() Jacques Rogge - seit 2001 Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC)
So korrupt ist das IOC
Der olympische Gedanke ist längst passé. Er ist in einer Milliardenindustrie verschwunden, die hat ganz eigene Regeln. In diesem Kosmos der Sportfunktionäre herrscht vor allem eins: ein ausgeklügeltes System von Korruption
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Heinz Schaden trat gut gelaunt im Fitnessraum seines Hotels in die Pedale, schaute CNN und fiel fast vom Fahrrad: Nur während dieses Trainings, klagte Salzburgs Bürgermeister, konnte er vier, fünf Werbespots der Konkurrenzstädte Sotschi und Pyeongchang verfolgen. Dabei war Reklame so kurz vor der Kür der olympischen Spielstätte im Juli 2007 in Guatemala strikt verboten von den Herrn der Ringe. Die Salzburger, die sich allein daran hielten, waren am Ende die Dummen.
Österreich hatte geglaubt, beim Internationalen Olympischen Komitee mit anderen Werten als Geld punkten zu können: mit der Wintertradition der Alpen, welche die Rivalen nur per Computer simulierten – das virtuelle Skigebiet „Alpensia“, das der südkoreanische Mitbewerber Pyeongchang feilbot, oder das russische Reißbrettexperiment Sotschi im Kaukasus. Authentizität schlägt Raubkopierer, hatten sie in Salzburg gehofft.
Ein Irrglaube. Es siegte die olympische Wirklichkeit. Drei Viertel der IOC-Mitglieder pfiffen auf Salzburg, sie genossen lieber die gigantische Marktschlacht zwischen Gasprom und Samsung: Hier die Oligarchen um Wladimir Putin, dort die Chaebols um Samsung-Chef Lee Kun Hee, der gleich selbst im IOC sitzt. Nie wurde Olympia schamloser versteigert. Künftige Interessenten wie die deutsche Winterkandidatur 2018 mit München sind chancenlos, wenn sie da weiter demokratische und kaufmännische Grundsätze pflegen wollen.
Für fairen Wettbewerb kann nicht einmal IOC-Chef Jacques Rogge sorgen, der sich offiziell dem Kampf gegen Korruption verschrieben hat. Denn Filz und Bestechung sind Kernbestandteile des olympischen Sportsystems, so elementar wie das Dopingproblem, das die Funktionäre gar nicht bekämpfen wollen. Sie wissen zu gut, was die immer fantastischeren Leistungen garantieren, die ihnen ein pralles First-Class-Leben als VIPs ermöglichen und bald auch in Peking zu bestaunen sein werden. Fairplay im Weltsport? Ein absurder Traum.
In der Olympischen Charta, dem Grundgesetz für die Spiele und die beteiligten 35 Weltverbände, fehlt das Wort Korruption. Dabei sind die Betrugsstrukturen im Spitzensport jedem Kriminologen vertraut: Bagatell- oder Gelegenheitskorruption, Ämterverquickung, Netzwerke, organisierte Kriminalität, Pression auf Abweichler, systematische Einflussnahme über Politiker, die sich wiederum gern im Abglanz der Athleten sonnen. Doch anders als die Wirtschaft entwickelt der Sport seine endemische Kriminalität ungestraft. Denn er genießt eine Autonomie, die ihm in früheren Zeiten eingeräumt wurde, als er von Amateuren und Ehrenamtlichen lebte, idealistisch und mittellos. Dank dieser längst nicht mehr zeitgemäßen gesellschaftlichen Sonderstellung konnte sich die moderne Milliardenindustrie Olympia in eine Parallelwelt verwandeln, die sich ihre Regeln selbst gibt. Ein wahr gewordener Traum für jede Wirtschaftskraft, die es ins IOC schafft. Denn dieser Privatverein nach Schweizer Recht ist de facto ein globaler Konzern, verhandelt mit Staaten und Organisationen wie den UN und besitzt fast diplomatischen Status, unbehelligt von Strafgesetzen oder internationalen Konventionen. Der Schweizer Bundesrat meint, das IOC solle selbst seine „Wahlmechanismen frei von unstatthafter Beeinflussung halten“. Kein Wunder, dass eine Scheindemokratie voller Ausnahmeregeln wie Zoll- und Steuerfreiheiten entstanden ist. Und das Tollste ist: Staatliche Subventionen in die Infrastruktur für Spiele machen stets ein Vielfaches des Organisationsetats aus. Klar, dass da immer wieder Teile dieser von Steuerzahlern erwirtschafteten Mittel in dunkle Kanäle abfließen.
