- Frank Castorf: Rheingold oder Wild at Ring
Der Journalist und Wagner-Experte Axel Brüggemann berichtet für Cicero Online vom Grünen Hügel. Im dritten Eintrag seines Bayreuth-Tagebuchs erklärt er, wie Frank Castorf alias "Fränkie aus dem wilden Osten" die Hochkultur durch den Trash erhebt.
Lesen Sie auch die weiteren Einträge aus Brüggemanns Bayreuther Tagebuch:
Teil 1: „Eine existenzielle Herausforderung“
Teil 2: Die Knackärsche haben gute Arbeit geleistet
Teil 3: Frank Castorf: Rheingold oder Wild at Ring
Teil 4: Wie Angela Merkel mit Wotan flirtet
Teil 5: Wagner ohne Hitler, das ist echte Kunst
Teil 6: Vom Vögeln, Ballern, Krokodil-Schnappen und Buh-Rufen
Teil 7: Leserpost, die Totalkultur und der Antisemitismus
Als das Telefon klingelte, hatte Fränkie Besseres zu tun als abzunehmen. Vielleicht schnitt im Fernsehen gerade irgendein Cowboy irgendeinem Goldgräber die Kehle durch. Der Ventilator funktionierte nicht, und es war heiß. Fränkie schaute kurz auf das Honecker-Bild an der Wand. Aber das Telefon hörte nicht auf zu klingeln. Ihm fiel ein, dass er gar keinen Ventilator hatte und nahm ab. "Kann ik machen, klaro", sagte er, nahm einen Schluck Rotwein, "Ehrensache, wa." Und legte auf. Einige Tage später ritt er mit dem alten Chrysler (oder war es die Deutsche Bahn?) aus der Hauptstadt in die fränkische Prärie.
Er hat sich ein bisschen gewundert, dass die Frisörin der Chefin ihm den Vertrag hinlegte, aber er hat unterschrieben. "Watt soll's", hat er gesagt - er brauchte das Geld. Nicht wie die anderen Kulturfuzzis zum Leben, sondern um mal wieder so eine richtige Schose aufzuführen. Mit allem Drumunddran. Seit heute wissen wir: Bayreuth hat Fränkie nur für einen Abend, für zweieinhalb Opernstunden, ein Bühnenbild hingestellt, mit dem er an seiner ollen Volksbühne eine ganze Saison bespielt hätte. "Macht nix", hat er jesagt, als sich herausstellte, dass die Frisörin ihre Chefin war.
Fränkie ist ein alter Cowboy. Er braucht nur eine Idee, und der Rest kommt dann von selbst. Manchmal ist sein Schatten schneller als er selbst. Die Idee kam irgendwann. Er hörte, wie sie in seinem Gehirn knackste. "Öl", dachte er. Was man eben so denkt, wenn man an Wagner denkt, den "Ring" - so wie man sich im wilden Osten den Süden der Vereinigten Staaten vorstellt: "Öl, das ist das Blut der Welt" oder so ähnlich, dachte Fränki. Er mochte diesen Wagner. Der war so durchgeknallt wie er selbst. Waren er und Richard nicht beide ein bisschen Fidel Castro?
Als Fränkie mit seinem Baby mal wieder Kinderwagen-Rodeo im Prenzlberg spielte, dachte er weiter: "Öl" und - "Tankstelle". Fränki mag das Naheliegende. Gehirnwichsen sollen die anderen. Er ist für das Klare. Das, was alle verstehen. Gehirnwichsen ist Scheiße, wenn man das Existenzielle sucht, findet Fränkie. Kunst kommt schließlich nicht von Denken, sondern von Körper. Wahrheit entsteht nicht im Kopf, sondern in der Erschöpfung - sie ist das Exkrement des Extrems.
Der Ventilator ging noch immer nicht (oder war immer noch nicht da), als er seine Freunde anrief. Zuerst den alten Belgrader, Aleksandar, den Wunderkonstrukteur, Denic. "Musst mir 'n Bühnenbild bauen", hat Fränkie gesagt, "wat mit Öl und Tankstelle." Und Denic hat Fränkie gebaut, was er immer baut: eine Drehbühne mit allem Schnickschnack, zig verschachtelten Räumen: Ein abgewracktes Pool (Rhein) im Garten, die abgewrackten Suiten von "Golden Motel" (Götterburg Walhall) und hinten dran die Tankstelle (Nibelheim) - das alles an der Route 66 (die Weltölstraße). "Könnte was werden", hat der Frankie noch zum Aleksandar gesagt, "müssen wir noch n paar Kameras installieren und ne Leinwand aufs Motel-Dach montieren. Weißte, wegen der doppelten Ebene."
