- Von Trollen, Shitstorms und Knallchargen
Wenn die Netzgemeinde und die analoge Welt aufeinanderprallen, geht das selten gut aus. Die Debatten schaukeln sich schnell hoch zu Kaskaden, die vor allem eines belegen: Das mit den „digital natives“ und ihren analogen Gegenübern, das wird in diesem Leben nichts mehr
So weit ist es also schon, dass diesem Begriff bei „Wikipedia“ ein eigener Eintrag gewidmet wird: Ein „Shitstorm“ ist demnach ein Netz-Phänomen, das sich vor allem dadurch auszeichnet, „aggressiv, beleidigend, bedrohend oder anders attackierend“ gegen Personen oder Konzerne gerichtet zu wüten.
Setzt man voraus, dass diese Definition richtig ist, dann kann man es Shitstorm nennen, was in der vergangenen Woche auf einen Abgeordneten namens Ansgar Heveling niederging. Heveling hatte im „Handelsblatt“ einen Text als „Gastkommentar“ publiziert, den man auch einfach dem Vergessen hätte übereignen können. Im Wesentlichen vertrat Heveling die Auffassung, dass sich diese ganze Geschichte mit dem Netz bald wieder erledigt habe. Man darf das natürlich glauben, weil man in einer offenen Gesellschaft und einer aufgeschlossenen Demokratie beinahe alles glauben darf.
Der Abgeordnete (bei dem schon kurz nach der Veröffentlichung des Textes der Hinweis nicht fehlen durfte, er sei „Hinterbänkler“) hatte allerdings neben einer reichlich kruden Nicht-Argumentation einen Tonfall gewählt, bei dem nicht sehr viel anderes übrig blieb, als ihn als Provokation zu verstehen; vermutlich war das auch so gemeint. Heveling prophezeite der „lieben Netzgemeinde“, sie werde den Kampf, welchen auch immer, verlieren. Kurz darauf war Heveling bei der von ihm freundlich bedachten Netzgemeinde für wenigstens einen Tag lang Gesprächsthema Nummer eins. Bei „Twitter“ hatten Heveling-Witze Hochkonjunktur, andere kaperten mal eben seine Webseite und posteten etwa seinen fiktiven Austritt aus seiner Partei. Und bei Facebook sammelte Heveling 4.000 „Empfehlungen“ ein, was angesichts der brachialen Reaktionen ein schöner sprachlicher Euphemismus ist.
Das ist eine ziemlich erstaunliche Reaktion auf jemanden, der argumentativ eher flachbrüstig daherkommt. Und auf jemanden, bei dem man nicht müde wurde zu betonen, er sei doch „Hinterbänkler“. Warum also dann diese Aufregung, wenn ein „Hinterbänkler“ einen Text schreibt, den man bestenfalls als belanglos bezeichnen kann? Man hätte es sich ja schließlich leicht machen können: „Don´t feed the troll“ ist schließlich einer der ersten ehernen Regeln, die der „digital native“ mit ins Leben bekommt. Auf Deutsch heißt diese kluge Empfehlung: Lass dich nicht provozieren, gib dem Troll, der es auf Eskalation abgesehen hat, nicht auch noch Nahrung.
An diese Regelung hielt sich nur eine Minderheit, was auf der Gegenseite, beispielsweise bei der durchaus eher analogen FAZ, zu der Auffassung führte, man habe sich ja gleich gedacht, dass die „Netzgemeinde“ so reagieren würde. Der Autor Michael Hanfeld warf Protagonisten wie Mario Sixtus und Thomas Knüwer noch ein halb-verächtliches „Knallchargen“ hinterher und reagierte damit nebenher auch noch ungefähr genau so, wie man sich das vorgestellt hatte.
Auch das ist ja so ein Phänomen dieser Debatten über den digitalen Graben hinweg: Sie enden selten, ohne persönlich zu werden. Lauter Knallchargen und Dummköpfe unterwegs, wenn man das richtig versteht. Zumindest für Kampfrhetorik wie die von Heveling gibt es plausible Erklärungen, die sogar einfach und nachvollziehbar sind. Der Blogger Sascha Lobo hat vergangene Woche die latenten Ängste der analogen Welt auf den Punkt gebracht: „Das Netz nimmt uns etwas Wesentliches weg, und die Netzleute lachen auch noch darüber und denken sich Ideologien aus, warum sie eigentlich Recht haben.“
Seite 2: Heveling bekommt Schimpfe aus der eigenen Partei
So denkt ein beträchtlicher Teil der analogen Welt, die neben der inhaltlichen Differenzen sehr häufig auch eine unterschwellige, leider aber auch manchmal nicht zu leugnende Überheblichkeit der Avantgarde beklagt. Die Avantgarde wiederum tut, was Avantgarden schon immer getan haben: Sie moniert die Rückständigkeit aller anderen und macht das laut und deutlich und, ja, auch das: nicht immer in einer Form, die man als angenehm empfinden muss.
