- Capriles Radonski, der Anti-Chávez
Hugo Chávez will am Sonntag zum vierten Mal wiedergewählt werden. Doch diesmal könnte es eng für ihn werden: Der Aufsteiger und Oppositionsführer Henrique Capriles Radonski hat gute Chancen, den Staatssozialismus in Venezuela abzulösen
Es geht um die Zukunft Venezuelas, doch das Land streitet sich über eine Baseballkappe. „La prohibida“, „die Verbotene“, heißt die umstrittene Schirmmütze in den Nationalfarben Gelb, Blau, Rot – und verkauft sich prächtig. Eigentlich darf in Venezuela während einer Wahlkampagne niemand mit den Landesfarben werben.
Doch Henrique Capriles Radonski, der Herausforderer des amtierenden Staatspräsidenten Hugo Chávez, trägt „die Verbotene“ bei jeder Rede und macht sie so zu einem Symbol der Opposition: Er, bis vor kurzem Gouverneur des Bundesstaats Miranda, wolle das polarisierte Land einen, „der Präsident aller Venezolaner sein“. Da kommen die Nationalfarben gelegen. Die Androhung des Nationalen Wahlrats (CNE), eine Geldstrafe festzusetzen, scheint ihm egal zu sein. Er twitterte: „Jeden Tag werden 50 Venezolaner ermordet. Und die Regierung sorgt sich darum, welche Kappe ich trage.“
Nach fast 13 Jahren Chávez-Regierung hat es das Oppositionsbündnis „Mesa de Unidad Democrática“ („Tisch der demokratischen Einheit“) geschafft, sich auf einen Kandidaten zu einigen. Ausgerechnet Capriles, der gemäßigtste von allen, gewann die Vorwahlen im Februar. Seine Wählerschaft ist konservativ, doch er selbst gibt an, die Mitte-Links-Regierung des ehemaligen brasilianischen Präsidenten von „Lula“ da Silva sei sein Vorbild.
Capriles ist der Anti-Chávez schlechthin: Der 40-jährige Anwalt stammt aus einer der reichsten Familien Venezuelas, wurde schon mit 28 Jahren Bürgermeister von Baruta, einem wohlhabenden Bezirk in Caracas. Und bietet damit eine Angriffsfläche für den Amtsinhaber: „Es ist der Kampf des Kandidaten der Bourgeoisie gegen das Volk, des Imperiums gegen das venezolanische Vaterland“, sagt Chávez. Capriles’ volksnaher Diskurs sei aufgesetzt. Tatsächlich darf man sich fragen, wie demokratisch der Kandidat der Opposition wirklich ist: Seine Rolle bei einem Putschversuch gegen Chávez im Jahr 2002 ist umstritten. „Capriles war an der Gefangennahme des Innenministers beteiligt“, sagt der Chávez zugewandte Journalist Roberto Malaver. „Und er war unfähig, der ihm unterstellten Polizei zu befehlen, die Aktionen der Putschisten vor der kubanischen Botschaft zu beenden.“
Was passierte damals wirklich? Vielleicht ist das in diesem Wahlkampf, den ein Meinungsforscher unlängst als „Krieg der Pinocchios“ bezeichnete, gar nicht mehr wichtig – denn ohnehin glaubt keiner dem anderen auch nur ein Wort. Kein Wunder, setzen doch beide Seiten regelmäßig Gerüchte in die Welt, um den Gegenkandidaten zu diffamieren.
Seite 2: Chávez-Anhänger erklären ihn für schwul
Chávez-Anhänger behaupten, der unverheiratete Capriles sei schwul, und die Opposition habe kolumbianischen Paramilitärs Geld geboten, um Hugo Chávez mit Waffengewalt zu stürzen. Capriles-Anhänger werfen Chávez vor, staatliche Gelder für den Wahlkampf einzusetzen, und streuen immer wieder Informationen über Chávez’ Krebserkrankung, in denen sie mehrfach sein baldiges Ableben prophezeien.
Capriles geht abends joggen, trinkt Cola light, schläft selten mehr als vier Stunden – und das Wichtigste: Er hat sich nicht ein einziges Mal dazu herabgelassen, Chávez zu beschimpfen. Nicht einmal als der Präsident ihn aufforderte: „Setz die Maske ab! Du hast den Schwanz eines Schweins, die Ohren eines Schweins, du schnarchst wie ein Schwein, also bist du eines.“ Chávez spielte damit auf Capriles’ jüdisch-polnische Wurzeln an: Die Großmutter entkam den Nazis knapp, ein Teil der Familie starb in Treblinka. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum reagierte prompt und verbat sich weitere antisemitische Attacken. Capriles blieb ruhig.
„Er möchte so venezolanisch wie möglich wirken“, vermutet Alex Vásquez, der die Wahlkampagne von Capriles für die Zeitung El Nacional begleitet. „Deshalb betont er seine jüdische Herkunft nicht. Er will keine Distanz zu seinen Wählern schaffen.“ Der Kandidat geht von Haus zu Haus, sein Team notiert akribisch, wem Medikamente fehlen, wo es reinregnet, wer die Stromrechnung nicht zahlen kann. Er spielt Basket- und Fußball mit den Jungs in den Armenvierteln. Und springt auch mal spontan aus dem Fenster des Wahlkampfbusses, wenn Anhänger am Straßenrand winken (und hält so seine Bodyguards auf Trab).
Capriles’ Programm verspricht Kontinuität und Wandel zugleich: „Wir haben nicht vor, gewählt zu werden und dann alles umzuwerfen.“ Wirtschaftspolitisch dürfte sich aber unter ihm einiges ändern: Mehr Möglichkeiten für private Unternehmer, Enteignungen könnten rückgängig gemacht werden. „Besonders interessant scheint mir, was Capriles mit den Erdölerlösen vorhat: Arbeit schaffen, Wohnungsbau, in die Bildung investieren“, sagt Vásquez. „Sein Programm ist allerdings nicht sehr detailliert. Es zeigt zwar, was geschehen soll, aber erklärt nicht, wie.“
Wer gewinnt am 7. Oktober? Klar ist nur: Es wird eng. Und damit ziemlich ungemütlich auf den Straßen, wenn die Wahllokale schließen. „Beiden Seiten wird es schwerfallen, ein knappes Ergebnis anzuerkennen“, befürchtet Vásquez.
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