- Wurstfabrik der Star-Interviews
Wie bei Schauspieler-Interviews getrickst wird, warum Christian Bale in der schlimmsten Schmonzette der Woche spielt und das Bad der schaurigste Ort der Gruselfilmgeschichte ist: Die Berlinale-Kolumne von Constantin Magnis
Natürlich, Journalisten brauchen sich nicht zu beschweren. Fans und Autogrammjäger müssen sich stundenlang in der Schweinekälte vor den Polizeiabsperrungen der Garagenausfahrt des Hyatt Hotels oder am Roten Teppich die Beine in den Bauch stehen, nur um einen flüchtigen Blick auf Menschen wie Meryl Streep, Antonio Banderas oder Robert Pattinson zu erhaschen. Pressevertreter haben es da eigentlich besser: Vorausgesetzt die jeweils zuständige PR-Agentur befindet sie für würdig, die so genannten Stars zu interviewen - Recht bequem, im Warmen, bei einem Tässchen Kaffee, meist in der eigens dafür angemieteten Suite im Ritz oder dem Adlon.
Nur muss man eben wissen, dass die Herstellung solcher Star-Interviews auf Festivals wie der Berlinale weniger mit Traumfabrik, sondern eher mit Wurstfabrik zu tun hat. Es finden sich dafür in besagten Hotels im Zeitraum von zwei Stunden gefühlte 60 Journalisten ein, die dann in Gruppen von 4 bis 8 Mann im 15 Minuten Takt an dem in einem Zimmer harrenden Star vorbeigeschleust werden. Auf dem Weg dorthin wird geflüstert, als wäre man in einer Ausstellung, oder im Tierpark, als würde sich - pssst! - der Künstler bei plötzlichem Lärm erschrecken und wegfliegen. Was herauskommt, nachdem 8 Menschen 15 Minuten lang verzweifelt versucht haben die Kontrolle über das Gespräch mit dem einen Star zu gewinnen, verdient den Namen Interview eigentlich eher nicht.
Eine neue Unart ist es, dass nicht nur die Journalisten, sondern auch die Schauspieler der jeweiligen Filme für Interviews zu Paketen verschnürt werden. Das haben die Agenten der Nebendarsteller so eingefädelt. Um also beispielsweise den bekannten Schauspieler und Regisseur Billy Bob Thornton zu interviewen, muss man anschließend noch einmal 20 Minuten mit seinen Kollegen Katherine LaNasa (?) und Ray Stevenson (?) durchsitzen. Keiner der Journalisten möchte ernsthaft etwas von den Schauspielern wissen, die ihrerseits würden viel lieber fernsehen oder in der Nase bohren. Stattdessen sitzt man aber peinlich berührt – zu insgesamt zehnt – um einen Tisch herum, mit höflicherweise eingeschaltetem Tonband, und führt beklommenen Smalltalk bis die Pressefrau hereinkommt und zur Erleichterung aller „Last Question please“ ruft...
Kein so genanntes Interview werden Journalisten auf der diesjährigen Berlinale allerdings emotional so erschöpft verlassen haben, wie die Pressevorführung von „The Flowers of War“, dem außer Konkurrenz laufenden Wettbewerbsstreifen des Filmemachers Zhang Yimou. Was genau das chinesische Propagandaministerium ihm in seinen Grüntee getan hat, ist unklar, jedenfalls hat der ehemalige Großmeister des asiatischen Kinos es offenbar aufgegeben, ernstzunehmende Kunst produzieren zu wollen. Die Geschichte spielt inmitten der Invasion von Nanking, während der die Japaner 1937 ein Massaker unter der Zivilbevölkerung angerichtet haben. Christian Bale spielt einen Totengräber, der sich auf dem Grundstück einer Kathedrale unversehens als Beschützer nicht nur einer Schulmädchenklasse, sondern auch einer Truppe Prostituierter wiederfindet. Dass ein Weißer in diesem chinesischen Kriegsepos die Hauptrolle bekommt, und sich im Zentrum eines Völkermordes mit lustigen Weibern lustige Kissenschlachten liefert, ist schon kurios genug. Wirklich schwer zu ertragen ist allerdings, was für eine pseudohistorische, bluttriefende, pathosgeladene Schmonzette Yimou daraus gemacht hat.
Da werden die edlen, patriotischen Soldaten Chinas in Zeitlupe von der Kriegsmaschinerie des bestialischen Japaners zermalmt. Da zieht der verschlagene Japaner Kinder an den Haaren durch die Kirche, um sie erst johlend zu vergewaltigen, und dann grinsend zu ermorden, während im Hintergrund traurig die Geigen klagen. Und wenn Japaner Frauen mit dem Bajonett erstechen, dann grundsätzlich mit weit aufgerissenen, irren Augen, gefletschten Zähnen und in Slow-Motion. Und dann gibt es noch den Kommandanten, der japanische Heimatlieder auf der Orgel spielt und von sich behauptet, Kinder so gerne singen zu hören. Musikalität ist ja, wie wir aus diversen Nazi-Filmen wissen, immer ein Zeichen für ein gutes Herz. Gegen dieses propagandistische Schlachtengemälde ist der „Pearl Harbor“ noch subtil. Aber in China wird der Film ganz sicher ein riesengroßer Hit.
