- Bushs alte Kriegstreiber melden sich zurück
Die Kumpanen um George W. Bush sind wieder da: Sie melden sich in US-Talkshows, Zeitungen und im Internet über die aktuelle Situation im Irak zu Wort. Die Republikaner sind entsetzt, die Demokraten freut es
Sie sind wieder da! Dick Cheney kanzelt im Wall Street Journal Präsident Barack Obama als Terroristen-Versteher ab. Paul Bremer, Statthalter in Bagdad zu Bush-Zeiten, offeriert im Fernsehen seine Irak-Expertise. Bill Kristol möchte „moderat” Truppen schicken, Max Boot meckert im Weekly Standard über Obamas verfehlte Irak-Strategie, Richard Perle beschwört auf Newsmax die irakischen Massenvernichtungswaffen, und Paul Wolfowitz, der eigentliche Architekt des Irakkrieges, meint, man hätte dort Truppen lassen sollen „so wie in Südkorea”. Judith Miller, die New York Times-Reporterin, die sich von der Bush-Administration Berichte über Massenvernichtungswaffen in die Feder diktieren ließ, findet es „nicht hilfreich”, von den Medien kritisiert zu werden. Und John McCain war natürlich nie wirklich weg. „Es ist, als ob man einen Zombiefilm guckt”, schaudert es David Corn, ein Washingtoner Journalist für Reason Magazin. „Man wird die einfach nicht los. Die sind wie Parasiten, die sich immer wieder einen warmen Körper suchen.”
Eigentlich hat Amerika den Krieg im Mittleren Osten lange abgehakt. Afghanistan ist keine Bedrohung mehr, der Irak galt als befriedet, Pakistan ist mit Osama Bin Laden aus den Schlagzeilen verschwunden, in Iran hat sich das Regime von selber verfriedlicht, und für die Scharmützel zwischen Israelis und Palästinensern interessieren sich nur noch Medienprofessionelle und Lobbyisten. Die allerletzten Kriegsausläufer wollte Obama durch Drohnen erledigen, ohne amerikanische Leben zu gefährden. Das trifft den Nerv in Amerika. Bis dann der gewaltige Überwachungsapparat von CIA, NSA und Pentagon vollständig davon überrascht wurde, dass eine Rebellentruppe, die selbst für Al Qaeda zu radikal ist, im Irak die Macht an sich reißt.
Schatten der Vergangenheit
Kaum hatten die ISIS-Rebellen das irakische Mosul besetzt, folgte die Invasion der Neocons auf dem Fuße, natürlich nicht bewaffnet vor Ort, sondern in den Talkshows, den Kommentarspalten der Zeitungen, im Fernsehen, und im Internet. Ihr „Surge” jedoch, so spottete Politico-Kommentator Jacob Heilbronn, war wenig erfolgreich. „Sie wurden nicht als Befreier begrüßt.”
Es sind allerdings nicht die Irakis, die über die Rückkehr der Untoten entsetzt sind, sondern die Republikaner. Denn die würden am liebsten nicht nur George W. Bush vergessen, sondern auch seine gesamte Beraterschar, allen voran seinen damaligen Vize Dick Cheney. „Dass sich Cheney so lautstark geäußert hat, finden Republikaner enttäuschend, denn das ermuntert die Leute nur, sich daran zu erinnern, dass das Bushs Krieg war”, bemerkte Steven Smith, Politologieprofessor an der Washington University in St. Louis, zu Politico. Schärfer formuliert es Corn. „Es gibt niemanden, der einen schlechteren Ruf hat als Dick Cheney, was Außenpolitik angeht”, meint er.
Deshalb beeilen sich Republikaner und vor allem die, die der Tea Party nahestehen, die Zombies zu vertreiben — sogar Megyn Kelly auf dem rechtskonservativen Murdoch-Sender Fox News forderte von Cheney in barschem Ton, er solle eingestehen, dass er Fehler gemacht habe. „Man sollte die mal fragen, lagen sie damals etwa richtig in ihren Voraussagen?” giftete Rand Paul, Senator und potentieller Präsidentschaftkandidat, auf NBC. „Gab es Massenvernichtungswaffen? Haben wir den Krieg 2005 überhaupt gewonnen?” Ihm sekundiert der frühere Nixon-Redenschreiber Pat Buchanan, der den „Paläocons” zugeordnet wird, der mit den Neocons verfeindete rechte Parteiflügel. Die USA habe keine „vitalen Interessen” im Irak, meint er. Der einzige Grund für die neuerliche Krise sei der Krieg, den Bush angezettelt habe, und im übrigen auch Hillary Clinton.
