- „Wulff ist das Unthema des Jahres“
Warum Wulff das Unthema des Jahres ist, Volker Schlöndorff in seiner Jugend etwas Jüngerhaftes hatte und warum sich Europa im Aufwind befindet – Starregisseur Volker Schlöndorff im Interview
Filminfo zu Volker Schlöndorffs "Das Meer am Morgen": In Nantes wird im Oktober 1941 ein Nazi-Offizier der deutschen Besatzer von französischen Kommunisten erschossen. Die Vergeltung lässt nicht lange auf sich warten: Hitler lässt den 17-jährigen Guy Môquet und 149 weitere französische Gefangene hinrichten. Volker Schlöndorffs „Das Meer am Morgen“ bebildert die Zeit zwischen dem Schuss auf den Offizier und der Hinrichtung anhand dreier Handlungsstränge. Neben der Geschichte des jungen Guy Môquet, wird der in Paris stationierte Schriftsteller Ernst Jünger (Ulrich Matthes) gezeigt, der die Vergeltungsaktion protokolliert, sowie der junge Heinrich Böll, der am Atlantikwall Schießübungen durchführen muss.
Herr Schlöndorff, Wulff hatte vor seinem Rücktritt zu einem
Berlinale-Empfang ins Schloss geladen. Viele Filmschaffende blieben
der Veranstaltung fern. Warum sind Sie nicht
gekommen?
Ich hatte schon vor sechs Wochen die Einladung abgesagt, weil ich
mit meinem Produzenten und Martina Gedeck zur Filmvorführung von
„Die Wand“ geladen war. Ich hatte kurz überlegt, das abzusagen,
um zum Präsidenten zu gehen, weil ich es als lächerlich empfand,
wie viele meiner Kollegen auf die Einladung reagierten. Es ist ja
auch wichtig, dass der Präsident sieht, es gibt im deutschen Film
noch andere Leute als Herrn
Groenewold. Wir Filmschaffenden sollten uns nicht so wichtig
nehmen. Als ob wir einen Präsidenten boykottieren könnten.
Lächerlich. Ich bin auch zu Franz-Josef Strauß gegangen. Und ich
bin mir sicher, es wäre ihm lieber gewesen, ich wäre
seinerzeit nicht gekommen. Hier sollte man eindeutig trennen:
Das eine ist die Funktion, das andere ist der Mensch. Ich habe
Wulff nicht gewählt und ich hätte ihn auch nicht gewählt.
Die
Wulff-Affäre ist doch eigentlich – der Rücktritt inbegriffen – eine
recht müde Inszenierung, eignet sich kaum für einen Film,
oder?
Nein, da fällt einem irgendwie gar nichts mehr
zu ein. Es ist ein Unthema. So wie es ein Unwort des Jahres gibt,
ist das das Unthema des Jahres.
Was wäre denn Ihr Unfilm des Jahres?
Ich möchte keinem Kollegen zu nahe treten, aber glauben Sie mir,
ich könnte Ihnen mindestens fünf nennen.
Ihr neuester Film „Das Meer am Morgen“, der seine
Premiere auf der Berlinale feierte, handelt von der historischen
Figur des jungen Guy Môquet
in der Zeit der Besatzung durch die Nazis. In Frankreich
kennt ihn jedes Kind. In Deutschland ist das anders. Wie sind Sie
auf die Geschichte des Jungen gestoßen?
Der Name Môquet war mir zunächst nur als Pariser Metrostation
bekannt. Ich wusste anfangs nicht, wer sich dahinter verbirgt – bei
aller Frankophilie. Die Entdeckung kam dann durch ein Buch eines
Journalisten mit dem Titel „Guy Môquet. Une enfance fusillée“ –
eine füsilierte Kindheit. Beim Lesen habe ich mich plötzlich
erinnert, dass der Ort des Geschehens, Chateaubriant, in der
Bretagne nur 30 Kilometer von dem Ort entfernt lag, in dem ich ins
Internat gegangen bin. Das war der Moment, als ich mir dachte,
dafür musst du dich interessieren. Ich wusste allerdings nicht ,
dass Sarkozy diesen Brief des jungen Guy Môquet zur Pflichtlektüre
in Frankreich gemacht hat. Wie politisch vermint das Gelände war,
wusste ich – Gott sei Dank – nicht.
