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Weltbild in Disney-Comics - Alte Rollenbilder, neue Antihelden

Micky Maus ist jetzt 85 Jahre alt. Er und die anderen Helden im Disney-Universum amüsieren nicht nur. Sie vermitteln in ihren Handlungen auch Werte. Ein Gespräch über Kapitalismus in Entenhausen, Sexualität im Comic und Walt Disneys Propaganda im Zweiten Weltkrieg

Autoreninfo

Vinzenz Greiner hat Slawistik und Politikwissenschaften in Passau und Bratislava studiert und danach bei Cicero volontiert. 2013 ist sein Buch „Politische Kultur: Tschechien und Slowakei im Vergleich“ im Münchener AVM-Verlag erschienen.

So erreichen Sie Vinzenz Greiner:

Der Comic-Experte Carsten Laqua führt die Comic-Galerie Laqua, kennt die italienischen Zeichner der Lustigen Taschenbücher persönlich und ist Autor des Buches „Wie Micky unter die Nazis fiel“.

Herr Laqua, wenn ich an Disney denke, dann fallen mir zuallererst Micky Maus und Donald Duck ein. Was genau unterscheidet die beiden Charaktere?

Donald Duck ist vom Charakter her komplexer und ist damit für Erwachsene interessanter. Er eignet sich besser für komplexe Geschichten. Micky hatte sehr anarchische Wurzeln in den 30er Jahren, verkam aber schnell zu einem braven Gutmenschen, zu einem guten Helden, den man auch im Märchen findet: den Prinzen, die glatte Figur.

Wie kommt so eine Charakter-Wandlung zustande?

Das wird mit der Grundkonstellation zu tun haben. Donald Duck hat in den Micky Maus-Filmen angefangen – 1934 in „The Whise Little Hen“. Damals war er schon der Aufbrausende. Das hat man einfach verlängert.

Als Micky Maus noch alleine auftrat, war er sehr wild, aggressiv und brutal. Das änderte aber nichts daran, dass er trotzdem den Bösen, meistens Kater Karlo, zu besiegen versuchte.

Kater Karlo ist ein Vorzeige-Bösewicht. Gibt es Tendenzen der Darstellung von Gut und Böse? Häufig sind zum Beispiel Hunde die Gegenspieler der Helden.

Die Gesichtszüge bei Hunden eignen sich sicher besser, um Aggression zu zeigen. Bei den Disney-Comics sind die Guten und Bösen aber insgesamt differenzierter und stärker charakterisiert als bei Star Wars zum Beispiel, wo man schon an der Rüstungsfarbe erkennt, ob jemand böse ist.

Sind die Bösen in ihren Motiven einheitlich?

Nein. Da gibt es eine ganze Bandbreite an Boshaftigkeit. Das geht von Geldgierigen, über Verbrecher und Gangster, bis zu Politikern. Es muss ja auch immer für Kinder verständlich transportiert werden. Einen testosterongesteuerten Wallstreet-Manager versteht ein Zehnjäger nicht.

Aber der Zehnjährige versteht, dass Donald Duck ein Tollpatsch und doch der Held ist. Schuf Walt Disney einen Antihelden im Vergleich zu überlegenen Superhelden, sozusagen eine andere Art von Heldentyp?

Donald Duck steht ganz im Gegensatz zu Superhelden. Er ist ein tragikomischer Held. Ein Sympathieträger, über den man aber gleichzeitig lacht und in dessen Schwächen man sich selbst widerspiegelt. Donald Duck ist übrigens in Amerika – im Gegensatz zu den Superhelden – nicht populär. In Deutschland wiederum ist er beliebt.

Haben wir es da mit länderspezifischen Heldentypen zu tun?

Der Sympathieträger ist ein anderer. Die Amerikaner haben offenbar Sehnsucht nach Helden, die alles für sie ordnen. Sie haben vielleicht ein Sicherheitsbedürfnis, brauchen Helden mit Superkräften. Die anderen brauchen das nicht. Denen sind vielleicht unfehlbare Superhelden eher suspekt. Sie fühlen sich eher von jemandem unterhalten, der eben auch Schwächen hat.

Donald hat auch eine Schwäche für Daisy Duck. Sie ist schnippisch, will umgarnt werden, ist kein starker Charakter. Wird da ein bestimmtes Frauen- und Rollenbild vermittelt?

Das ist ein Rollenverständnis aus den 40er und 50er Jahren. Dass eine Frau materiell versorgt werden will, hat sich heute größtenteils erledigt. Man darf nicht vergessen, dass viele Comics, die wir gelesen haben in den 80ern und 90ern, teilweise Jahrzehnte vorher geschrieben wurden. Das ist wie bei Märchen, wo der Farbige der Butler ist. Das wird lange über die Zeit hinaus kolportiert. Solange solche Märchen gelesen und nachgedruckt werden. Die deutschen Comics wurden in den 60ern übrigens von freien italienischen Zeichnern, die sich an die Richtlinien von Disney hielten, gezeichnet. Ich kann nicht einschätzen, ob das damalige Bild von Daisy bei aktuellen Produktionen noch dasselbe ist.

Neben den Rollen sind auch die familiären Verbindungen der Figuren bemerkenswert: In Entenhausen gibt es fast nur Onkel, Tanten, Neffen. Direkte Bezüge wie Eltern und Kinder gibt es nicht.

Das hat zum einen eine sexuelle Ebene. Obwohl die männlichen Enten nackt herumlaufen, haben sie nichts zwischen den Beinen baumeln. Es erleichtert einfach, die Geschichte zu schreiben, wenn man Liebe und Sexualität nicht mit hineinbringen muss. Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass es gut ist, von dem abzulenken, was die lesenden oder fernsehenden Kinder im eigenen Haushalt haben. Sie sind ja von ihren Eltern umgeben. Geht man davon weg, wird eine Geschichte abstrakter.