Tatsächlich haben fast alle Demokraten damals für den Krieg gestimmt, deshalb sind sie für die neuerliche Gelegenheit, sich davon zu distanzieren, dankbar. Das lautstarke Wiederauftauchen der Neocons wenige Monate vor den Senatswahlen ist für sie ein Gottesgeschenk. „Das einzige, dass ich von den Architekten des Irakkrieges hören möchte, ist eine Entschuldigung”, meinte Harry Reid, Mehrheitsführer der Demokraten im Senat. Und Barbara Boxer, demokratische Senatorin aus Kalifornien hat das Gefühl, ein „Albtraum kommt zurück.” Und: „Das amerikanische Volk will keinen Krieg. Der Präsident will es auch nicht.”
Krieg möchte das Volk wirklich nicht — nach einer CNN-Umfrage finden 75 Prozent der Amerikaner, der Irakkrieg sei ein Fehler gewesen — aber das Volk will auch nicht, dass sich die Neocons heute ungestraft als Besserwisser feiern lassen. „Ich bekomme ein Flut von Zuschauer-Emails, die sich darüber beschweren, dass sich die Verantwortlichen für den Irakkrieg in allen Talkshows tummeln”, berichtete CNN-Medienexperte Brian Stelter. Ähnliches erleben Zeitungen. Selbst das konservative Wall Street Journal wurde nach der Kolumne von Cheney mit Beschwerden von Lesern überhäuft.
Neocons verkaufen den Irakkrieg als Erfolg
Bei den Neocons allerdings ist der Wunsch, zu reflektieren und zu bereuen, wesentlich schwächer ausgeprägt als das Bedürfnis, Recht zu behalten. „Diese Leute waren bereit, die Bücher zu fälschen und Lügen zu verbreiten, um den Irakkrieg zu verkaufen; und heute konstruieren sie gefälschte Narrative, um ihre eigene Verantwortung zu leugnen und den Krieg aus großen Erfolg zu verkaufen, der von Obama vergeudet wurde”, sagt der Harvard-Professor Steven Walt. „Die gesamte Bewegung scheint unfähig zu sein, Irrtümer einzuräumen oder sich für die tausende von Toten zu entschuldigen.”
Eine seltene Ausnahme ist Peter Beinart, der frühere Chefredakteur der New Republic, eines der neokonservativen Hausblätter. „Ich habe den Irakkrieg unterstützt, und das war der größte Fehler meines Lebens”, sagte er. Andere sind zwar nach wie vor vom Krieg überzeugt, haben sich aber — um bei dem Bild von David Corn zu bleiben — einen neuen „warmen Körper” besorgt. Zu diesen zählt Neocon-Stratege Robert Kagan, der mit der Diplomatin Victoria „Fuck the EU” Nuland verheiratet ist. Er setzt nicht mehr auf die Republikaner, er hat eine neue Hoffnung: Hillary Clinton, die er auch in außenpolitischen Angelegenheiten berät. „Wenn sie die Politik verfolgt, von der wir glauben, dass sie sie verfolgt, das wäre etwas, das man früher neokonservativ genannt hätte, aber ihre Unterstützer werden es natürlich anders nennen”, sagte er zur New York Times.
Nur Obama hat sich bisher nicht geäußert, aber auch er dürfte froh sein, dass die Neocons soviel Zorn und Aufmerksamkeit auf sich ziehen, während die eigentliche Irakkrise viel weniger interessiert. Ihm ist es lieber, wenn über die Verantwortung von Dick Cheney debattiert wird, als über seine eigene. Und für die Late-Night-Comedians ist die Zombieschwemme ohnehin ein gefundenes Fressen: Jon Stewart auf Comedy Central lässt Cheney nur noch zu „Darth Vader”-Musik auftreten.
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