Die Szene der Exekution Guy
Môquets erinnert ein bisschen an „Wege zum
Ruhm“ von Stanley Kubrick. Da werden drei Leute füsiliert. Hatten
Sie die Szene auch im Hinterkopf?
Ich habe Kubricks Film früher oft gesehen, mir im Vorfeld zu meinem
Film aber nicht mehr angeschaut. Es gab auch einen Film von
Kieslowski „Der kurze Film zum Sterben“, mit einer ähnlichen Szene.
Den Film „Katyn“ von Andrzej Wajda hatte ich gerade vorher noch
gesehen. Und da war mir klar, so toll der Film ist, aber das will
ich nicht. Ich möchte nicht diese Einschusslöcher und Blutspritzer.
Ich wollte, dass die Exekution preußisch, klinisch, sauber ist,
dass sie wie ein Verwaltungsakt bis zum letzten Moment durchgezogen
wird.
Nun handelt die Geschichte nicht allein von Guy
Môquet. Im Grunde erzählen Sie drei
Geschichten. Es sind drei Biografien, die sich zufällig kreuzen.
Neben Guy Môquet tauchen auch der
Schriftsteller Ernst Jünger sowie der junge Heinrich Böll
auf.
Böll und Jünger hatten eine sehr unterschiedliche Auffassung davon,
was es heißt, Soldat zu sein. Böll hatte mir seinerzeit erzählt,
dass es ihm sehr schwer gefallen sei, Besatzungssoldat zu sein.
Ernst Jünger hingegen hatte es genossen, Besatzungsoffizier in
Paris zu sein. Böll hat praktisch jeden Abend an seine Frau Briefe
von der Front geschrieben. Dann bin ich auf die Novelle gestoßen
„Das Vermächtnis“, in der Böll Kriegserlebnisse verarbeitet . Die
Geschichte bot für mich den perfekten Einstieg für meinen Film. Ich
bin ja damals nicht dabei gewesen und wollte herauszufinden, wie
sich jemand in einer solchen Lage gefühlt hat.
Und dann kommt noch Ernst Jünger ins Spiel, der als
Hauptmann in Paris stationiert war. Er dokumentierte die Ereignisse
um die Exekution. Wie wichtig ist der Jünger-Bericht zur
Geiselfrage, der erst kürzlich erschienen ist, für Sie persönlich
zum einen und zum anderen für Ihren Film?
Den Entschluss, diesen Film zu machen, hatte ich schon gefasst,
bevor ich von diesem Bericht erfuhr. Aber der Film wäre ohne diesen
Bericht nicht das geworden, was er ist. Ein junger Historiker,
Felix Möller, hat mich auf den Jünger-Bericht aufmerksam gemacht.
Ich konnte es gar nicht fassen, wie genau Jünger diese Ereignisse
beschrieben hat, dass er auch die Briefe der Hingerichteten
übersetzt hat. Ich wollte den Film dann quasi aus zwei
Perspektiven erzählen. Aus der Jüngers und der des jungen Guy
Môquet. Eine deutsche und eine französische also. Im Grunde sind es
diese beiden Perspektiven, die den Film interessant machen, auch
für die Franzosen. Aber für uns Deutsche ist es natürlich
interessant, einmal den Guy Môquet zu entdecken und die
französische Résistance einmal aus dieser Perspektive erzählt zu
sehen. Und für die Franzosen war es interessant, dass ein Deutscher
ihnen ihren eigenen Märtyrer erzählt. Auf diese Weise hat der Film
eine innere Spannung erhalten, die das reine Nacherzählen von
irgendwelchen Ereignissen nicht gehabt hätte.
Hat sich durch die Lektüre des Berichts Ihr Bild von
Ernst Jünger verändert?
Ja, sogar sehr. Geschrieben ist der Bericht im reinsten
Kanzleideutsch. Ernst Jünger hat wohl bewusst gesagt, ich bin zwar
Schriftsteller, aber für dieses Dokument über die Geiselerschießung
benutze ich nicht meine Schriftstellersprache, sondern ich schreibe
das vollkommen neutral auf. Das heißt doch, dass er in der
Vorstellung lebte, er könnte sich selbst aufteilen. Einerseits bin
ich ein funktionierender Besatzungsoffizier und auf der anderen
Seite bin ich der kultivierte Schöngeist. Und der eine hat mit dem
anderen nichts zu tun. Das scheint mir aber geradezu schizophren.
