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Streit um Juncker - Angela Merkel treibt die EU ins Chaos

Der Streit um Jean-Claude Juncker ist festgefahren. Kanzlerin Merkel hat zu lange mit den Juncker-Gegnern paktiert, als dass sie nun noch heil aus der Sache herauskäme

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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Die Lage ist ausgesprochen unübersichtlich. Erst setzt sich Kanzlerin Angela Merkel mit den Gegnern von Jean-Claude Juncker in ein Boot und grinst. Das war am Montag in Schweden. Dann, am Dienstag, spricht sie sich wieder öffentlich für Juncker aus. Kurz darauf wird bekannt, dass dessen Wahlkampfmanager Martin Selmayr seinen Posten räumt und nach London flüchtet. Und dann nehmen Camerons Tories auch noch die Merkel-Gegner von der AfD in ihre Fraktion im Europaparlament auf – ein Affront.

Da braut sich etwas zusammen: Das ist so ungefähr das Einzige, was man nach dieser Woche der widersprüchlichen Meldungen mit einiger Bestimmtheit sagen kann. Doch was? Setzt sich Merkel am Ende doch noch durch, wird „ihr“ Kandidat Juncker tatsächlich Präsident der nächsten EU-Kommission? Oder schmeißt der Luxemburger entnervt das Handtuch, wie dies manch einer im Brüsseler Ministerrat hofft? Kommt es gar zu einem Showdown zwischen den Juncker-Anhängern um Merkel und den Gegnern um Cameron?

Niemand weiß es, alle spekulieren. Selbst in Brüssel blickt keiner mehr durch. Dabei lassen sich jetzt, rund drei Wochen nach der Europawahl, doch schon ein paar Fakten zusammenfassen. Fakt Nummer eins: Wenn Merkel wirklich gewollt hätte, hätte sie Juncker schon längst durchsetzen können. Schon beim Brüsseler EU-Sondergipfel zwei Tage nach der Wahl gab es eine qualifizierte Mehrheit für den Kandidaten. Wenn die Kanzlerin in die Offensive gegangen wäre, hätte sie Cameron geschlagen.

Angela Merkel hat mit Juncker-Gegnern paktiert


Fakt Nummer zwei: Erst nach dem Gipfel hat sich Merkel öffentlich zu Juncker bekannt - allerdings nur unter massivem öffentlichen Druck und mit einem Hintertürchen. Sie wolle sich für den Luxemburger einsetzen, gleichzeitig aber auch die Briten bei der Stange halten, so die Ansage. Eine Entscheidung müsse im „europäischen Geist“ fallen – was eine Kampfabstimmung ausschließt.

Fakt Nummer drei: Statt eine breite Koalition FÜR Juncker zu schmieden, hat Merkel mit jenen Politikern gemeinsame Sache gemacht, die GEGEN ihn kämpfen. Die Bootsfahrt mit Cameron, dem schwedischen Premier und dem niederländischen Regierungschef endete mit einem abgestimmten Programm, das der nächste Kommissionschef erfüllen soll. Liberalisierung, Privatisierung, Freihandel – der Plan trägt eindeutig die britische Handschrift.

Dem Christsozialen Juncker dürfte dieses Programm kaum schmecken. Im Wahlkampf hat er sich zunächst noch für Eurobonds und mehr Europa eingesetzt. Nun soll er plötzlich Kompetenzen aus Brüssel an die EU-Staaten zurückgeben und gegen „Sozialmissbrauch“ kämpfen. Merkels und Camerons Programm trägt nicht nur liberale, sondern auch nationale und populistische Züge - es passt wie die Faust aufs Auge zu Junckers europäischen Überzeugungen.

Doch die Briten wollen mehr, viel mehr. Wie jetzt in London durchsickerte, fordern sie Schlüsselposten in der neuen Kommission. Camerons Kandidat für Brüssel, Andrew Lansley, soll nicht nur Vizepräsident werden, sondern zugleich noch einen „Cluster“ leiten. Mit Binnenmarkt, Wettbewerb und Energie wäre er ein „Superminister“ wie Sigmar Gabriel. Juncker wäre bloß ein  Frühstücksdirektor, zumal die Briten auch noch den nächsten Generalsekretär der Kommission stellen wollen.

