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Geschlechterdebatte - Die pinke Revolution von unten

Ein niederländisches Dorf hat jetzt pinke Verkehrsinseln. Dahinter steckt sicher ein Vater, der von seiner Tochter geschlechtstypisch konditioniert wurde. Das Beispiel zeigt: Es ist sinnlos, sich gegen den Pink-Trend zu wehren

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Er habe sich in der Bestellnummer der richtigen Farbe geirrt. Das erklärte der zuständige Verkehrsbeamte, nachdem die Verkehrsinseln der niederländischen Stadt Wijchen fälschlicherweise pink gestrichen worden waren. Ich glaube das nicht. Ich tippe eher auf klassische Konditionierung: Der Mann hat bestimmt eine Tochter im Pinkrausch. Vermutlich mit starker Tendenz zum Glitzer.                                                                                 

Es ist immer wieder erhellend, wenn sich die Mär der Genderrolle als sozialer Realität ganz ohne wissenschaftliche Bemühungen selbst entlarvt. Man braucht dazu nur ein paar etwa ein Meter große Kinder. Spätestens, wenn sie diese Höhe erreichen, extrahiert sich in deutlicher Ausprägung das, was wir „den eigenen Willen“ nennen.

Mir geht es ähnlich wie dem niederländischen Verkehrsbeamten mit seiner Leidenschaft fürs Pinke. Glitzer wird auch für mich zum Hingucker. Dank intensiver klassischer Konditionierung hat sich mein Geschmack dorthingehend geändert. Für ein rosa-T-Shirt oder bunte Socken werde ich gelobt und ernte bewundernde Kinderblicke. Gemaßregelt („Du bist heute nicht so schön angezogen, finde ich“) werde ich etwa für ein graues Hemd und schwarze Röcke.

„Pinkstinks“ kämpft gegen Identitätszwang


Es ist einfacher, etwas zu akzeptieren, wenn du es nicht ändern kannst. Das ist der erste Schritt. Ich bin schon einen weiter: Ich reagiere auf rosa Glitzer. Ohne es zu merken, steuere ich im Supermarkt automatisch diese Farben an. Und nicht nur ich und ein niederländischer Verkehrsbeamter sind von dieser Konditionierung betroffen: Die Einwohner von Wijchen, der Stadt mit den pinken Verkehrsinseln, sind ganz begeistert von der neuen Farbe in ihrer Mitte. So begeistert, dass sie sich dafür ausgesprochen haben, sie beizubehalten. Die Stadt nämlich hatte im ersten Moment vor, die Inseln wieder grau zu streichen.

Die Vereinigung „Pinkstinks“ kämpft gegen „Produkte, Werbeinhalte und Marketingstrategien, die Mädchen eine limitierende Geschlechterrolle zuweisen“. Sie geht davon aus, dass unsere Kinder ohne eigenes Zutun von der Umwelt auf diese Farben und die dazugehörige Geschlechterrolle aufmerksam gemacht und positiv geprägt werden. Ungehört werden bei der Verbreitung dieser These zahlreiche Mütter und Väter, die vergeblich versuchen, ihre Töchter von lila Einhörnern, glitzernden Feenflügeln und rosa Zahnbürsten fernzuhalten. Harald Martenstein hat zahlreiche Studien zusammengetragen, die glaubhaft untermauern, dass Mädchen und Jungen schon im frühesten Kindesalter unterschiedliche Reize präferieren. Trotzdem kommentierte gerade wieder die Süddeutsche Zeitung: „Mädchen, die mit Barbie-Puppen spielen, glauben nicht, dass sie dieselben beruflichen Möglichkeiten haben wie Jungs“. Das ist natürlich Quatsch.

Aber Eltern geben die Hoffnung nicht auf, dass sie mit dem richtigen Spielzeug die Zukunft ihrer Kinder auf Erfolg und Selbstbestimmung prägen können: Lego hat gerade ein Trio an weiblichen Wissenschaftlerinnen herausgebracht. Nach einer Woche war der Baukasten „Research Institute“ ausverkauft. Das aber lag bestimmt nicht an quängelnden Kinder, die sich nach dem Produkt verzehrten, sondern vielmehr an ihren Eltern.

Facebook führt 60 Geschlechterkategorien ein


Dabei ist es doch erfrischend einfach, sich in einer Farbe wohl zu fühlen und darüber zu identifizieren. Später kommen eh so komplizierte Fragen auf die Menschen zu wie sie seit dieser Woche Facebook stellt. Dort kann Mensch nun zwischen 60 verschiedenen Geschlechtern wählen. Aber spricht es nicht eher für eine wahnwitzige Erwachsenenwelt, wenn wir uns entscheiden müssen zwischen „Trans*Frau“, „transweiblich“, „trans*weiblich“, „transgender-weiblich“, „Transsexuellen Frau“, „Inter-weiblich“, „Inter*Frau“, „XY-Frau“ und „Femme“? Wie viel einfacher ist denn da bitte pink!?

Kinder würden manipuliert von der Werbung? Gendermäßig geformt? Im Gegenteil: In der kindlichen Pinkphase bietet sich doch vielmehr die erste Abnabelungsmöglichkeit von der Umwelt. Es ist der erste Moment, an dem sie sich gegen ihre übermächtigen Eltern zur Wehr setzen. Gegen jene, die über Jahre das Nonplusultra ihres Verhaltens diktiert haben. Und nun werden sie zu eigenständigen Wesen, ziehen sich alleine an, entscheiden selbst.

Ganz ohne politische Vorbildung findet hier auch noch revolutionäres Denken unter Gleichaltrigen statt. Denn die pinke Revolution von unten überwindet alle Schichten und Schubladen. Ob französischer Akademikerzögling, deutsches Hartz-IV-Kind oder die Tochter des niederländischen Verkehrsbeamten: Alle lieben sie pink. Ach und wäre es nur noch so einfach, wenn sie erst 14 Jahre alt und verpickelt sind. Kaum eine junge Dame wird sich dann noch in Hello-Kitty-Pink kleiden und den ganzen Tag nach Gummibärchen und Schokolode schreien. Aber es wird ihrer Entwicklung gutgetan haben, wenn sie gelernt hat, auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten. Und seien sie noch so pink gefärbt.

Ich muss an das Punkerpärchen denken, das mir vor einigen Jahren im Berliner Friedrichshain über den Weg lief. Zwischen den beiden gepiercten und in Armee-Grün gekleideten Eltern lief ein kleines Mädchen, komplett in rosa Glitzer gewandet. Und ich dachte, dass es wohl kaum eine schönere Art gibt, dem eigenen Kind zu zeigen, dass es selbstbestimmt durch diese Welt gehen kann.

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