- Ein bisschen Bumm, irgendwas mit Terror
Die Medienkolumne: Deutschland will sich stärker militärisch in Afrika engagieren. Aber wie nachhaltig ist die mediale Berichterstattung über diesen Kontinent, den zu befrieden die Bundesrepublik sich nun anschickt?
Schießen, ducken, Islamisten jagen: Wie das geht, soll die Bundeswehr dem Militär im westafrikanischen Mali noch besser beibringen. Das deutsche Truppenkontingent wird von derzeit höchstens 180 auf 250 Soldaten aufgestockt, hat das Bundeskabinett am Mittwoch beschlossen.
So umstritten der Beschluss in der Öffentlichkeit sein mag, für eines muss man der Regierung dankbar sein: Sie hat das Nachrichtenfenster nach Afrika in diesen Wochen wieder einen Spalt weit aufgestoßen. Die Fachleute streiten über das deutsche Engagement im Ausland – aber wie fundiert sind eigentlich die Informationen, die aus den Krisenherden über die Medien zu uns gelangen und Grundlage demokratischer Entscheidungen sind? Oberflächlich betrachtet, bedient die Debatte alle Nachrichtenfaktoren: ein bisschen bumm, irgendwas mit Terror und dazu noch eine blonde Verteidigungsministerin.
Fernab dieser Schlaglicht-Reporte wurde nur wenig über die Hintergründe des Konflikts in Mali und der Zentralafrikanischen Republik berichtet, beobachtet Marc Engelhardt. Der Vorsitzende des Korrespondentennetzwerks Weltreporter kennt die beiden Länder selbst aus jahrelanger journalistischer Tätigkeit und weiß, dass die Lage nicht plötzlich schlechter geworden ist, sondern sich über Monate, teils Jahre abzeichnete. „Wir fordern, nicht nur hinzuschauen, wenn es besonders schlimm ist, sondern kontinuierlich.“
Jede fünfte Korrespondentenstelle gestrichen
Genau das aber ist ein Problem – in einer Medienlandschaft, in der es zwar immer mehr Journalisten, aber immer weniger Auslandsreporter gibt: In den letzten Jahren wurde jede fünfte Korrespondentenstelle in Afrika gestrichen. Regionalzeitungen, die sich früher noch eine Korrespondentenstelle geteilt haben, verzichten jetzt vollständig darauf. Auch die Großen sparen: Die Zeit und der Springer-Auslandsdienst haben alle Afrika-Büros geschlossen.
Stattdessen schicken die Häuser lieber kurzfristig eigene Reporter, wenn es brennt. „Fallschirmkorrespondenten“ nennt Engelhardt diese Sorte Journalisten: hinfliegen, abspringen und nach getaner Arbeit wieder heimkehren. „Sie sind heute in Mali, gestern auf den Philippinen – und betrachten das Land nur durch die deutsche Brille.“
In einem solchen Medienumfeld wäre eigentlich viel Platz für freie Journalisten, die im Ausland leben. Doch auch an ihnen wird gespart. Immer seltener erhielten sie von Redaktionen die feste Zusage für die Abnahme eines Artikels, berichtet Engelhardt. Auch Reisekosten würden kaum noch übernommen: „In den letzten zehn Jahren ist es fast unanständig geworden, wenn man danach fragt.“ Immer mehr Onlinemedien wollten Texte gleich gar nicht bezahlen. „Wir betreiben das aber nicht als Hobby“, betont Engelhardt.
Das Thema Hunger macht nicht satt
In den USA füllen Stiftungen die publizistische Lücke. Wie schwer es im englischsprachigen Raum geworden ist, Afrika-Themen zu platzieren, haben die amerikanischen Journalisten Roger Thurow und Samuel Loewenberg auf einer Veranstaltung des Pulitzer Centers on Crisis Reporting und der BMW Stiftung berichtet. Loewenberg, der unter anderem für die New York Times, die Washington Post oder den Guardian über Hunger-Themen schreibt, beobachtet eine Müdigkeit westlicher Medien, ausdauernd über strukturelle Krisen zu berichten. „Hunger ist aber selten eine Katastrophe, die ganz plötzlich passiert.“ Sie kündigt sich über Monate oder Jahre im Voraus an. Dabei wäre es genau in diesem Zeitraum wichtig, die politischen Entscheider für diese Zusammenhänge zu sensibilisieren. Denn Entwicklungshilfe setzt häufig erst nach dem öffentlichen Aufschrei ein, der auf die Krisenberichterstattung folgt. Dann aber ist es meist zu spät.