Auch Merkel treibt den Preis hoch. In Berlin hat sie schon deutlich gemacht, dass sie den Posten des deutschen EU-Kommissars für ihre Partei beansprucht. Für Martin Schulz, den Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten, ist offenbar kein Platz mehr in Brüssel - jedenfalls nicht in der Kommission. Mit ihrem mit Cameron abgestimmten Programmentwurf konterkariert sie zudem alle inhaltlichen Forderungen der Sozialdemokraten im Europaparlament. Ähnlich wie im Koalitionsvertrag schreibt sie ihre dogmatische Linie in der Europapolitik fest.

SPD und Grüne sollen Juncker zwar mittragen, um die Rechtspopulisten im Parlament in die Schranken zu weisen. Doch den versprochenen „Politikwechsel“ soll es ebenso wenig geben wie ein einen ökologischen Umbau der EU. Nicht einmal eine engere Zusammenarbeit der Euroländer, wie sie Frankreich und Italien fordern, lässt das konservative „Regierungsprogramm“ zu. Nicht mehr, sondern weniger Europa ist die Devise von Merkel und Cameron.

Daraus lassen sich drei Szenarien ableiten. Entweder nominiert der EU-Gipfel Ende Juni tatsächlich Juncker für den Posten des Kommissionschef – ganz so, wie Merkel dies will. Dann wird dies aber zu deutsch-britischen Bedingungen geschehen, die für viele Beteiligte – den Luxemburger eingeschlossen – schwer zu schlucken sein dürften. Juncker wäre zwar formal der Chef, doch in der Praxis wäre er von Aufsehern und Kommissaren umstellt.

Dies führt zum zweiten Szenario: Die Juncker-Fans mucken auf und weisen das „Diktat“ zurück. Dann kommt es zu einem Clash der Institutionen, einem Machtkampf zwischen Rat und Parlament. Für Merkel wäre das bitter, da sie zwischen Cameron in London, der SPD in Berlin und ihren Leuten im Brüssel hin- und her gerissen wäre. Gerade erst hat der neue EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) das Bekenntnis zu Juncker erneuert – ohne Wenn und Aber.

Merkel versucht den Preis für ihr Chaos hochzutreiben


Denkbar ist natürlich auch, dass Juncker das Handtuch wirft, weil er sich nicht am Gängelband führen lassen will – oder er wird abserviert, weil er die Bedingungen nicht erfüllt. Merkel könnte dann immer noch behaupten, sie habe ja für ihn gekämpft (auch wenn ihr Einsatz überaus widersprüchlich war). Sie könnte deshalb sogar Bedingungen für den Juncker-Nachfolger stellen. Der große Verlierer wäre in diesem Fall das Europaparlament.

So oder so – einer muss bluten. Und Merkel versucht ganz offenbar, den „Preis“ für das schon jetzt angerichtete Chaos auf fremde Schultern zu verteilen. Juncker, die SPD, das EU-Parlament – alle sollen Federn lassen, damit Merkel und Cameron ihren Burgfrieden wahren können. Wie so oft versucht die Kanzlerin, den Streit so lange auszusitzen, bis alle entnervt klein bei geben und sie die Bedingungen für eine Lösung diktieren kann.

Doch auch Merkel kommt nicht mehr ungeschoren aus der Sache heraus. Mit ihrem Schlingerkurs hat sie schon jetzt ihr europapolitisches Image beschädigt. Sie ist nicht mehr die resolute Pro-Europäerin, als die sich sich gerne präsentiert. Mit der AfD kommt ihr – und der CDU/CSU in Brüssel – nun auch noch ein innenpolitischer Gegner in die Quere. Und wer weiß, welch unangenehme Überraschung Cameron noch für die Kanzlerin bereithält.

Mitleid muss man deshalb allerdings nicht haben. Die Kanzlerin hat sich schlicht und einfach verzockt. Sie lässt sich zwischen Cameron, Juncker, ihrer eigenen konservativen Parteienfamilie und nun auch noch der AfD aufreiben. Wenn sie sich von Anfang an eindeutig auf die Seite der Demokratie geschlagen hätte, wäre das nicht passiert. Merkel spricht zwar gern vom „europäischen Geist“. In Wahrheit hat er sie längst verlassen.

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