Enorm sind auch schon die Kollateralkosten für Bewerbungen. Für Pyeongchang hatte Südkoreas Staatschef Roh die wichtigsten Konzernlenker auf die nationale Sache verpflichtet. So reisten Firmenemissäre nach Afrika und Lateinamerika und investierten in alles Mögliche, was der Sport gern mit Entwicklungshilfe umschreibt; gut 40 Millionen Dollar sollen geflossen sein. Insbesondere jene IOC-Mitglieder wollen ja umgarnt werden, die mit Wintersport eh nichts am Hut haben.
Doch an Putin scheiterten selbst die Südkoreaner, deren IOC-Mitglieder beste Korruptionserfahrung haben – alle drei wurden bereits der Korruption angeklagt. Versucht hatten sie alles, sogar einzelne Wintersportverbände mit Werbeverträgen geködert. Doch Sotschis Agenten hatten 100 Millionen Euro lockergemacht, hieß es in Bewerberkreisen. Und Ex-KGB-Zar Wladimir Putin ließ IOC-Chef Jacques Rogge den Energieriesen Gasprom als Topsponsor andienen, von sagenhaften Konditionen war die Rede. Zur Kür in Guatemala flogen die Russen eine Antonow mit 70 Tonnen Material ein, um in den Tropen eine Freiluft-Eislauffläche zu installieren. Deren Besuch war den IOC-Mitgliedern per Ethik-Kodex verboten, doch nicht alle hielten sich daran. Schließlich lockten allabendlich Kaviar, Tanz und nette Mädels. Mit Putins Ankunft brachen die letzten Dämme: Er führte Funktionäre reihenweise aus, entgegen den Regeln. Kurz vor der Kür sah der Norweger Gerhard Heiberg das Bewerbungsprozedere „außer Kontrolle“, der IOC-Marketingchef geißelte korrupte Umtriebe. So fand das IOC acht Jahre nach der existenzbedrohenden Affäre um die Bestechungen von Salt Lake City 2002 endgültig in die alte Spur zurück.
Aber was sind acht Jahre? Sotschis Siegerbild illustrierte die gusseisernen Verhältnisse im Olymp über mehr als ein Vierteljahrhundert: Es zeigte Juan Antonio Samaranch und Vitali Smirnow, brüderlich im Triumph vereint. So wie 1980 in Moskau, als der Spanier Samaranch mit der klandestinen Regie des Adidas-Patrons Horst Dassler an die IOC-Spitze gehievt worden war und Olympia-Veteran Smirnow den Rahmen organisiert hatte, die sowjetischen Propagandaspiele. 21 Jahre später gab Samaranch, wieder in Moskau, den Stab an den Belgier Rogge weiter. Doch er blieb virulent im Olymp, für Sotschi flog der 88-jährige Autokrat gar zur Kür ein und besorgte über Nacht die letzten vier, fünf Voten – so beobachteten die ohnmächtigen Rivalen. Für Samaranch war das kein Problem, die meisten IOC-Mitglieder hat er ja selbst berufen. Der Katalane, der für seinen Gönner Franco einst die Region Barcelona ruhig hielt, hatte nach dem Tod des letzten westeuropäischen Diktatoren die Heimat verlassen. Als Spaniens Botschafter im Moskau des Kalten Krieges erfand er sich neu in der Rolle des Weltsportchefs. Er brachte die Spiele nach Barcelona und stimmte so seine Landsleute versöhnlich. Der Preis: Schon damals wurde mit Privatdossiers über die IOC-Wahlleute operiert, heute ist es fester Brauch. Samaranch lernte die Feinheiten des Sportgeschäfts von Horst Dassler. Der Franke war bis zu seinem Krebstod 1987 die Schlüsselfigur im korrupten Weltsport. Wie ein Agent führte er Buch über wichtige Funktionäre, bei Adidas unterhielt er eine sportpolitische Abteilung, die schmutzige Deals ausbaldowerte. Gerichtskundig wurde das Ausmaß der Umtriebe Dasslers und der Seinen unlängst im Strafprozess gegen die Topmanager der von ihm gegründeten Sportagentur ISL. Die Firma hat allein von 1989 bis 2001 gut 138 Millionen Schweizer Franken Schmiergeld an Funktionäre von IOC, Fußballweltverband Fifa und andere ausgeschüttet. Ex-Firmenchef Christoph Malms erklärte, Dassler hätte die Korruption in den siebziger Jahren als Geschäftskultur eingeführt.