Loewenberg fällt auf, dass sich Redaktionen selten frühzeitig für diese Themen interessieren. Als er einer Redaktion einmal vorschlug, über eine sich anbahnende Hungerkrise zu schreiben, die zwei Millionen Menschen betreffen würde, lautete die Antwort: „Nicht bei zwei Millionen. Kommen Sie zurück, wenn es acht Millionen sind.“ Als der Reporter zu einem späteren Zeitpunkt in einem Flüchtlingslager in Somalia war, erhielt er einen Anruf von einem US-Fernsehsender: „Das ist ja großartig! Kannst du nicht was für uns drehen?“ Dass Loewenberg diese Geschichte schon Monate zuvor angeboten hatte, als sich die Krise erst anbahnte, hatten die Verantwortlichen völlig vergessen.
Dabei kann man, wenn man lange und zäh an einem Thema recherchiert, auch echte Lösungen finden, die im besten Fall auch politische Veränderungen bewirken. Roger Thurow besuchte ein Jahr lang eine Bauernfamilie in Kenia. Sie besaßen eine bescheidene Hütte, fruchtbares Ackerland – und hungerten trotzdem. Jahr für Jahr, mal für wenige Wochen, mal über Monate.
Der frühere Reporter des Wall Street Journal fand heraus, dass die Familie nur eine kleine Anschubfinanzierung brauchte – etwas mehr Saatgut und Lagerfläche – um dem Hungerkreislauf für immer zu entkommen. Die Familie konnte nicht nur sich selbst versorgen, sondern sogar zusätzliche Lebensmittel auf dem Markt verkaufen. Das Wunder beschreibt er in seinem Buch „The last Hunger Season“. Ohne die Hilfe von privaten Spendern könnten Loewenberg und Thurow aber kaum noch ihre Reisekosten in Afrika decken.
Wie aber kann die Berichterstattung auch in Deutschland verbessert werden, wo das Stiftungswesen noch in den Kinderschuhen steckt? Der Leipziger Medienforscher Lutz Mükke, der die Afrika-Berichterstattung hierzulande in dem Buch „Journalisten der Finsternis“ (2009) erforscht hat, hat einen Vier-Punkte-Plan ausgearbeitet.
Nicht nur weiße Einbahnstraßenberichterstatter
Den Korrespondenten selbst legt er nahe, sich in Deutschland zu einer Organisation zusammenzuschließen. Eine solche unabhängige Vereinigung könnte als Standesvertretung fungieren, Fehler in der Berichterstattung anprangern und – so hofft Mükke – sogar eine Grundsatzdiskussion anschieben über die Frage, welche Rolle Auslandsberichterstattung in einem Land einnehmen müsste, das sich beispielsweise international verstärkt militärisch engagieren will. Weltreporter-Vorstand Marc Engelhardt sieht seine Vereinigung bereits als eine solche Interessenvertretung. Das Problem sei aber, dass die Mitglieder alle im Ausland seien – „und wenn sie nach Deutschland zurückkehren, haben sie einen neuen Job, der sie fordert“.
Mükkes zweiter Vorschlag wäre, dass die Korrespondentennetze von ARD und ZDF in einem gemeinsamen Auslandskanal kooperieren. „Man hätte plötzlich Raum für neue, kreative, nachrichtliche, hintergründige, unterhaltende und ratgebende Auslandsformate jenseits vom episodischen Auslandsjournal und Weltspiegel“, heißt es in seiner Projektskizze.
Neben einer besseren fachlichen Auswahl der einzelnen Auslandsreporter ist Mükke ein vierter Punkt besonders wichtig: Deutsche Medien sollten verstärkt mit Afrikanern oder Journalisten mit afrikanischem Migrationshintergrund zusammenarbeiten. Bislang gleicht das traditionelle Korrespondentenbild noch dem weißen, europäischen „Einbahnstraßenberichterstatter“ des 19. Jahrhunderts. Mükke wünscht sich, dass insgesamt mehr „Locals“ zu Wort kommen. Sie sollten nicht nur als sogenannte Stringer eingesetzt werden – als unsichtbare Hilfsarbeiter also, die vor Ort im Zweifelsfall ihren Kopf hinhalten müssen.
Mali zeigt, dass die deutschen Medien da noch üben müssen: Örtliche Autoren – Fehlanzeige. Wer wenigstens ein Interview mit einem Akteur aus Bamako sucht, muss schon auf Fachmedien zurückgreifen: Der malische Versöhnungsminister Cheikh Oumar Diarrah sprach mit dem Magazin „Internationale Politik und Gesellschaft“ der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Nur die taz, die Junge Welt und der Auslandskanal Deutsche Welle berichteten laut einer internen Presseauswertung darüber. Allerdings nur, weil der Minister in Berlin weilte. Auf Einladung der Stiftung. Die hatte übrigens auch Diarrahs Reisekosten übernommen.
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