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Den Tyrannen töten?

Kann ein Gegner der Todesstrafe die Hinrichtung eines Tyrannen befürworten?

Kann ein Gegner der Todesstrafe die Hinrichtung eines Tyrannen befürworten? Meine Antwort auf diese Frage lautet: Ja. Die verpfuschte Exekution Saddam Husseins freilich, die eher den Eindruck von Blutrache als von unparteiischer Gerichtsbarkeit vermittelte, hat es erschwert, diese Position zu verteidigen. Meiner Überzeugung nach sollte es dem Staat nicht gestattet sein, Menschen wegen Verbrechen an anderen Menschen zu töten, auch nicht, wenn es sich um sehr grausame Verbrechen handelt. Mit Ausnahme von Fällen der militärischen Abwehr eines Angriffs oder zur Hilfe anderer Angegriffener sollte der Staat sich nicht am Geschäft des Tötens beteiligen – denn sein erstes Gebot besteht im Schutz des Lebens. Ein Tyrann aber verübt seine Verbrechen nicht an einzelnen Individuen, sondern es sind Verbrechen gegen die Solidarität unter den Menschen, gegen das Gemeinwohl, gegen den Kern dessen, was eine politische Gemeinschaft trägt und ausmacht. Das verändert die Lage. Ein Tyrann ist kein gewöhnlicher Verbrecher. Die Ermordung eines Tyrannen stellt kein moralisches Problem dar. Wir haben es mit einem Herrscher zu tun, der seine ganze Macht zu dem Zweck einsetzt, die Menschen seines Landes zu unterdrücken: Seine Gefängnisse sind voll, seine Schergen foltern, seine Todesschwadronen ziehen durchs Land. Der Tyrann befindet sich im Kriegszustand mit seinen Subjekten. Ihn zu töten, ist ein rechtmäßiger Kriegsakt. Die Ermordung eines Tyrannen ist eine ehrenwerte Tat, und die Mörder werden gewöhnlich auch geehrt. Wie aber steht es mit einem gestürzten Tyrannen? Sollte er für seine Verbrechen nicht vor Gericht gestellt und, so verurteilt, in gerechter Weise bestraft werden? Er ist ja nun machtlos, eingesperrt, in Gefängniskleidern. Weshalb sollten wir ihn anders behandeln als alle anderen Insassen?… Saddam wurde hingerichtet, weil die Todesstrafe im Irak gesetzlich etabliert und weithin akzeptiert war. Ich bin für die Abschaffung der Todesstrafe, aber nicht der Tyrann sollte als Erster von ihr profitieren, sondern ein Mensch wie Sie oder ich, jemand, der niemals alle Macht besaß, der niemals Millionen von Menschen in brutaler Weise unterdrückte. Ahmen wir, wenn wir den grausamen Herrscher hinrichten, damit nicht einfach sein Verhalten nach? Ich denke, das Gerichtsverfahren markiert einen entscheidenden Unterschied. In gewisser Weise handelt es sich natürlich um ein Schauverfahren: Das Urteil steht von Beginn an fest (weil die Fakten nicht strittig sind). Dennoch, der Tyrann spricht zum Gericht und zur ganzen Nation, er kann sein Verhalten in jeder ihm gemäß erscheinenden Weise rechtfertigen. Seine Anwälte erhalten Gelegenheit, die erhobenen Beschuldigungen und vorgelegten Indizien infrage zu stellen. Und nach der Verurteilung wird der Tyrann hingerichtet. Er wird getötet, weil allein diese Tötung der Tyrannenherrschaft ein definitives Ende bereitet und eine Rückkehr zur Macht ausschließt. Nur die Exekution vermag jenen Abschluss herbeizuführen, nach dem die politische Gemeinschaft verlangt. Aber was, wenn die Todesstrafe bereits abgeschafft wurde: Würde ich eine Hinrichtung des Tyrannen auch in diesem Fall befürworten? Diese Frage wird sich so wohl nie stellen, denn Tyrannen haben niemals ohne die Todesstrafe geherrscht. Vielleicht kann also ein Staat, der sich vom Geschäft des Tötens verabschiedet hat, kein Tyrannenstaat sein. Wenn das stimmt, sollte die Tötung des Tyrannen das letzte vollstreckte Todesurteil sein. Michael Walzer ist Moral- und Sozialphilosoph und einer der führenden amerikanischen Intellektuellen. Er forscht am Center for Advanced Studies in Princeton

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