- Feindbild Europa
Kolumne: Zwischen den Zeilen. In Russland erlebt die Idee der eurasischen Bewegung gerade eine Renaissance. Und die europäische Rechte applaudiert. Prominentester Vertreter russischer Großmachtfantasien: Alexander Dugin. Kopf einer Bewegung, die ihren Ursprung in Europa hat
Helmut Schmidt wirbt für mehr Verständnis. Für Russland, für Putin. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass aus dem Ukraine Konflikt ein heißer Krieg werde. Man wundert sich. Es sollte auch Helmut Schmidt nicht entgangen sein, dass der Konflikt genau das längst ist: heiß. Es herrscht Krieg im Osten der Ukraine. Zwischen russischen Separatisten unter der Führung des Kreml und der Ukraine. Kein Bürgerkrieg, wie uns die Propaganda weismachen will. Ein bisschen mehr Verständnis des Altkanzlers für die Ukraine und Ukrainer, die er zur Fußnote macht, und die sich angesichts solcher Aussagen wie Marionetten auf dem geostrategischen Feld der Weltpolitik vorkommen dürften, wünschte man sich schon.
Eines wird in diesem Krieg besonders deutlich: Der Kampf wird nicht mit, sondern vor allem gegen die Information geführt. Es ist ein Desinformationskrieg. Oder mit den Worten des russischen Medienbeobachters Wassilij Gatow gesprochen: „Wenn das 20. Jahrhundert vom Kampf um die Informationsfreiheit geprägt war, so wird sich das 21. Jahrhundert durch den Missbrauch des Rechts auf Informationsfreiheit auszeichnen.“
Viele Multiplikatoren der Verwirrung sitzen in den russischen Medien. Willfährige Gehilfen eines unfassbaren Propagandafeldzuges. Eines hat er schon jetzt geschafft: Das Klima verändert. Weit über Russland hinaus. Wenn etwas hierzulande Pegidaisten und Putin-Sympathisanten „Lügenpresse“ skandieren, meinen sie nicht etwa die tatsächlich gelenkten Medien des Kremls, sondern die freie Presse vor Ort.
Das patriotische Spiel Putins
Putin hat die vaterlandstreuen Russen mit seinem patriotischen Spiel geweckt. Den ultraorthodoxen, radikal Konservativen und Rechtsextremen ein wohliges Nest bereitet. Eine Atmosphäre geschaffen, in der Kritiker des Systems um ihr Leben fürchten müssen. Ein Klima wie gemacht für Ideologen, die ihre Großmachtfantasien auf allen Kanälen verbreiten. An deren Spitze: Alexander Dugin. Der Philosoph hat mit seiner Idee eines großrussischen Reiches viele Anhänger. Neben den USA pflegt er besonders ein Feindbild: Europa. Es bedrohe Russland durch falsche Werte, einen dekadenten Universalismus und Rassismus. Sein Credo: zurück zu den russischen Wurzeln. Das kommt an.
Einem Spiegel-Journalisten schrieb er ins Stammbuch: „Bei Ihnen gibt es Gay-Paraden - okay, dann marschiert. Dass es bei uns keine gibt, haltet ihr für eine Verletzung der Menschenrechte. Und wir sagen daraufhin: Haut ab! Oder ihr wollt dem Islam erklären, was Feminismus ist und wer Femen ist und warum Frauen mit Männern gleichzustellen sind. Das ist Kolonisation. Ich bin ein orthodoxer Christ, Sie nicht.“
Den nicht wenigen Deutschen, die sich um ihre Identität sorgen, ruft er zu: „Ich liebe die Wurzeln deutscher Kultur. Aber es gibt sie nicht mehr. Deutschland ist heute eine Art Gegen-Deutschland.“ Und weiter: „Bei uns werden deutsche Romantiker wie Schelling und Hegel, wie Heidegger und Schmitt gepflegt und nicht verflucht.“
So reist er durch Europa auf der Suche nach Verbündeten. Und tritt vor allem am rechten Rand offene Türen ein. Sein Welterklärungsmodell zeigt sich hier besonders anschlussfähig: Von AfD bis NPD.
Das wundert nicht: Die treuesten Anhänger Putins in ganz Europa kommen mittlerweile von rechts. Sei es der Front National in Frankreich, die ungarische Jobbik, oder die Lega Nord in Italien. Putins Russland bietet ihnen die perfekte Projektion – weil es für so etwas wie Renationalisierung steht, für eine autoritäre Führung, Volk und Boden. Man teilt die Ablehnung der liberalen Demokratie, der EU, die für Bürokratie und westlichen Hedonismus gleichermaßen steht. Teilt die Ablehnung gegen Homosexualität, fühlt sich von einem Übermaß an politischer Korrektheit gegeißelt, von Gendermainstreaming bedroht. Umso mehr verwundern die vielen Putin-Sympathisanten auf der linken Seite des politischen Spektrums.
