- TTIP gefährdet den Klimaschutz
Mehr als ein Drittel aller Klagen vor den umstrittenen Schiedsgerichten gehen auf Energie- und Elektrizitätskonzerne zurück. Mit TTIP könnte diese Zahl weiter steigen: Denn Europa und die USA wollen die Position der Ölgiganten stärken. Das widerspricht den Klimaschutzzielen von Paris. Mit dem Wort „Klima“ meinen die Verhandler etwas ganz anderes
In der Debatte um TTIP und Investorenklagen läuft etwas schief. Oft geht es um Chlor-Hühnchen, um Verbraucherthemen. Dabei bedroht das transatlantische Freihandelsabkommen insbesondere den Klimaschutz in einem Ausmaß wie kaum ein Hinterzimmer-Deal bisher. Klimaschutz wird mit TTIP zur „Handelsbarriere“.
Nur rund 4 Prozent der Investorenklagen vor Schiedsgerichten betreffen nach Angaben der Vereinten Nationen den Lebensmittelsektor. Aber 35 Prozent dieser Klagen behandeln Öl, Gas, Elektrizität oder Rohstoffabbau – Kernthemen des Klimaschutzes. „Energiekonzerne sind besonders eifrig darin, Schiedsgerichte einzuschalten“, sagt Tom Sikora, Berater der Ölfirma Exxon Mobile, ganz offen.
Generell teilen Unternehmen ihre Einstellung zu TTIP recht offenherzig. Der in den USA ansässige Öl-Gigant Chevron verlautete, mit seiner Lobbyarbeit an einem „Weltklasse-Investment-Kapitel“ in TTIP zu arbeiten. Derzeit verklagt Chevron Ecuador vor einem Schiedsgericht, um keinen Schadensersatz für einen Ölunfall im dortigen Regenwald zahlen zu müssen.
Was TTIP fürs Klima gefährlich macht
„Eine der gefährlichsten Sachen, die wir in den letzten zehn Jahren gesehen haben, ist diese Idee von Investorenschutzklagen. Wenn eine Umweltgesetzgebung auch nur einen potenziellen Profitverlust für ein Unternehmen bedeutet, können sie Staaten vor einem Schiedsgericht verklagen“, sagt Jesse Bragg von der Nichtregierungsorganisation „Corporate Accountability“.
TTIP war eine große Chance – nicht nur um Regulierungen abzubauen: TTIP hätte weltweit Standards setzen können im Umwelt- und Verbraucherschutz. In vielen Bereichen sind US-Standards anspruchsvoller als europäische. Ein Handelsabkommen zwischen den USA und Europa hätte die hohen Standards beider Seiten kombinieren können.
Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Bei Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen bürdet TTIP die Beweislast den Staaten auf. Sie müssen nachweisen, dass ihre Maßnahmen „notwendig“, „angemessen“ und „legitim“ sind. Was notwendig oder angemessen ist, definiert TTIP bisher nicht. Es fehlt an „Leitplanken“, die Klima- und Umweltschutz gegen Investorenklagen absichern.
Was steht in den TTIP-Texten?
Der Artikel zu Risikomanagement im Kapitel „Public Procurement“ formuliert, dass alle Maßnahmen gegen Risiken von Produkten „derart designed und angewandt“ sein müssen, dass sie „nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung oder versteckte Einschränkungen des internationalen Handels vermeiden“. Im selben Kapitel heißt es, Anpassungsmaßnahmen und technische Vorschriften dürften keinerlei „unnötige Hemmnisse für den internationalen Handel“ darstellen. Was gerechtfertigt ist und was nicht, darüber schweigt der TTIP-Text.
Es ist durchaus üblich, dass Handelsabkommen solche Definitionen nicht liefern. Aber genau das ist Grundlage für mögliche Investorenklagen. Fracking aus Vorsorge zu untersagen, könnte eine „nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung“ sein.
Ähnliches ist in der kanadischen Provinz Quebec geschehen: Dort beschloss die Regierung ein Moratorium aus Sorge, dass Fracking das Grundwasser kontaminiert. Über eine Tochterfirma in der US-Steueroase Delaware verklagte daraufhin der US-Konzern Lone Pine Resources den Staat Quebec auf 109,8 Millionen Dollar. Grundlage dafür war das Nordamerikanische Freihandelsabkommens (NAFTA).
Auch der Import klima- und umweltschädlicher Produkte könnte mit TTIP schwieriger werden: Im Kapitel „National Treatment and Market Access for Goods“ wird gefordert, dass alle Importe „nicht-diskriminierend“ sind. Das ist prinzipiell sinnvoll, könnte aber dazu führen, dass Staaten unter TTIP nicht mehr die Einfuhr umwelt- oder klimaschädlicher Produkte unterbinden können. Darüber hinaus müssen Staaten beweisen, dass „keine andere angemessene Prozedur zur Erreichung des administrativen Zwecks vernunftgemäß verfügbar ist“ – ein Einfallstor für Investorenklagen gegen Importbeschränkungen.