Ganz konkret geht es in vielen Geschichten um Geld und Reichtum: Die Helden begeben sich auf Schatzsuchen, Dagobert Duck nimmt Geldbäder in einem riesigen Tresor. Ist Entenhausen etwa eine materialistische Welt?

Nein. Denn Entenhausen besteht ja nicht nur aus Dagobert, den Disney auch nicht erschaffen hat, um dem Kapitalismus zu huldigen. Der Unterhaltungswert der Geschichten besteht nicht alleine in Raffgier, sondern auch darin, wie absurd Raffgier sein kann, wie entmenschlichend sie letztendlich ist, und dass es Werte außerhalb gibt. Außerdem gibt es bei Walt Disney nicht nur Entenhausen, sondern auch den Kosmos um Mickey Maus, in dem es um Kriminalgeschichten und Heldentaten geht. Das alles ist weitaus komplexer als nur die Geldgier von Dagobert Duck. Es geht auch um Gut und Böse, um Tragikomik und den ewigen Verlierer Donald Duck.

Während Donald Duck sich einen Fehltritt nach dem anderen leistet, verhält es sich bei seinem arroganten Cousin, dem Schnösel Gustav Gans, umgekehrt: Er ist vom Glück gesegnet. Der Held Donald hat nur Pech.

Das Mag durchaus so sein. Aber es wird auch so dargestellt, dass der eine sympathisch, der andere unsympathisch ist. Dahinter steckt die Botschaft, dass etwas, was man selbst schafft, wertvoller ist, als das, was einem in den Schoß fällt.

Das hört sich ganz nach amerikanisch-calvinistischen Werten an.

Durchaus. Gustav Gans hat zwar Glück. Aber es geht um den, der mit „Labour“ mit seiner Hände Arbeit etwas schafft.

1943 erschienen die beiden Anti-Nazi-Proagandafilme „Der Fuehrer’s Face“ und „Education for Death“. Warum stellte Walt Disney seine Comics in den Dienst der Politik?

Es war für Disney eine Frage des Überlebens. Er hatte wie viele Firmen Probleme, seine Produktion aufrecht zu erhalten. Im Krieg gingen zum einen die Übersee-Märkte verloren. Europa, das etwa 40 Prozent des Umsatzes von Walt Disney ausmachte, war durch die Nazi-Okkupation weggebrochen. Zum Anderen sind auch männliche Mitarbeiter oft in die Armee eingezogen worden.

Viele Studios konnten nur überleben, indem sie anfingen, Propagandafilme im Auftrag von Ministerien machen. Sie konnten dann zum Einen Leute für unabkömmlich erklären und zum Anderen bekamen sie sicheres Geld.

Also alles aus rein wirtschaftlichen Beweggründen?

Walt Disney ist sicherlich auch Patriot gewesen. Er war eher ein konservativer Mensch, der, auch weil er den amerikanischen Traum erlebt hat und vom Tellerwäscher zum Millionär wurde, auf solche Werte achtete. Als sehr liberal konnte man ihn nicht bezeichnen.

Er hat auf eigene Kosten noch einen dritten Film gedreht: „Victory Through Air Power“. Er wollte damit den Ministerien und der Öffentlichkeit zeigen, dass es sinnvoll sei, Langstreckenbomber zu bauen, um den Krieg leichter zu gewinnen. Den hat er sogar auf eigene Kosten gedreht.

Im Gegensatz zu „Victory Through Air Power“ setzen sich die anderen beiden Filme konkret mit der Situation im Dritten Reich auseinander. Bemerkenswert dabei ist, dass das Regime im Propaganda-Film aus normalen Deutschen Nazi-Maschinen macht.

Es stellt die Deutschen als Opfer dar. Das ist schon differenziert. Disney war auch durchaus Deutschen-freundlich.

Zurückhaltende Darstellung statt der These einer deutschen Kollektivschuld?

Walt Disney hat einmal gesagt, er mache keine Propaganda, sondern Aufklärung. Propaganda ist umso stärker, je glaubwürdiger sie ist.

Vielleicht hat Disney bei den genannten Filmen auch schon an seine Nachkriegsmärkte gedacht. Das ist aber eine Spekulation.

Inwiefern?

Nun, er hat ziemlich schnell nach dem Krieg wieder in Deutschland Fuß gefasst. Man hat bei Disney immer das Ziel gehabt, mit allen Nationen und Kulturen Geschäfte zu machen. Und da kann man es sich nicht erlauben, sich ständig jemanden zum Feind zu machen.

Wirtschaftliches Interesse hin oder her – Disney bliebt doch strammer Amerikaner. Das sieht man deutlich am kitschigen Schluss von „Der Fuehrer’s Face“. Donald Duck erwacht aus seinem Nazi-Albtraum und springt vor Freude ans Fensterbrett, um eine golden blinkende Freiheitsstatue zu umarmen.

Aus heutiger Sicht hat das einen kitschigen Touch. Man muss das einfach aus der Zeit heraus sehen: Gerade damals wird Patriotismus in Amerika als etwas Gutes angesehen. Und die Freiheitsstatue ist für die Amerikaner natürlich ein großes Symbol.

Also kein Kitsch vom gelobten Land Amerika?

Nein. Die Amerikaner haben einfach ein anderes Selbstverständnis. Es war weder ironisch, noch kitschig gemeint. Vielleicht ein bisschen lustig. Denn die Hauptfigur ist ja Donald.

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