Er schreibt diesen Bericht und gleichzeitig schreibt er in seinem
Tagebuch wunderbar blumige Beschreibungen von einem opiumartigen
Rendezvous in der Bar des Hotel Raphael mit der schönen
Sowieso.
Erfahren Sie im zweiten Teil, warum Schlöndorff den Jünger in sich bekämpfen wollte
Diesem Bild des passiven, abseits stehenden Jünger
folgen Sie nicht ganz. Drehte Jünger also, entgegen eigener
Aussage, das Rad der Geschichte doch mit?
Es gibt eine wunderbare Szene in dem Film, in der Jünger auf eine
Sängerin stößt. Ich habe ihr ein paar Fragen in den Mund gelegt,
die ich mir selbst stelle. Sie fragt, wie es denn möglich sei, auf
der einen Seite nicht in das Rad der Geschichte eingreifen zu
wollen, es gleichzeitig aber allein durch die Tatsache, dass er
Offizier der Besatzungsarmee in Paris ist, doch zu tun. Er war ja
nicht als Spaziergänger im Flanellanzug in Paris. Insofern ist
diese übertriebene Bewunderung des Schriftstellers Ernst Jünger in
Frankreich doch ziemlich schwer zu verstehen. [gallery:Die
Berlinale-Highlights]
Sie hatten selbst formuliert, Sie wollten den Jünger in
sich bekämpfen. Können Sie erläutern, was Sie damit
meinten?
Das sind so Sätze, die einem rausrutschen. John Malkovitch hat
einmal gesagt, er müsse den Nazi in sich bekämpfen. In den Augen
der Franzosen habe ich früher etwas Jüngerhaftes gehabt. Ich war
ein sehr disziplinierter Student, ein sehr disziplinierter
Regieassistent, der den Regisseuren den Rücken freigehalten und für
Ruhe und Ordnung am Set gesorgt hat, der gleichzeitig mehrsprachig,
kultiviert und (hoffentlich) charmant war. Ich merkte dann, wie die
Franzosen diesen Typus eines Deutschen mögen und habe das genossen.
Irgendwann hatte ich aber genug davon und habe mir gesagt, das bist
du eigentlich gar nicht.
Hat es Sie sehr mitgenommen, das Erschießungskommando zu
filmen, oder war das ein rein technischer Vorgang für
Sie?
Mit dem Blick auf die Uhr, auf die Kalkulation, auf den Drehplan
und auf den Sonnenstand, bleiben einem nicht sehr viel Zeit für
Emotionen. Das schließt jedoch nicht aus, dass es Momente gibt, die
einen mitreißen. Ich kenne den Ablauf ja ganz genau. Wenn es dann
passiert, wenn sie losgebunden werden, umkippen, wenn sie an den
Füßen gepackt und durch den Sand geschliffen werden, diese toten
Komparsen, da schießen einem die Tränen in die Augen. Das passiert
zwar nicht oft, aber es passiert. Danach heißt es dann,
weitermachen, ein Witz wird gerissen, das Team wieder aufgemuntert,
jeder geht auf seinen Platz und beim zweiten Take ist es schon
nicht mehr ganz so schlimm. Die Emotionen kommen immer nur
momentweise. Ich bin ein bisschen wie Lieschen Müller: Manchmal
lache ich bei einer Szene laut oder ich fange an zu heulen. Ich bin
immer mein bestes Publikum.
Ihr Film zeigt die Schrecken der Nazizeit. Damit sich
derartige Dinge nicht wiederholen, wurde die europäische
Integration geboren. Von Ihnen stammt der Satz: „Wer immer
Europamüde ist, der sollte sich fragen, wo wir eigentlich
herkommen“. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation, wo Europa doch
im Grunde jeden Tag wieder hinterfragt wird?
Europa wird nicht nur hinterfragt, sondern Gott sei Dank auch
weiter entwickelt. Ich finde, durch die Krise in den letzten sechs
Monaten hat Europa mehr Fortschritte gemacht, als in den 25 Jahren
davor. Vielen ist erst durch die Krise klar geworden: wer A sagt
auch B sagen muss. Wir müssen nach Schengen nun endlich zu
einer gemeinsamen Regierung kommen. Das kann 50 oder 100 Jahre
dauern, aber wir müssen uns zumindest auf den Weg in diese Richtung
machen. Europa wird nicht aufzuhalten sein.
Herr Schlöndorff, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Timo Stein.
Fotos: Richard Marx
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