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„Sie haben mich 22 Jahre lang gefoltert“

Er sollte an seinem Schreibtisch bei der kubanischen Postsparkasse einen Castro-Aufkleber anbringen und weigerte sich. Das bezahlte Armando Valladares mit 8000 Tagen Folterhaft

Ich war 22 Jahre im Gefängnis. Aus politischen Gründen. Denn ich hatte mich geweigert, an meinem Schreibtisch bei der Postsparkasse einen Castro-Aufkleber anzubringen. Daraufhin kamen sie eines Morgens in mein Haus, drangen in mein Schlafzimmer und weckten mich, indem sie mir eine Maschinenpistole an meinen Kopf pressten. Ich war damals 23 Jahre alt, und sie verurteilten mich als „Konter-Revolutionär“ zu 30 Jahren Haft. Ich kam in die Festung auf die Isla de Pinos. Mein Zellen-Kompagnon wurde Roberto López Chávez, ein Junge. Er protestierte gegen seine Verhaftung mit einem Hungerstreik. Die Wächter verweigerten ihm daraufhin das Wasser. Roberto lag nach kurzer Zeit entkräftet auf dem Boden seiner Strafzelle, verdurstend, und im Delirium nach Wasser bettelnd. Die Soldaten kamen endlich herein und fragten: „Du willst Wasser?“ Dann urinierten sie auf sein Gesicht, in seinen Mund. Er starb am folgenden Tag. Und als er starb, verdorrte etwas in mir. Als ich in die Strafzelle kam, nahmen sie mir die Kleidung ab. Sie ließen mich nackt in der Zelle liegen. Mein Bein hatten sie gebrochen, der Knochen war gesplittert, aber medizinische Hilfe bekam ich nicht. Bis heute ist das Bein verwachsen und behindert. Zu den regelmäßigen Strafen der Wächter zählte der Urin-Regen. Sie stellten sich dabei auf das Deckengitter und warfen mir Kübel voller Urin und Exkremente ins Gesicht. Heute kenne ich den Geschmack von Urin anderer Männer. Diese Folter hinterlässt keine äußerlichen Wunden wie die vielen an meinem Kopf, die durch Schläge mit Eisenstangen herbeigeführt wurden. Aber was verursacht mehr Schaden an ihrer menschlichen Würde – der Urin und die Exkremente im Gesicht oder die Schläge? Unter welche Kategorie von Folter fällt was? Wie erfassen die Berichte von Menschenrechtsorganisationen die menschliche Würde? Folter ist keine Größe für diplomatische Rhetorik – man erleidet sie, furchtbar und jämmerlich. Ich habe sie 8000 Tage erlitten. 8000 Tage mit Hunger, systematischer Prügel, schwerer Zwangsarbeit, Schmerzen und Einsamkeit. 8000 Tage im Kampf zu beweisen, dass ich ein menschliches Wesen bin. 8000 Tage, um zu beweisen, dass der Geist über die Unterdrückung und das Leid siegen kann. Die 8000 Tage haben meine religiösen Überzeugungen geprüft. Irgendwann stellten sie uns vor die Wahl. Die Folterer fragten uns einzeln, ob wir bereit wären zu erklären: „Mein ganzes Leben war ein Fehler. Gott existiert nicht. Ich bitte um die Chance, ein Mitglied der kommunistischen Gesellschaft zu werden.“ Von den 80 000 politischen Gefangenen Kubas sind 70 000 irgendwann diesen Weg gegangen. Ich nicht. Für mich wäre es geistiger Selbstmord gewesen. 8000 Tage lang kämpfte ich gegen den Hass meiner atheistischen Folterer, aber auch gegen den Hass in mir selbst. Ich wollte nicht so werden wie sie. Ich zwang mich, ihnen zu vergeben, die Rache-Gelüste zu unterbinden. Und so blieb ich innerlich frei. All die Jahre im Gefängnis gab ich meine innere Freiheit nie auf. Meine Freiheit war es nicht, frei herumzulaufen. Es gibt viele Menschen auf Kuba, die den Raum haben, frei herumzulaufen, aber frei sind sie nicht. Fidel Castro ist der Wächter aller. Ich zehrte von dieser inneren Freiheit, von meinem christlichen Glauben und von der Hoffnung. Die Willkür von Tyrannen reduziert ihre Opfer zuweilen auf ein tierisches Dasein, sie werden dehumanisiert. So wie Tiere eingesperrt, geschlagen oder geschlachtet werden, verfahren totalitäre Regime mit ihren Gegnern. Doch wenn man lange wie ein Tier behandelt wird, gibt es Momente, in denen einen nur noch die Hoffnung am Leben erhält, die Hoffnung auf irgendeine Seele, irgendwo, eine Seele, die einen respektiert, die einen liebt. Ich hatte das Glück mit meiner Frau. Wir waren erst ein Jahr zusammen, als ich verhaftet wurde. Doch Marta wartete auf mich – 22 Jahre lang. Der Autor wurde auf internationalen Druck nach 22 Jahren politischer Haft entlassen. Er lebt heute mit seiner Frau Marta und drei Kindern in Miami. Mit der Autobiografie „Wider alle Hoffnung“ wurde sein Fall international bekannt. Auf die Frage, ob er noch einmal nach Kuba zurückkehren wolle, antwortet er: „Sofort, wenn Castro weg und Kuba wieder frei ist.“ Foto: Picture Alliance

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