- Wie Motivationstrainer das ganz große Geld versprechen
Jeder Mensch kann überdurchschnittlichen Erfolg haben, behaupten die Motivationstrainer von Success Resources. Mit billigen Methoden wollen sie den deutschen Markt erobern. Ihre Seminare sind aber eher Freakshow als Fortbildung
„Yes or no?“, schreit der Mann auf der Bühne. Die Zuschauer brüllen zurück: „Yes!“ Von zwei Großleinwänden glänzt sein breites Gesicht bis in die hintersten Stuhlreihen. Die Solariumbräune macht ihn nicht attraktiver. Rechts und links von ihm stehen Flipcharts. Der Mann schreit: „Jeder in diesem Raum ist in der Lage dazu, reich zu werden!“ Er dehnt jede Silbe, Kaugummienglisch. Eine halbe Stunde vorher ist er zu Autoscooter-Musik auf die Bühne des Berliner Estrel-Hotels gejoggt. Das Publikum hat im Stehen geklatscht. Von einem Moderator animiert. Und das um 9 Uhr morgens, bevor das zehnstündige Seminar richtig begonnen hat.
Willkommen in der Welt der Motivationsindustrie, die für jede Nische eine Erfolgsstrategie verspricht. In den USA gehört sie längst zum Alltag. Firmen zahlen teure Seminare, um ihre Mitarbeiter zu motivieren. Aber auch Privatleute suchen hier das Glück, in der Liebe, bei finanziellen Fragen oder beim Abnehmen.
Die Branche boomt
In Deutschland ist die Branche in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt zweistellig gewachsen, jedenfalls nach Angaben des Bundesverbands Coaching. Für dieses Jahr rechnet man mit einem Umsatz von 350 Millionen Euro allein für Seminare, die von Unternehmen gebucht werden. Der Einstieg ins Geschäft ist denkbar einfach: Motivationscoach kann sich jeder nennen, weil der Begriff nicht geschützt ist.
Einen möglichst großen Teil des deutschen Marktes will Richard Tan erobern, Gründer von Success Resources, einem internationalen Anbieter von Motivationsseminaren mit Sitz in Singapur. Seine Vision ist entweder erschreckend schlicht oder einfach größenwahnsinnig: „Ich will jedem Menschen zeigen, dass er Großartiges leisten kann“, sagt Tan. Dazu müsse er weder eine Eliteuni besucht haben noch in die Oberschicht hineingeboren worden sein, sondern nur eine Initialzündung durch ein Seminar erfahren – so sei es bei ihm selbst auch gewesen.
Redner Jordan Belfort - der echte „Wolf of Wall Street“
Nach Berlin hat Tan einen seiner Superstars geschickt, Jordan Belfort, besser bekannt als der echte „Wolf of Wall Street“, dessen Leben mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle verfilmt wurde.
Um vom einstigen Aktiendealer und jetzigen Motivationscoach Belfort das Siegen zu lernen, sind knapp tausend Suchende ins Estrel-Hotel gekommen, am Rande eines Gewerbegebiets im Stadtteil Neukölln. Die Welt des Erfolgs ist hier eher nicht zu Hause: In Deutschlands größtem Tagungshotel findet sonst die Erotikmesse Venus Berlin statt, hier hat die SPD auf einem Sonderparteitag 2003 die Hartz-Gesetze beschlossen, es treten Elvis-Imitatoren oder Abba-Coverbands auf.
Belfort tigert auf der Bühne hin und her und schreit immer wieder „Yes or no?“ oder brüllt „Fuck it!“ – dafür hat er sich vorab beim Publikum entschuldigt, um dann hinzuzufügen: „Fuck it, ihr habt ja eh schon gezahlt.“ Sein Vortrag ist eine Aneinanderreihung von Floskeln. Bis sich der Erfolg einstellt, so lautet sein Rat, „umgebt euch mit Leuten, die es schon geschafft haben“. „Jeder Mensch hat eine Vision“, erfährt das Publikum oder „das Wort Nein klingt wie ein Furz“. Regelmäßig befiehlt Belfort kurz und knapp: „Aufschreiben!“
„Wenn er wenigstens so gut aussehen würde wie Leo“
Im Publikum sitzen überwiegend männliche Zuschauer, Berufseinsteiger und Studenten. Die Männer tragen Anzüge, Glattlederjacken, massive Gürtelschnallen und viel Haargel. Die wenigen Frauen tragen hohe Schuhe und sind stark geschminkt.
Eine Besucherin sagt zu ihrer Sitznachbarin: „Eigentlich ist der ja ein Betrüger. Der hat ja im Knast gesessen.“ Die zuckt mit den Schultern und antwortet: „Wenn er wenigstens so gut aussehen würde wie Leo.“
Irgendwie scheinen hier alle im Saal zu hoffen, dass etwas von Belforts einstigem Erfolg als millionenschwerer Aktienhändler auf sie abfärbt. Dass er dabei Kurse manipulierte, seine Kunden betrog, ein hedonistisches Leben zwischen Börsenparkett und Kokstablett führte und schließlich für 22 Monate ins Gefängnis musste, stört offenbar niemanden. Vielleicht ist es gerade die Comebackgeschichte inklusive Hollywoodverfilmung, die ihn zum glaubwürdigen Motivationscoach macht.
Belfort, der im Gefängnis seine Memoiren geschrieben hat, ist ebenfalls weiterhin verknallt in seine eigene Legende. Dass er dazu verurteilt wurde, 1.513 ehemaligen Klienten insgesamt 110 Millionen Dollar zurückzuzahlen, hält ihn nicht davon ab, sich als großen Macher zu stilisieren. Bisher sind angeblich nur elf Millionen Dollar an die betrogenen Opfer geflossen. Lieblos kritzelt er auf den Flipcharts herum, als würde er sich schon gar nicht mehr darum bemühen, die Inhaltsleere zu verbergen.