Doppelte Ebene ist Fränkies Sache: Wenn sich die Riesen um das Rheingold prügeln und Wotan im Hinterzimmer Erda vögelt, oder wenn Wotan und Loge dem Nibelungen Alberich das Gold abluchsen und die Rheintöchter in Strapse im Bett liegen, und sich alles in der Glotze anschauen. Doppelte Ebenen sind geil, weil man da die angefangenen Ideen weiterspielen kann. Und weil die Typen vom Feuilleton sie lieben. Außerdem macht Tarrantino das auch so. Und Tarrantino ist ne coole Sau. Von jetzt an war der Fränkie ganz wild at Ring.
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Die Kritikerrunde auf "Bayern 4" war sich einig: Kirill Petrenko war der Star des Abends. "Durchleuchtetes Dirigat", "transparent dirigiert", "Sänger geführt", "langsam bewegt und dynamisch" ... und und und. Fand ich auch, zumal der Bayreuth-Debütant sich (mit einigen Wackler-Ausnahmen) fulminant mit der ungewohnten Akustik des versenkten Grabens im Festspielhaus geschlagen hat. Aber...
Aber was ist es, das fehlt, irgendwas. Es ist so wahnsinnig schwer, über Musik zu schreiben. Petrenko hat sich auf die Motivik Wagners konzentriert, versteckte Hinweise freigelegt, Ungehörtes zu Gehör gebracht, und er hat auch einen Sog erzeugt, einen Bogen über die Details geschlagen, sich und das Orchester treiben lassen, stets mit Rücksicht auf die Bühne, die Stimmen - das Große und das Ganze.
Und dennoch klang einiges wie Holzschnitt. Und das unterscheidet Petrenko von einem Vollendeten wie Thielemann: Der schafft es irgendwie, unter die Noten zu gehen, das Selbstverständliche erklingen zu lassen. Ja, ich glaube, das ist es: Petrenko ist noch um ein Statement zu Wagner bemüht, die Freiheit der Selbstverständlichkeit fehlt ihm noch. Und dennoch ist all das spannend, was er zusammenbringt - ein anderer, neuer Weg. Vielleicht in Schritt zur Selbstverständlichkeit.
Fränkie hat gepokert: Provinztheater hat er gebrüllt, scheiß Probebedingungen gerufen - und der "Spiegel" ist drauf reingefallen, als Fränkie die Zeitung zum Pseudo-Skandal manipuliert hat. Die Wahrheit ist: Mit seinem Rheingold rettet er gerade Bayreuths Ruf. "Entscheidend für die Vertragsverlängerung der Intendanz", wurde geschrieben, "Existenziell für die Wagner-Schwestern" - und immer mit dem Unterton, dass das eh nichts werden kann.
Fränkie aber muss gewusst haben, dass er ziemlich abgezockt ist. Dass das aufgeht. Dass er sich auch auf seinen Schatten verlassen kann. Dass er nicht weniger als eine neue Bühnensprache für die Oper gefunden hat: Die Leinwand auf seinem "Golden Motel" ist ein Geniegriff. Mal zoomt sie die Mini-Sänger auf der Bühne wie durch ein Opernglas heran, diktiert (wie im Film) das Auge des Betrachters.
Er löst den Unterschied von Film und Theater auf, wird nicht nur zum Regisseur der Szene, sondern auch des Publikums-Auges, er zwingt uns, auf Details zu schauen: Den Ring an Loges Finger, während er Fricka mit Gold bedeckt, das "No Smoking"-Schild, während Wotan sich eine Fluppe ansteckt, den Gesichtsausdruck Alberichs, während er mit Quietscheentchen in der Hand an einem fränkischen Würstchen knabbert und seinem Geschlechtstrieb entsagt, der Lust der Liebe.
