- Ein Rückschlag für die deutsche Öko-Seele
Kolumne: Grauzone. Der Abgastestbetrug erschüttert nicht nur den Weltkonzern VW. Vor allem ist der Skandal eine Schmach für die kollektive Seele. Doch die Geschichte könnte bewirken, dass Deutschland endlich seine moralische Überlegenheit ablegt
Wir sind die Guten. Kaum etwas ist den modernen Deutschen so wichtig, wie das Gute zu repräsentieren. Wir sind die Meister im Mülltrennen, die Helden der Energiewende, die Vorreiter der Nachhaltigkeit und der gesunden Ernährung, wir sind pazifistisch, ökologisch, sozial, integrativ und multikulturell. Wir sind gut bis zur Selbstverleugnung. Uns kann keiner was.
Und dann das: Da manipuliert der größte deutsche Autokonzern Abgaswerte, um die strengen amerikanischen Umweltrichtlinien zu erfüllen: Volkswagen, die Wiege von Käfer und Golf, von Autos also, mit denen sich ganze Generationen identifizieren. Das ist nicht irgendein abgehobener Autobauer, das ist der Autobauer für das Volk, für uns. Das sitzt tief.
USA führt deutsches Vorzeigeunternehmen vor
Als ob das an sich nicht schlimm genug ist, kommt es noch dicker. Die Verfehlungen des Wolfsburger Konzerns wurden nicht von einer wackeren NGO aufgedeckt, von Greenpeace, WWF, BUND oder der Stiftung Warentest. Nein, es waren die Amis, die US-Umweltschutzbehörde EPA, die das deutsche Vorzeigeunternehmen vorführte.
Jene Amis also, die im deutschen Bewusstsein so etwas wie der ökologische Gottseibeiuns sind, die mit ihrer uneinsichtigen Energiepolitik den Globus ruinieren, unsere Nahrung mit fiesen Genen traktieren, unsere Ressourcen verschwenden und dem freilaufenden deutschen Biohuhn mit ihren Chlorhühnchen den Garaus machen wollen.
Das trifft die deutsche Öko-Seele ins Herz. Ein deutsches Vorzeigeunternehmen, das den Amis mal zeigen sollte, wie man kleinere und umweltfreundlichere Autos baut, wird just von diesen des Schummelns bei Abgaswerten überführt. Wäre es nicht so peinlich, irgendwie wär’s lustig.
Weltrettung mit Wärmedämmung
So ist die VW-Affäre nicht nur ein veritabler Wirtschaftsskandal, der die Schwächen eines halbstaatlichen, von nassforschen Egomanen und einem zerstrittenen Familienclan geführten Konzerns brutal offen legt. Vor allem ist der Skandal ein Anschlag auf die deutsche Seele.
Er trifft das moderne Deutschland in seinem ganzen Stolz, seinem Selbstverständnis, seiner Kernkompetenz: der sauberen Energie. Andere mögen mit Tablets und Smartphones die Kommunikationstechnologie revolutionieren und mit ihrer Software die Datenströme beherrschen – wir Deutschen aber, wir retten die Welt mit abgasarmen Autos, mit Windrädern und Wärmedämmung.
Dieser naiven Vision haben die Betrügereien von VW einen herben Dämpfer versetzt. Bei einem Land, das sich zu einem erheblichen Maße darüber definiert, umweltbewusst, nachhaltig und daher vorbildlich zu sein, ist das eine kollektive Schmach. Dass sich hier ein deutscher Weltkonzern benimmt wie ein schmieriges, korruptes Unternehmen, scheint dabei fast eine Nebenrolle zu spielen.
Dabei stellt sich die Frage, weshalb es stets amerikanische Behörden sind, die die Machenschaften deutscher Unternehmen aufdecken: seien es die schwarzen Kassen von Siemens, die Tricksereien der Deutschen Bank oder nun die Betrügereien von Volkswagen. Dies gilt umso mehr, als der „International Council on Clean Transportation“ (ICCT) die entsprechenden Informationen schon vor einem Jahr veröffentlichte – und auch ein Büro in Berlin unterhält.
Mahnung zur Bescheidenheit
Es drängt sich ein böser Verdacht auf: Sind wir vielleicht doch nicht die Guten? Könnte es vielleicht sogar sein, dass wir nicht der Klassenprimus sind, der Streber, der alles besser weiß und besser macht, sondern auch mal mit einem Spickzettel arbeiten oder auf das Heft des Nachbarn schielen?
So gesehen könnte das VW-Schmierenstück sogar einen positiven Effekt haben: Deutschland könnte lernen, entspannter auf sich selbst zu schauen und vom hohen Ross der moralischen Überlegenheit herabzusteigen. Die Welt hat nie darauf gewartet, am deutschen Wesen zu genesen – weder an seiner Ordnung und seiner Pünktlichkeit noch an seiner Nachhaltigkeit und seinem Umweltbewusstsein.
Etwas mehr Bescheidenheit könnte den Blick dafür frei machen, dass vieles hierzulande bei weitem nicht so vorbildlich ist, wie wir es gerne hätten – und dass man von den so häufig gescholtenen USA in Sachen Korruptionsbekämpfung, Umwelt- und Verbraucherschutz eine Menge lernen kann.
Deutschland in der Streberrolle
Denn es ist die sehr deutsche Verflechtung von Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft – für die VW wie kein zweites Unternehmen steht –, die das bräsige Klima aus Selbstgefälligkeit und großmäuliger Provinzialität begünstigt, das Effektivität ebenso verhindert wie Transparenz.
In dem VW-Skandal liegt also auch eine Chance. Dass sie genutzt wird, ist jedoch unwahrscheinlich. Denn wie jeder Streber, der versagt hat, so wird auch Deutschland nicht sein Strebertum infrage stellen, sondern in Zukunft noch verbissener werden. Denn Verbissenheit ist nun einmal unsere Königsdisziplin.
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