Zur Unterstützung ist er mit einem Rudel aus Hilfswölfen angereist, drei weiteren Motivationsexperten, „gute Freunde“ von ihm, „großartige Lehrer“ und angeblich wahnsinnig erfolgreich: Greg Secker ist britischer Devisenhändler und „international anerkannter Reichtumsexperte“, Shaun Shelton ist Immobilieninvestor und Investmentcoach und Andy Harrington ist laut Prospekt „der weltweit führende Experte für öffentliches Reden“. Die Männer gleichen sich darin, dass sie enge Anzüge tragen, über viel Körperspannung verfügen und sehr laut sprechen. Doch hinter dem Geheule von Wölfen, weiß die Natur, steckt Traurigkeit.
Greg Secker wird von einem Imagefilm angekündigt, der ihn im Privatjet und auf dem Golfplatz zeigt. Man sieht von unten gefilmte Hochhäuser und einen roten Porsche mit dem Nummernschild „Prosper“, der in den Sonnenuntergang fährt.
Der Brite will heute dem Publikum im Crashkurs den Devisenhandel beibringen, angeblich live demonstrieren, wie er innerhalb von vier Minuten 19 000 Pfund verdient. Ein Mann aus dem Publikum äußert leise Zweifel: Norman Abrahamson, der bei dem Finanzdienstleister Tecis angestellt ist, hat auf seinem Smartphone die Kurse der gehandelten Währungen überprüft und festgestellt, dass sie anders standen als bei Seckers vermeintlicher Livevorführung.
Wie eine Kamerafrau beim Teleshopping-Kanal
Die Zielgruppe der Seminare von Success Resources tickt aber nicht so wie Abrahamson. Warum Belfort, Secker und Co. an diesem traurigen Ort auf dieser traurigen Bühne stehen müssen, statt mit ihren Wunderstrategien selbst Millionen zu verdienen, fragt sich im Estrel-Hotel keiner. Das Publikum besteht aus Gläubigen, die gern Aufforderungen zum Aufstehen oder Nachsprechen folgen und das Bedürfnis haben, dass ihnen jemand sagt: „Du kannst alles erreichen – egal, woher du kommst.“
Die billigen Verkaufstricks von Success Resources kann oder will das Publikum nicht durchschauen. Als Secker ankündigt, dass die ersten 50 Zuschauer, die sich jetzt gleich zu seinem kommenden dreitägigen Training anmelden, anstatt 6000 Pfund nur 3000 Euro zahlen müssen – und obendrein noch seine selbst entwickelte Handelssoftware geschenkt bekommen, Wert angeblich nochmal 3000 Pfund –, rennen so viele los, dass einer der Tische umfällt, an denen man sich anmelden kann. Als Beobachterin fühlt man sich wie eine Kamerafrau beim Teleshopping-Kanal.
Der Wirtschaftspsychologe Uwe Kanning von der Universität Osnabrück kennt die Szene und ihre Tricks. Seit Jahren befasst er sich mit den Methoden von Gurus und Motivationstrainern und hat mehrere Bücher darüber geschrieben: „Sie bewirken nichts. Sie verkaufen das Versprechen, man müsse nur seine Einstellung ändern, um erfolgreich zu sein. Das ist natürlich verführerisch.“
Alexander Gärtner, 21, der in Frankfurt am Main Maschinenbau studiert, sieht das anders. Er ist nach vorn gerannt und hat sich eingetragen. Erst später wird er erfahren, ob er einen ermäßigten Platz bekommen hat. „Ich sehe das als Investment“, sagt Gärtner, „ich kriege das Ganze ja hundert- oder tausendfach zurück.“ 3.000 Euro auszugeben, mit dem Gefühl, gespart zu haben – das ist die Strategie, auf die der Veranstalter setzt.
Die andere Seite der schillernden Medaille
Dass der deutsche Markt aber vielleicht doch nicht so leicht zu erobern ist, musste Richard Tan beim Vorverkauf der Veranstaltung mit Jordan Belfort erfahren. Viele Besucher erzählen, dass sie ihre Tickets stark ermäßigt auf der Internet-Rabattplattform Groupon erworben haben. Ein sogenanntes VIP-Ticket, regulärer Preis 399 Euro, gab es dort für 60 Euro.
Außerdem gibt es Ärger mit dem deutschen Partner, der während der vergangenen drei Jahre hier die Events organisiert hat. Ein ehemaliger Mitarbeiter, Sebastian Rübner, der Privat- als auch Geschäftskunden für die Veranstaltungen in Deutschland akquiriert hat, sagt: „Die haben uns die Hallen in Köln, Berlin, München und Frankfurt voll machen lassen und irgendwann einfach die Zahlungen eingestellt. Wir warten auf sechsstellige Beträge, um die Angelegenheit kümmern sich Anwälte.“ Auch Kunden versuchen ihr Geld per Anwalt zurückzuerhalten, weil sie sich betrogen fühlen.
Success Resources will beides nicht kommentieren. Lieber reden sie über anstehende Seminare in Deutschland. Im Mai finde der National Achievers Congress in Stuttgart statt, sagt Aida Jehad, Europa-Chefin. Dort trete Nick Vujicic auf, der Mann ohne Arme und Beine und Autor des Buches „Mein Leben ohne Limits“. „Er ist einer unserer erfolgreichsten Sprecher, verheiratet, Vater eines Sohnes und sehr reich. Er inspiriert jeden.“ In Frankfurt findet kurz danach das dreitägige Event Millionaire Mind Intensive statt. Richard Tan glaubt weiter an seinen Erfolg in Deutschland. Muss er ja auch, alles andere wäre total unglaubwürdig.
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