- Kommt es zum Militärschlag gegen Iran?
Mehrere Stunden haben US-Präsident Obama und Israels Premier Netanjahu im Weißen Haus über das iranische Atomprogramm gesprochen. Die Äußerungen beider Staatsmänner bieten Material für unterschiedliche Interpretationen.
Mehrere Stunden haben US-Präsident Barack Obama und Israels Premier Netanjahu am Montag im Weißen Haus miteinander gesprochen und ihre Sichtweisen des Konflikts um das iranische Atomprogramm ausgetauscht: was der Iran bezweckt, wie weit die Techniker damit fortgeschritten sind, was man dagegen unternehmen kann und wann die Zeit zum Eingreifen gekommen wäre. Die Äußerungen beider Staatsmänner bieten Material für unterschiedliche Interpretationen.
Wer hofft oder glaubt, dass kein Krieg droht, kann sich auf Netanjahu berufen. Der sagte, Israel habe sich noch nicht für einen Militärschlag entschieden. Obama sagte: „Wir glauben, dass es ein Fenster für eine diplomatische Lösung gibt.“
Wer befürchtet, dass der Krieg kommt, weil keine Seite nachgeben möchte, findet ebenfalls Belege. Netanjahu bekräftigte bei der Jahreskonferenz der Israel- Lobby AIPAC in Washington: „Wir haben darauf gewartet, dass die Diplomatie Erfolg hat. Wir haben darauf gewartet, dass Sanktionen Erfolg haben. Niemand von uns kann es sich leisten, noch viel länger zu warten.“ Obama ließ keinen Zweifel, dass auch er einen Militärschlag nicht ausschließt: „Mein Ziel ist, den Iran daran zu hindern, eine Atombombe zu bekommen. Und wenn ich sage, dass dabei alle Optionen auf dem Tisch liegen, dann meine ich das auch.“
Wie kann eine friedliche Lösung erreicht werden?
Aus Netanjahus Sicht ist das Zeitfenster für eine friedliche Konfliktlösung nur noch kurze Zeit offen. Obama zeigt mehr Geduld. Er glaubt, dass Amerika sich erst nach den amerikanischen Wahlen im November entscheiden muss, ob der Iran mit friedlichen oder nur mit militärischen Mitteln gestoppt werden kann.
Beide stellen unterschiedliche Bedingungen für die Aufnahme intensiver Verhandlungen mit dem Iran. Netanjahu fordert, der Iran müsse eine „nachweisbare Unterbrechung“ seines Atomprogramms garantieren, ehe die Gespräche beginnen. Das Weiße Haus meint, man solle ohne Vorbedingungen Verhandlungen führen.
Auch die „roten Linien“, die der Iran nicht überschreiten dürfe, beschreiben Netanjahu und Obama unterschiedlich. Konkrete Daten nannten sie nicht. Es geht vielmehr um die unterschiedlichen militärischen Fähigkeiten der israelischen und der amerikanischen Luftwaffe, von der Reichweite der Kampfflugzeuge über die Fähigkeit zur Betankung in der Luft bis zur Durchschlagskraft ihrer Bomben.
Netanjahus „rote Linie“ ist erreicht, wenn der Iran jene Atomanlagen, die potenziell dem Bombenbau dienen können, in unterirdische Bunker verlegt, die Israels Luftwaffe mit ihren Bomben nicht sprengen kann. Obamas „rote Linie“ wird erst später erreicht: dann nämlich, wenn er zu der Einschätzung gelangt, dass die iranische Führung sich tatsächlich für den Bau einer Atombombe entschieden hat und damit beginnt. Nach dem Urteil der US-Geheimdienste haben die Mullahs diesen Beschluss noch nicht gefasst. Anders als Israel glaubt das US-Militär, auch unterirdische, gebunkerte Atomanlagen zerstören zu können.
In einem zentralen Punkt stimmen Obama und Netanjahu in ihren Äußerungen überein: Der Iran könne einen Militärschlag gegen seine Atomanlagen verhindern, indem er echte Verhandlungsbereitschaft zeigt, einen glaubwürdigen Verzicht auf Atomwaffen erklärt, die uneingeschränkte internationale Kontrolle aller Atomanlagen garantiert und Israel nicht mehr die Vernichtung androht, wie führende Mullahs das noch regelmäßig tun.
Wie sieht die amerikanische Strategie aus?
Obama baut auf internationale Geschlossenheit. Der UN-Sicherheitsrat soll dem Iran deutlich machen, dass die Welt keine Doppeldeutigkeiten um sein Atomprogramm toleriert. Parallel sollen Sanktionen die Mullahs zu Verhandlungen zwingen. Die Geschlossenheit ist Obama noch wichtiger als die Schärfe der Sanktionen. Die Partner in Europa haben dabei eine zentrale Bedeutung.
Wie stehen Obamas jüdische Wähler zum Konflikt mit dem Iran?
Amerika ist nicht so kriegswillig, wie es manchmal scheinen mag. Die republikanischen Präsidentschaftsbewerber drohen dem Iran mit harten Militärmaßnahmen, weil das für sie ein billiges rhetorisches Mittel ist, um „Stärke“ zu zeigen und zugleich Obama „Schwäche“ vorzuwerfen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist gegen einen Krieg mit dem Iran. Die jüdischen Amerikaner sorgen sich zwar um Israels Sicherheit. Sie sind aber überwiegend Wähler der Demokraten und sehen Israels Sicherheit am besten durch Friedensverträge mit seinen Nachbarn garantiert.
Nicht die sogenannte „jüdische Lobby“ ist auf Kriegskurs, sondern Amerikas „Israel-Lobby“. Das ist eine ganz andere Bevölkerungsgruppe. Überwiegend sind es rechte Christen, die den Republikanern nahestehen. Republikanische Präsidentschaftsbewerber reden ihnen nach dem Mund, weil sie deren Stimmen in den Vorwahlen brauchen, um die Kandidatur zu gewinnen.
Welche Rolle spielt der Ölpreis in der Debatte?
Wenn sich der Konflikt mit dem Iran verschärft, steigt der Ölpreis. Das schadet der wirtschaftlichen Erholung. Auch deshalb hat Präsident Obama kein Interesse an einer Eskalation.
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