- Der Westen darf nicht schweigen
Kisslers Konter: Der islamistische Terrorismus hat dem Westen den Krieg erklärt. Die Attentate von Brüssel werden dazu beitragen, dass Europa sich notgedrungen zur Festung entwickelt. Der Westen braucht nun ein gemeinsames Vorgehen - und die Muslime müssen sagen, für welchen Islam sie stehen
Was ein trauriger, was ein schlimmer Tag: Müssen wir nun neben dem 11. September 2001, dem 7. Januar und dem 13. November 2015 auch den 22. März 2016 in unsere Chronik des terroristischen Schreckens aufnehmen? Findet Brüssel neben New York und zweimal Paris seinen Platz im Kollektivgedächtnis des Westens? Es deutet sehr darauf hin. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren die koordinierten Explosionen am Brüsseler Flughafen und an zwei Metrostationen islamistische Anschläge. Bisher ist von 13 Toten am Flughafen, 15 Ermordeten in der U-Bahn-Station Maelbeek und mehreren Dutzend Verletzten die Rede. Sie dürften weitere Opfer sein im Krieg, den der radikale Islam dem Westen erklärt hat. Wie sollte dieser reagieren?
Der öffentliche Verkehr in Brüssel steht still, alle Bahnhöfe sind geschlossen, das Europäische Parlament wurde abgeriegelt, es herrscht höchste Alarmstufe. Beklemmung macht sich breit, Angst und Wut: Die islamistischen Anschläge im Westen ereignen sich nicht nur in stetig kürzeren Abständen, sie rücken auch dem Herz der politischen Selbstverwaltung des Kontinents näher. Nach der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ und den Konzertbesuchern des Pariser „Bataclan“ traf es nun Reisende in Europas administrativer Kapitale. Wenige Tage, nachdem eben dort der Hauptverdächtige der Pariser Anschläge vom 13. November 2015 festgenommen wurde, Salah Abdeslam, schlagen dessen Brüder im Geiste bestialisch zurück. Wenige Tage auch, nachdem Frankreichs Premierminister Hollande erklärte, „überall, in Belgien wie in Frankreich,“ sei die Bedrohung „sehr groß“. Man sehe sich mit „extrem großen Netzwerken konfrontiert“. Was nun grauenhaft bewiesen wurde.
Panik löst keine Probleme
Leider wurde auch bewiesen, dass das Wissen um eine Bedrohung vor dieser nicht zu schützen vermag. Gegen fanatisierte Bombenbastler und Selbstmordattentäter scheint kein Kraut gewachsen. Müssen wir uns an die stete Gefährdung gewöhnen, wird der Islamismus zum mörderischen Kumpan des 21. Jahrhunderts? Schnell wird er sich nicht besiegen lassen. Ein langer Atem wird ebenso nötig sein wie jene wachsame Gelassenheit, die den Kern des westlichen Freiheitsversprechens ausmacht. Panik löst keine Probleme, blindes Laissez-faire ebenso wenig. Dreierlei Folgerungen zeichnen sich ab, auf einer kriminologischen, einer politischen und einer weltanschaulichen Ebene.
Zum einen werden Strafverfolgung und Strafvereitelung mehr denn je eine internationale Aufgabe sein. Der Terror macht an keinen Landesgrenzen Halt, die Ermittlung darf es noch weniger. Der Westen als ganzer ist ins Visier der islamistischen Freiheitsfeinde geraten, da bedarf es einer ebenso koordinierten Gegenstrategie. Zwischen Toronto und New York, London und Rom, Paris und Berlin dürfen nationale Zuständigkeiten dem Aufbau etwa einer gemeinsamen Antiterrordatenbank nicht im Weg stehen. Dass Salah Abdeslam wenige Woche vor den Pariser Attentaten in Ulm mögliche syrische Komplizen „vor einer Flüchtlingsunterkunft“ abgeholt haben und mit diesen zurück nach Frankreich gefahren sein soll, belegt die Notwendigkeit effektiverer Zusammenarbeit und Grenzkontrollen.
Deutschland hatte bisher „Glück“
Womit wir bei den politischen Folgerungen wären. Notgedrungen und aus Selbstschutz wird Europa sich zur Festung entwickeln. Die Flüchtlingspolitik der EU, wie sie nun gerade durch das Umsiedlungsabkommen für syrische Migranten mit der Türkei neue Konturen gewann, dürfte nicht unberührt bleiben. Schon mehrfach, bekräftigte Verfassungsschutzpräsident Maaßen, sind „Personen mit Kampfauftrag aus Syrien“, Islamisten vom „Islamischen Staat“, Mörder also in Wartestellung, nach Europa aufgebrochen. Sie nutzten den Flüchtlingsstrom gezielt. Es sei, so Maaßen, nur „Glück“ gewesen, dass Deutschland bisher von Anschlägen verschont blieb. Auf dieses „Glück“ wird sich Deutschland nicht mehr verlassen. Man wird, aller Rhetorik zum Trotz, genauer hinsehen, wer die Menschen sind, die zu uns wollen und dürfen. Ohne Grenzen kann auch Terror grenzenlos wachsen.
Drittens wird an die Seite der kriminologischen die weltanschauliche Aufklärung treten. Der Satz, Islamismus habe mit dem Islam nichts zu tun, bleibt falsch. Gefragt ist nun die Bereitschaft des Westens, von sich Auskunft zu geben – zu sagen, wo Toleranz beginnt und wo sie enden muss, damit die größtmögliche Freiheit der größtmöglichen Zahl nicht gefährdet wird. Und die Muslime müssen mit größerer Leidenschaft als bisher in den eigenen Reihen für eine gewaltfreie Auslegung ihrer Traditionen werben. Es wird schwierig genug, sind doch die für den Westen unverhandelbaren Menschenrechte kaum kompatibel mit deren islamischer Interpretation. Man schaue in die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Islam“ von 1981 und die „Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam“ von 1990. In beiden Dokumenten werden die Rechte auf Leben und auf Freiheit, werden Meinungs- und Religionsfreiheit unter den Vorbehalt der Scharia gestellt. Der Islam gilt als „Religion der unverdorbenen Natur“, der Mensch ist von Natur aus Muslim, weshalb Aus- und Übertritte eigentlich nicht vorgesehen sind.
Heute weint Europa mit den Toten von Brüssel, bangt Europa um die Verletzten, betet, wer mag, für die Opfer und ihre Angehörigen. Morgen aber wird Europa entschlossen daran arbeiten, dass der Westen sich nicht unterkriegen lässt. Er hat der Welt unendlich viel mehr zu geben, als seine Feinde je werden begreifen, je werden zerstören können: Freiheit, das allein menschliche Maß.
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