Umwelt- und Klimaschutz in TTIP
Das Wort Klima taucht in TTIP eigentlich nur in Zusammenhängen wie einem „guten Investorenklima“ auf. An wenigen Stellen erwähnt der Text jedoch Umweltschutz: Im Kapitel „Technical Barriers to Trade“ formuliert Artikel 3: „Unnötige technische Handelsbarrieren“ müssten „reduziert und eliminiert“ werden, einschließlich solcher, die „Kosten durch Regulierungsunterschiede“ zwischen den USA und Europa erzeugten. Allerdings sollte dabei jede Seite ein Level in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit und Umweltschutz erreichen, die sie für „angemessen hält“. Dieser Textvorschlag, der als einer der wenigen explizit die Umwelt erwähnt, stammt im Übrigen von den USA, nicht von der europäischen Seite.
Im selben Kapitel wird aber beispielsweise in Artikel 7 gefordert, dass die Länder darlegen müssen, wieso Regulierungen „notwendig“ sind. Nach Artikel 4 müssen Staaten, die neue Regulierungen einführen, zunächst auf Nachfrage die „Möglichkeit einer Ausarbeitung der Vereinbarkeit technischer Regulierungen“ darlegen.
Insgesamt fällt das Wort „Umwelt“ im TTIP Text äußerst selten. Selbst wenn Klima- und Umweltmaßnahmen als „legitim“, „angemessen“ und „notwendig“ beurteilt werden, gehen sie mit einer Reihe weiterer Bedingungen einher.
Als Deutschland Auflagen für den Wasserverbrauch des Kohlekraftwerks Moorburg bei Hamburg einführte, verklagte Vattenfall Deutschland vor einem Schiedsgericht auf 1,4 Milliarden Euro Schadensersatz. Die Auflagen entsprachen EU-Recht, aber über die Energy Charter Treaty klagte Vattenfall vor einem Schiedsgericht, weil sie bei der Ausarbeitung der Auflagen nicht schnell genug miteinbezogen wurden. Auch „legitime“ und „notwendige“ Regulierung schützt offenbar nicht vor Investorenklagen vor Schiedsgerichten. Die Stadt Hamburg verwässerte die Umweltauflagen stark, nachdem die Klage eingereicht wurde.
Klima und fossile Energien werden für Investorenklagen in Zukunft noch relevanter
Im Dezember vergangenen Jahres hat die Weltgemeinschaft beschlossen, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu beschränken. Der endgültige Ausstieg aus den fossilen Energieträgern soll in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts geschehen. Ein offener Affront gegen die Öl- und Kohlefirmen dieser Welt.
Brian Ricketts, der Generalsekretär von Eurocoal, schrieb intern nach Beschluss des Pariser Abkommens, „wir werden gehasst werden auf dieselbe Art wie Sklavenhändler gehasst wurden“. Die Energiereserven, die bereits im Besitz der größten Energiefirmen sind, entsprechen etwa 2795 Gigatonnen CO2. Um die globale Temperatur unter 2 Grad zu halten, muss das meiste davon im Boden bleiben.
Es ist absehbar, dass sich der Druck auf Öl- und Kohlefirmen weiter verschärft. Abgesehen von China und Indien ist Kohle weltweit auf dem Rückzug. Abkommen wie TTIP werden damit zu einem wichtigen Werkzeug für fossile Energieunternehmen.
Dabei bedarf es oft gar keiner Klage. Gus van Harten, Professor an der Osgoode Law School, argumentiert: Allein das finanzielle Risiko einer Investorenklage könnte „Staaten davor abschrecken, ihre Verantwortlichkeiten beim Klimawandel zu erfüllen“.
TTIP – eine vertane Chance
In seiner aktuellen Form ist TTIP eine Gefahr für den Klimaschutz. Ein Handelsabkommen hätte Umweltstandards verbessern können. Doch die USA und Europa haben die Potenziale in einem völlig intransparenten Prozess verspielt. Sie haben Anti-Europäern und Populisten wie Donald Trump Argumente geliefert.
Beide Verhandlungsparteien wären gut beraten, die aktuellen Verhandlungen zu stoppen und einen neuen Verhandlungsprozess zu beginnen – unter Einbezug von NGOs und Wirtschaftsverbänden. Zwischenstände sollten der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.
Wenn über 190 Staaten in transparenten Verhandlungen in Paris einen Klimaschutzvertrag aushandeln konnten, dann sollten EU und USA das ebenfalls schaffen. Schon wegen des Klimas.
Hinweis: Aufgrund eines technischen Problems erschien der Artikel zunächst als Beitrag von Horst Siebert. Tatsächlich ist Andreas Sieber der Autor. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, den Fehler zu entschuldigen.
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