Und Fränkie nutzt die Kamera, um die nicht sichtbare Handlung aus den Hinterzimmern auf die Bühne zu holen, um Sänger an der Rampe zu positionieren (für die Akustik) und andernorts Handlungsstrecke zu machen. Fränkie - das ist ziemlich cool! Ich ziehe meinen Cowboyhut.
Natürlich weiß der Cowboy der Oper auch, dass das "Rheingold" mit all seiner Action der leichteste "Ring"-Teil ist. Deshalb hat er ihn zuletzt geprobt. Ob die Spannung bei "Walküre", "Siegfried" und "Götterdämmerung" zu halten ist?
Fränkie hat im Programmheft vorgesorgt. Er erklärt, dass er nur Episoden erzählt: "Eine offene Erzählstruktur ermöglicht eine Freiheit, wie sie von vielen Figuren im 'Ring' ständig gesucht wird. Deshalb ist es auch nicht unbedingt notwendig, eine Szene über ihren Höhepunkt hinaus zu erzählen. Gerade die Aposiopese, also der Abbruch an der spannendsten Stelle, der alle Fragen offen lässt, der alle Entscheidungen verzögert, verengt den Raum und dehnt die Zeit aus. Die Gegensätze werden zusammen geführt, aber eine Lösung vorenthalten."
An dieser Stelle machen wir eine Aposiopese.
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Gestern habe ich an dieser Stelle über das Sängerproblem bei Wagneropern geschrieben. Heute haben mich die Bayreuther Festspiele widerlegt. So schnell kann es gehen. Gut so!
Tankstellenwärter und Wotan Wolfgang Koch, der seine Trash-Immobilie, das "Golden Motel", durch Diebstahl abbezahlen muss, ist einer der wenigen Baritone, denen man nach dem "Rheingold" glaubt, dass er bis zum "Siegfried" durchhält. Kein süffiger Bass-Bariton, sondern ein Erzähler, ein Epiker, ein sparsamer Gott, dessen Dramatik nicht ausufernd, sondern auf den Punkt ist.
Martin Winkler springt als Alberich in den Motel-Pool, ein Charakter-Sänger, der wahrscheinlich am meisten unter Fränkies Diktat der Körperlichkeit leiden muss. Dieser Alberich muss schuften, rauben, stöhnen, rennen, schwimmen. Kein Wunder, dass ihm - besonders in der Fluch-Szene - einige Töne verrutschen.
Die Riesen Fafner (Sorin Coliban) und Fasolt (Günther Rgoissböck) sind aus einem James-Dean-Film entliehene Halbstarke. Während Fafner mit Baseballschläger die Tanke auseinandernimmt, gibt Fasolt den dusseligen Tarantino-Helden und sahnt in der Publikumsgunst ab. Großes Kino!
Selten hat man so gut abgestimmte Rheintöchter gehört: Julia Rutigliano, Mirella Hagen und Okka von der Dammerau räkeln sich im hässlichen Tankstellen-Garten, beobachten den Diebstahl des Goldes der Götter und hoffen auf die Rückkehr des schönen Glitzerns - vergebens.
Ein genialer, energiegeladener Spieltenor ist Burkhard Ulrich, in dessen Schatten die Loge von Norbert Ernst steht. Souverän bestimmend Wotans Weib Fricka (Claudia Mahnke), die eifersüchtig auf ihre Tochter Freia (Elisabet Strid) ist, mit der Wotan keine Hemmungen im Bett zeigt. Ihre goldenen Äpfel verpackt Fränkie übrigens in rotes Silikon.
Nadine Weissmann hat einen glitternden Show-Auftritt als Erda.
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Am Ende lässt Fränkie die Südstaatenflagge gegen die Regenbogenflagge auf der Tankstelle austauschen. Die Götter haben das von Alberich aus dem Rhein geklaute Gold von Alberich geklaut und können über den Regenbogen auf die Dachterrasse ihrer Tanke einziehen. Auf dem Bildschirm saufen derweil die Rheinnixen ab.
Fränkie hat sich am Premierenabend noch versteckt. "Buhhh" haben einige schon in den letzten Ton gerufen, "Bravo" die anderen. Vielleicht sitzt der Operncowboy im Hotel vor seinem Ventilator. Es könnte noch heiß werden in Fränkies Franken-Prärie.
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