Alexander Dugin aber sieht West und Ost erst am Beginn einer „kulturellen Konfrontation.“ Er sieht und will den Kulturkampf. Die Russen würden spüren, dass ihre Identität durch den Westen bedroht werde. Sein Gegenmodell zur westlichen Demokratie heißt Eurasien. Wer Dugin, der sich auf Kulturtheoretiker wie Oswald Spengler, Arnold Toynbee und Nikolai Danilewski bezieht und dessen Modell verstehen will, kommt nicht umhin, einen Blick in die Geschichte der eurasischen Bewegung zu werfen. Auf das Projekt eines sogenannten „dritten Weges“, den auch Dugin immer wieder propagiert.
Die eurasische Bewegung
Die klassische eurasische Lehre war zunächst eine Ideologie, die im Exil entstand. Im europäischen Exil. Sie hatte eine relativ kurze Blütezeit in der Phase zwischen den Weltkriegen. Kopf der Bewegung war Nikolaj S. Trubeckoj. Die Oktoberrevolution zwang ihn in die Emigration. Der Kern der eurasischen Ideologie und der Schriften Trubeckojs ist die Kritik an der westlichen Kultur. In seinem zentralen Werk „Europa und die Menschheit“ sieht Trubeckoj im Internationalismus und Kosmopolitismus chauvinistische Versuche, den westlichen Universalismus auszudehnen und den europäischen Einflussbereich zu erweitern. „In Wirklichkeit stehen die Romanogermanen gegen alle Völker des Erdballs, Europa gegen die Menschheit."
Solcherlei Kritik am Westen, die in der russischen Geschichtsphilosophie bereits Tradition hatte, fügten die Eurasier neue Elemente hinzu. Beispielsweise den Glauben, dass die natürlich-geographische Einheit Eurasien eine kulturelle Einheit bedingt und somit einen eurasischen Raum Russland notwendig konstruiert. Eine Einheit von Kultur und Raum also. „Eurasien als ein geographisches, ökonomisches und historisches Ganzes, das seiner Natur nach historisch dazu prädestiniert sei, eine staatliche Einheit zu bilden.“ (Trubeckoj)
Der Eurasianismus versuchte das Vakuum, das der Zusammenbruch des russischen Imperiums durch Weltkrieg und Revolution hinterlassen hatte, ideologisch zu füllen. Gerade aufgrund der durchlebten doppelten Katastrophe – Weltkrieg und Revolution - glaubten sie sich dem Westen überlegen. Eurasier wollten Russland vor dem Bolschewismus ebenso wie vor dem Diktat des westlichen Universalismus retten – eine ideologisch doppelte Abgrenzung Russlands von Europa untermauern. In den Augen der Eurasianer missbrauchten die Bolschewiki Russland zur Verwirklichung europäischer Ideen, denn letztlich sei die kommunistische Lehre nicht vielmehr als eben genau das: eine Vision westlichen Ursprungs.
Neben einem gemischten staatlich-privaten Wirtschaftssystem mit planwirtschaftlicher Prägung forderten sie die Einführung eines sogenannten ideokratischen Herrschaftssystems, der autoritären Herrschaft einer kleinen Elite im Namen der „eurasischen Idee“. Die Nähe zur „Konservativen Revolution“ auf deutscher Seite wurde offenkundig. Eine Bewegung, mit der Alexander Dugin auch heute noch sympathisiert und was die Anhängerschaft in reaktionären Kreisen erklärt.
Die eurasische Bewegung radikalisierte sich. Und näherte sich dem Kommunismus an. Das europäische Feindbild hatte offensichtlich mehr Anziehungskraft als das verblassende Feindbild Sowjetrussland. Die ursprüngliche Ideologie der Eurasianer, die das westliche System und den Bolschewismus gleichermaßen kritisierte, verfiel in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre den totalitären Versuchungen von links und rechts. Die Bewegung begann auseinanderzufallen.
In der späten, radikalen Phase des klassischen Eurasianismus liebäugelten einige Eurasianer auch mit dem italienische Faschismus. (In der im Jahre 1926 erschienenen Schrift „Evrazijstvo“ beispielsweise.) Die anfängliche Kritik von Diktaturen wurde zugunsten einer antiwestlichen Totalopposition geopfert. Dem italienischen Faschismus und dem Bolschewismus hielt man zugute, dass in beiden die Ideologie von zentraler Bedeutung sei. Gerade Europa sei gekennzeichnet durch den Mangel an starken Überzeugungen und durchdringenden Ideen. Um die Welt aus ihrer gegenwärtigen Krise herauszuführen brauche man alle Lebensbereiche durchdringende Ideen, die quasi das Fundament neuer Herrschaftsformen legen sollten und als „Ideokratien“ in eurasischen Kreisen bezeichnet wurden.
Der postsowjetische Eurasianismus
Doch auch nach dem Zerfall der Exilbewegung ist die Ideologie der Eurasianer immer wieder aufgegriffen worden. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erfuhr der Eurasianismus – ähnlich wie nach dem Untergang des Zarenreiches – in Russland eine Neubelebung.
Besonders die neoeurasische Bewegung um Aleksander Dugin versuchte nach dem Zerfall der Sowjetunion dieses Vakuum zu füllen und knüpfte am radikalen Ende der Bewegung an. Dugins Version der eurasianischen Lehre ist quasi die aggressiv nationalistische Version russischer Identitätssuche – mit besten Kontakten zur westeuropäischen Rechten.
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