Wie in der Fifa die Bosse João Havelange und Sepp Blatter wurde Samaranch Dasslers Arm im IOC. Den Kollegen bot er ein Partyleben mit Luxusreisen, in die Spitzenämter hievte er Mitstreiter aus der Dassler-Ära. Diese Saat gedieh auch unter Nachfolger Rogge. 2005 warf das IOC den Bulgaren Iwan Slawkow raus, der für ein getarntes Fernsehteam der BBC bereit war, Stimmen für die Städtewahl 2012 zu verkaufen. Der TV-Beitrag zeigte auch ähnliche Neigungen des Samaranch-Spezis Smirnow, und die ungebrochene Aktivität vieler Agenten und Vermittler, die trotz ihrer Verwicklungen im einzig publik gewordenen Skandal, dem von Salt Lake City, dick im Geschäft geblieben waren. Neben Slawkow musste Rogges IOC weitere korrupte Fahrensleute Samaranchs ausschließen, den früheren indonesischen Handels- und Industrieminister Bob Hasan und Vizepräsident Un Yong Kim. Der Südkoreaner, einst Geheimdienstler der Militärjunta, brachte 1988 die Spiele nach Seoul, wurde im Sport reich – und landete 2004 wegen Korruption hinter Gittern. Von dort schrieb er Drohbriefe an die Kollegen.
Andere durften bleiben, wie der in Moskau vom Tennislehrer zum Milliardär mutierte Shamil Tarpischew, den in den Neunzigern amerikanische Ermittler auf ihrer Liste führten. Oder Kims Landsmann, der ehemalige Samsung-Chef Lee Kun Hee. Der musste gerade seinen Job niederlegen, erwartet nun in Seoul einen Korruptionsprozess – und ist sogar ein Rückfalltäter. Schon 1996, Wochen nach seiner Berufung ins IOC, war er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Aber die Ethikkommission des IOC blieb untätig. Der hohe Wirtschaftsherr sitze ja nicht hinter Gittern, heißt es. Man könnte es auch so sehen: 2007 hat das IOC den Sponsorvertrag mit Samsung um acht Jahre verlängert, die Verbindung ist 100 Millionen Dollar wert.
Die olympischen Ideale gehorchen in der Gemengelage nur einer skrupellosen Verkaufsstrategie. Regierungen, die ihren Vorteil wittern, stört das nicht. Auch nicht hierzulande, wo Samaranch einem Industrieberater den Weg ebnete. Der Musterfunktionär und heutige IOC-Vize Thomas Bach hatte einst für seinen fränkischen Förderer Dassler bei Adidas gearbeitet, er fühlte sich sogar niemals der Firma, sondern nur „Horst Dassler persönlich“ verpflichtet – so wird er zitiert in einer Dassler-Biografie.
