der die Grenzen bisher bekannter Guerilla- und Terrorkriege sprengt.

Richtig ist, dass der „IS“ in dem Moment einer handfesten militärischen Intervention des Westens auf die klassischen Methoden asymmetrischer Kriegsführung zurückgreifen wird. Das ist sein eigentliches militärisches und ideologisches Ziel. Dabei wird er versuchen, möglichst hohe westliche Verluste zu generieren, grausame Exekutionen zu initiieren und Kollateralschäden zu provozieren, die die westliche Öffentlichkeit empören. Kurz: Er wird auf die von ihm verachtete Mentalität des Westens zielen. Das ist die Kernintention dieses Konfliktes – und seine größte Herausforderung.

Zeichen gegen Feinde des Zivilen
 

Der postheroischen Gesellschaft des Westens steht ein Gegner gegenüber, der genau diesen „Postheroismus“ als Symptom des Niedergangs, der Schwäche und der Dekadenz deutet. Deshalb auch ist es lächerlich zu glauben, ein mutiges Zeichen gegen den Terror zu setzen, indem man einen Kaffee trinken geht oder ein Fußballspiel besucht. Diese zur Schau getragene Zivilisiertheit wird die Feinde des Zivilen kaum beeindrucken, im Gegenteil.

Der Gipfel an Absurdität ist erreicht, wenn im Milieu der Friedensbewegten allen Ernstes diskutiert wird, mit dem „IS“ zu verhandeln. Abgesehen davon, dass es nichts zu verhandeln gibt, sendet die westliche Gesellschaft hier genau das Zeichen der Schwäche, das die Fanatiker in ihrem Weltbild bestätigt – und sie ermutigt. Friedfertigkeit zu demonstrieren, lohnt sich nur, wenn man es mit einem Gegner zu tun hat, der Frieden als Ideal im Prinzip akzeptiert. Bei dem „IS“ handelt es sich jedoch um eine apokalyptische Bewegung.

Deshalb läuft man dem „IS“ auch in keine „Falle“ oder unterwirft sich seiner Logik, wenn man ihn militärisch bekämpft. Der Logik des „IS“ – sofern man dieses Denken so nennen mag – unterwerfen sich vielmehr jene, die vor seinen Gräueltaten zurückschrecken und hoffen, gleichsam verschont zu werden, wenn man ihn nicht weiter provoziert. 

Moralische Degeneration
 

Tatsächlich beruht die Strategie des „IS“ auf einer primitiven kulturphilosophischen Annahme: Der Westen ist zu verweichlicht, um sich ernsthaft zu wehren. Aus Sicht seiner fundamentalistischen Gegner führt diese moralische Degeneration zu zwei entscheidenden Schwächen: Erstens ist der Westen nicht willens, eigene Opfer zu erbringen. Verliebt in das diesseitige Leben und die verkommenen Reize einer Wohlstandsgesellschaft, so die Annahme, fehle den Bürgern der westlichen Welt die mentale Härte und Leidensbereitschaft, ihr Leben für eine Sache einzusetzen – und sei es für die so häufig beschworene Freiheit.

Deshalb auch seien westliche Gesellschaften – zweitens – nicht bereit, zu ihrer Verteidigung Kollateralschäden im größeren Umfang in Kauf zu nehmen. Hierauf basiert die zynische Kriegsführung der Glaubenskrieger.

Denn natürlich wäre es der Militärmaschinerie des Westens ein Leichtes, den „IS“ binnen weniger Tage zu pulverisieren. Die Mittel dafür sind vorhanden. Doch der Westen wird diese Mittel nicht einsetzen. Das wiederum wissen seine Gegner. Und so wird er sein perfides Spiel treiben – so wie es übrigens die Hamas seit Jahrzehnten vormacht.

Kein herkömmlicher Krieg
 

Die entscheidende Asymmetrie im Kampf gegen den „IS“ liegt daher nicht in Ausbildung, Bewaffnung und Feuerkraft, sie liegt in den Köpfen. Denn die militärische Selbstbeschränkung des Westens wird von den Fundamentalisten des „IS“ als Symbol des kulturellen Zerfalls wahrgenommen.

Insofern ist der Krieg, den der „IS“ führt, tatsächlich kein herkömmlicher Krieg. Der Krieg des „IS“ zielt vielmehr darauf ab, die moralische Unterlegenheit des Westens zu demonstrieren.

Diese Herangehensweise sprengt die klassischen Kriegstheorien von Clausewitz bis Mao Zedong. Das Handbuch des „IS“ ist das berüchtigte „Management of Savagery“, die „Handhabung der Barbarei“ von Abu Bakir Naji, einem ehemaligen Vordenker von Al Qaida.

Genau darum geht es: Im Angesicht der Barbarei dem Westen seine „Degeneriertheit“ aufzuzeigen, Anarchie zu stiften und dann für Friedhofsruhe zu sorgen. Das ist eine knallharte Anfrage an unser kulturelles Selbstverständnis. Wir werden einen langen Atem benötigen, viel Entschlossenheit und Augenmaß, um sie angemessen und unmissverständlich zu beantworten.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.