Lesen Sie im zweiten Teil über deutsche Familienpsychologie und spanischen Badewannengrusel
Ganz andere Spuren hinterlässt hingegen der deutsche Beitrag „Was bleibt“. Ein unfassbar dicht und präzise erzählt und geschauspielertes Mitbringsel des Berlinale-Veteranen Hans-Christian Schmid. Sein Film beginnt mit einer Familie, die für ein Wochenende im Haus der Eltern zusammenfindet: Marko (Lars Eidinger), der älteste Sohn, der samt Kind aus Berlin anreist, sein Bruder Jakob (Sebastian Zimmler) und dessen Freundin Ella (Picco von Groote) die sich auf ein Leben im Ort einrichten. Mutter Gitte (Corinna Harfouch), die seit Jahrzehnten manisch depressiv ist, erklärt überraschend, von nun an auf ihre Medikamente verzichten zu wollen. Weil sich der eigentliche, heimliche Familienmittelpunkt - Gittes Krankheit - verändert, gerät auch das stabile Familiengerüst aus Selbstbetrug und Täuschung aus dem Gleichgewicht.
Es gibt eine bestimmte Art von Familienfilm, der ein Genre an sich ist: Thomas Vinterbergs „Das Fest“ gehört dazu, aber auch der aktuelle Wettbewerbsfilm „Jayne Mansfields Car“. Diese Filme drehen sich im Kern um das Zerschlagen festgefahrener, verlogener Familienstrukturen. Und zur Logik des Genres gehört der befreiende Ausbruch aus der kranken Kruste, eine Katharsis die immer Sieg und Neuanfang bedeutet. Bei „Was bleibt“ ist das anders. Er ist schwieriger, beängstigender und wohl auch näher an der Wirklichkeit, weil er auch über die Gefahren der Ehrlichkeit spricht, über die im schlechten Sinne destruktive Sprengkraft der Dinge hinter der Fassade. Und es ist ein Film über eine Elterngeneration, die sich auf Augenhöhe mit ihren Kindern zu begeben versucht und eine Kindergeneration, die deshalb die Konflikte mit den Eltern nicht mehr in großen, explosiven Konfrontationen austrägt, sondern eher verdruckst, über Bande.
Dass verdruckste Konflikte meist kein gutes Ende nehmen, das lernen wir auch in „Dictado“, dem Wettbewerbs-Psychothriller des Spaniers Antonio Chavarrías. Er beginnt mit der perfekt verstörenden Szene eines kleinen Mädchens in der Badewanne. Vor dem Spiegel steht ein halbnackter Mann. Er greift zum Rasierapparat, montiert die Klinge ab, steigt samt Hose zum Mädchen in die Wanne, das Wasser schwappt über den Rand, sie lacht überrascht. Bis das überlaufende Badewasser sich rot färbt. Mit dem Mädchen, erfahren wir bald, stimmt etwas nicht, und nicht nur, weil es den Selbstmord seines Vaters miterlebt hat. Dessen Freund Daniel, mit dem er ein grässliches Kindheitserlebnis teilt, nimmt das Mädchen bei sich Zuhause auf. Aus Mitleid, aber auch weil seine Freundin Laura (Barbara Lennie) sich unbedingt ein Kind wünscht. Daniel dagegen bekommt bald große Angst vor dem Mädchen.
Und schon beginnt das Spiel aus nächtlich tropfenden Wasserhähnen, raschelnden Duschvorhängen, verdrängter Vergangenheit und uralten, gesungenen Kinderreimen. Ein Spiel, das so viele gute - und schlechte - Psychothriller einleitet, und mit dem sich „Dictado“ in die Serie famoser, reduzierter Spanischer Gruselfilme aus der Schule von Juan Antonio Bayona (Das Waisenhaus), Guilermo del Torro (Cronos, Pans Labyrinth) oder Alejandro Amenabar (The Others) einreiht . Der Film lässt sich übrigens auch einordnen, in die Serie besonders unangenehmer Badewannenszenen: Psycho, The Shining, The Grudge oder Schatten der Wahrheit – im Grunde ist das Bad der schaurigste Ort der Gruselfilmgeschichte. Wohl, weil wir nirgendwo so häufig nackt und verletzlich sind. Und dann, als die Merkwürdigkeiten sich häufen, schlägt Laura vor, sich zu erholen, in diesem alten Haus, was sehr abgelegen irgendwo in den Bergen liegt. „Nur wir?“ fragt Daniel noch naiv. „Ja, nur wir drei“, erwidert Laura, und wir lassen unsere Hoffnung auf Entspannung mit ihm zusammen sinken. Dass der Plot am Ende arg konstruiert ist und nur bedingt – sind wir ehrlich: gar keinen – Sinn macht, ist nicht so schlimm. Denn früh lässt der Film visuell sehr nach: durch die Finger vor den Augen erkennt man praktisch nichts mehr.
Foto aus „Was bleibt“: Gerald von Foris
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.