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„Islamischer Staat“ - Die schrecklichen Kinder der Postmoderne

Kolumne: Grauzone. Sie sind Meister des Jenseitskitschs und der Inszenierung klischeehafter Männlichkeit. An Pathos fehlt es dem IS nicht. Dabei ist die Selbstdarstellung der Terrormiliz so verräterisch wie schief

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Das Video beginnt mit einer Kolonne marschierender Kämpfer. Ihre Köpfe sind mit Palästinensertüchern vermummt. Die Gewehre fotogen in den Himmel gerichtet durchwaten sie einen Bach. Umschnitt.

Es folgen Bilder von Straßenkämpfen, von explodierenden Fahrzeugen, von gewaltigen Detonationen, malerisch in Szene gesetzt, ästhetisch inszeniertes Mündungsfeuer, Panzerfaustschützen im erhabenen Gegenlicht, Pickups, die martialisch in Staubwolken gehüllt über eine Steppe rasen. Willkommen im Propaganda-Universum des IS!

Dann hebt eine Stimme an. Auf Deutsch. Zunächst denkt man, man habe sich verhört. Hat man aber nicht. Zu den Bildern von Fahrzeugen, die in Sprengfallen fahren, von orange leuchtenden Detonationen, explodierenden Gebäuden und erschossenen Menschen hebt ein monotoner Gesang an – das Horst-Wessel-Lied des IS:

„Und wir schreiten voran von Land zu Land, von Stadt zu Stadt. Und wir machen keinen Halt, bis Allahs Wort das Höchste ist. Die schwarze Flagge hoch, es gibt nur einen Gott, und ich bin Zeuge, dies ist unser Blut, dies ist unser Tod, bis wir fallen. Verbittert wird gekämpft vor den Toren des Paradieses, Brüder schließt Euch zusammen, wir schlachten bis zum jüngsten Tag“.

Während die letzten Worte gesungen werden, sieht man die Exekution irakischer oder syrischer Soldaten, die von Genickschüssen getroffen, in eine Grube fallen.

Was ist das? Man muss unwillkürlich an Klaus Theweleits berühmte Studie „Männerphantasien“ denken. Dort hatte der Freiburger Kulturwissenschaftler die Männlichkeitsbilder und Selbstdarstellungen der Freikorps der 20er Jahre untersucht, ihren Körper- und Waffenfetischismus, ihre Gewaltverherrlichung, ihre futuristische Technikverliebtheit.

Gemeinschaftserlebnis ermöglicht Gewaltexzess
 

Doch eigentlich hat es vor allem etwas Lächerliches, wie der IS Formeln klischeehafter Männlichkeit reproduziert. Im Grunde fehlen nur noch die Pin-ups. Dass es die nicht gibt, hat lediglich etwas mit dem verkrachten Verhältnis des IS zum weiblichen Körper zu tun.

Ansonsten: Kameradschaftserlebnisse, Marschkolonnen, Gemeinschaftsgefühl und Abenteuer, die Ästhetik des Krieges, Kämpfer im Sonnenuntergang, in Staub gehüllte MG-Schützen, wehende Fahnen im Gegenlicht, eine Aneinanderreihung einschlägiger Pathosformeln.

Fast überflüssig, darauf hinzuweisen, dass wir die diese Bilder gut kennen. Sie sind Nachinszenierungen gängiger Kriegs- und Actionfilme. Bruce Willis müsste an der stupiden Abfolge martialischer Explosionen seine helle Freude haben.

Dabei irritiert zunächst das Nebeneinander von pfadfinderhafter Kameradschaftsromantik und größter Brutalität. Doch im Grunde ist es folgerichtig. Das eine bedingt das andere. Erst das tolle Gemeinschaftserlebnis ermöglicht den gemeinsamen Gewaltexzess.

Ähnlich verwirrend ist die in Wort und Bild zur Schau getragene Apokalyptik in Verbindung mit der radikalen Pop- und Videoclipästhetik des Diesseits. Aber auch diese Verbindung folgt einer inneren Logik: Das Schwadronieren vom Endkampf bis zum jüngsten Tag ist ohne zeitgemäße Splatterbilder leer. Zugleich entlarvt das moderne Video-Design mit schnellen Schnitten und Kolorierungen den Jenseitskitsch und das Märtyrergeschwafel als aufgesetzte Pose.

Auf eine verräterische Weise ist die Selbstdarstellung des IS schief und unstimmig. Ja, da werden Männlichkeitsklischees gefeiert, da geht es um die coolste Pose, das längste Gewehr und die dickste Kanone. Und ja, das alles steht in der Tradition einer einschlägigen Ästhetik, die wir in Europa seit den 20er Jahren kennen.

Heimatlos und Haltlos
 

Doch vor allem zeigen diese Bilder mit den Gesten der internationalen Jugendkultur eine orientierungslose Peergroup, die sich zu einer sektenhaften Gemeinschaft zusammengeschlossen hat.

Die Zottelbärtchen, die uns auf den Bildern des IS anlächeln, sind die schrecklichen Kinder der Postmoderne: heimatlos, haltlos, identitätslos. Es sind die Produkte einer Auflösung althergebrachter Strukturen, des Zerfalls von Traditionen und kultureller Identität – egal ob in den Banlieues, in Neukölln, in Syrien oder dem Irak.

Und so bastelt man sich eine neue Identität zurecht: aus Versatzstücken der Popkultur, aus Männlichkeitsgesten, aus Video-Clips und Hochglanzmagazinen. Das alles wird garniert mit einer selbst geschaffen, künstlichen Tradition und einer aufgesetzten Religiosität, die sich in äußerlichen Posen erschöpft.

Sicher, der IS ist auch das Ergebnis politischen Versagens, von jahrzehntelanger Misswirtschaft und Klientelpolitik in der arabischen Welt. Doch wenn wir die Bilder des IS anschauen, blicken wir zugleich in einen Spiegel und sehen die hässliche Fratze unserer schönen, reinen, antiseptischen Hochglanzwelt.

Insofern ist der IS auch eine Karikatur, das Produkt eines Kulturkampfes in postkultureller Zeit, in dem die Kinder der globalisierten Unterhaltungsindustrie diese mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen versuchen. Das geht natürlich nicht. Daher ist der IS auch ideologisch zum Scheitern verurteilt. Zudem brauchen Jugendbewegungen immer die Aura von Aufbruch und Dynamik. Stillstand ist für sie tödlich.

Der bestialische Mord an dem jordanischen Piloten Moaz al-Kasasbeh unterliegt dieser Logik. Insofern ist diese widerwärtige Tat auch ein Signal der Schwäche, ein letztes Drehen an der Eskalationsschraube. Bei aller Tragik lässt sie den Schluss zu, dass der IS am Ende ist.

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