Samaranchs Getreue Kim und Smirnow waren auch tief in den Salt-Lake-Skandal verwickelt. Die Winterspiel-Bewerber für 2002 aus Utah hatten in den neunziger Jahren IOC-Mitglieder mit unmoralischen Angeboten geködert, wie es auch andere taten – doch nur die Amerikaner deckten ihre Affäre auf. Als der Skandal auf Nagano abzustrahlen begann, den Winterspielort 1998, schwindelten die Japaner plötzlich, ihre Bilanzbücher seien vernichtet worden. Doch mutige Reporter trieben sie auf, und zutage trat ein Bild wie in Salt Lake City. Allerdings waren die Nagano-Spiele da schon vorbei, und die Japaner begruben ihre Affäre in aller Stille.
Auch das IOC tat nur das Nötigste. Es sortierte sechs kleine Sünder aus, vier Afrikaner und zwei Latinos. Freunde des Chefs kamen mit läppischen Verwarnungen davon. Samaranch hatte eine Säuberungskommission seines Vertrauens einberufen, mit dabei Dirk Bach, der gerade als Chef der IOC-Prüfkommission für Salt Lake City gezeigt hatte, dass er nichts mitgekriegt hatte von den Praktiken der Bewerber. Kommissionschef Dick Pound gestand später, die Prüfkommission sei von Samaranch gegängelt worden. Bach sagte nichts dergleichen. Stattdessen zählte der deutsche Berufslobbyist, als sich Sportsfreund Kim 2001 um Samaranchs Thron bewarb, zu den drei persönlichen Bürgen des Ex-Agenten. Der wurde immerhin Zweiter, am Ende hatte er den Mitgliedern sogar Geld geboten. Doch Samaranch wollte den Belgier Rogge, einen skandalfreien Arzt aus Gent. Er ahnte, dass Kims Ende bevorstand. Und die Bewegung brauchte nach all den Skandalen eine Verschnaufpause.
Bei Samaranchs letzter Amtshandlung als Präsident brach sich der spezielle olympische Geist noch einmal mächtig Bahn: Peking wurde Sommerspielort 2008. Der alte Spanier wünschte die Spiele in China, das mit allerlei Entwicklungshilfen die Voten der Dritten Welt erobert hatte – und auch bei Europas Wirtschaftseliten punkten konnte. Die angekündigte Investitions-Fiesta kam zustande, allein Siemens beziffert sein Gesamtengagement im olympischen Umfeld mit 1,1 Milliarden Euro, vom Stadion- bis zum Flughafenbau. Und dabei griff der Konzern angeblich nicht mal auf die erstklassigen Beziehungen seines Beraters Thomas Bach zurück, der sich, wie er sagt, rigoros raushält aus derlei Geschäften.
Pekings Propaganda-Spiele sollen den Gipfelsturm des 54-jährigen Firmenberaters einläuten. Schon 2009 könnte der IOC-Thron vakant werden. Rogge deutet schon Amtsmüdigkeit an. Samaranchs Horden kriegte er nie in den Griff, und auch die Tibet-Frage hat er kolossal unterschätzt. Der Fackellauf wurde zum Desaster, aggressive Chinesen und heuchlerische Funktionäre treiben Rogge wie ein Blatt im Wind vor sich her. Sein IOC, sagt er, sei wieder in der Krise. Vielen Alteingesessenen wäre Rogges Abschied recht. Er hat die Ausschweifungen reduziert, und im Kampf gegen Doping verschaffte er dem IOC erstmals gewisse Glaubwürdigkeit. Offenbar war das die falsche Agenda – der Verdacht drängt sich auf, jetzt, da die Ämterfolge von Samaranch über Rogge zu Bach als stärkste Option durch die olympische Familie schimmert.
Thomas Kistner ist bei der Süddeutschen Zeitung zuständig für Sportpolitik. Gemeinsam mit Jens Weinreich schrieb er „Der olympische Sumpf. Die Machenschaften des IOC“ (Piper)
Foto: Picture Alliance
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