Dabei läuft in dieser Debatte ein völlig neuer Graben durch die Gesellschaft. Der Graben trennt nicht mehr nach Parteien oder Ideologien, sondern zwischen digital und analog. Im Falle Heveling fing sich der Unionsmann ein paar geharnischte Repliken ein, die es eigentlich gar nicht hätte geben dürfen, legt man die bisherige Lehre von Parteien und Ideologien zugrunde. Die stellvertretende CSU-Generalsekretärin Doro Bär und die Nürnberger CSU- Abgeordnete Dagmar Wöhrl beispielsweise kritisierten Heveling öffentlich in einer Form, die normalerweise eher den politischen Mitbewerbern vorbehalten ist. In diesem Fall aber waren Bär und Wöhrl eben nicht Mitglieder ihrer Partei, sondern Mitglieder einer Netzgemeinde, deren verbindendstes Merkmal es übrigens ist, dass sie zunächst nichts miteinander verbindet (außer das Netz natürlich).
Vielleicht ist ja ausgerechnet diese Inhomogenität, die Menschen auf der analogen Seite des Lebens so irritiert: Wie kann eine Gemeinschaft eine Gemeinschaft sein, wenn sie fast nichts gemeinsam hat? Das Leben verläuft irritierend anders als das analoge, das irritiert ja manchmal sogar Netzbürger.
Trotzdem war die Reaktion auf Hevelings apokalyptische Visionen von „ruinenhaften Stümpfen“ und „verbrannter Erde“ der schlechteste Gefallen, den sich die „Netzgemeinde“ tun konnte. Weil sie exakt so reagierte, wie Heveling es, gewollt oder nicht gewollt, angeprangert hatte. Man moniert, dass im Netz schnell mal die digitalen Gesinnungsterroristen des Wegs kommen und rumkrakeelen. Und was machen sie? Sie kommen und krakeelen rum.
Im Netz, so viel steht fest, erreicht die Erregung schneller als irgendwo sonst extreme Betriebstemperatur. Das ist manchmal lustig, wenn es beispielsweise um einen zerbrochenen Blumenkübel im Münsterland geht. Meistens allerdings schaukelt sich Erregung schnell in ungesunde Dimensionen. Dabei muss, wie in anderen Debatten üblich, nicht mal erst ein Nazi-Vergleich kommen, um die Diskussion zu beenden. Meistens reicht der kurze Hinweis, dass der jeweils andere ja aus einer ganz anderen Welt kommt und somit mindestens ahnungslos ist. Umgekehrt ist es ja leider aber auch so, dass sich Kritiker aus der analogen Welt gerne über etwas auslassen, was sie weder verstanden noch gesehen haben. Wer keinen Computer benutzt (was sein gutes Recht ist), sollte nicht über das Internet urteilen.
Wahr ist ja leider auch, dass fast nirgendwo ein derart eklatantes gegenseitiges Missverständnis herrscht wie zwischen der digitalen und der analogen Welt. Vielleicht war es das ja, was Heveling auf etwas unbeholfene Art sagen wollte: Ja, es herrscht – Glaubenskrieg. Zwischen denen, die das Netz für die größte Revolution seit Beginn des Buchdrucks halten. Die ganze Gesellschaften vor dem digitalen Umbruch sehen und sogar die Wirkung von Revolutionen und dem Ausgang von Präsidentschaftswahlen einem kleinen Dienst zuschreiben, der das Verschicken von 140 Zeichen langen Botschaften erlaubt. Und dann natürlich die anderen: Für die das Netz ein einziges Schlammbecken ist, in dem kriminelle Inhalte veröffentlicht und die Inhalte anderer skrupellos gestohlen werden; in dem es ansonsten noch Sex, Seuchen und Schwachsinn gibt. Dazwischen ist kaum Platz für irgendwas, zumindest dann, wenn man den öffentlichen Debatten glaubt.
Seite 3: „Es läuft auf einen radikalen Wandel von ungefähr allem hinaus“
Die Wahrheit ist für die allermeisten eine andere: Sie surfen ein bisschen, schreiben Mails, laden vielleicht mal ein paar harmlose Bildchen bei Facebook hoch. Sieht man sich die bevorzugten Nutzungen der Deutschen im Internet an, kommt man schnell zu dem Ergebnis, dass das Netz für sie weder Revolution noch Weltuntergang ist.
Woher kommt dann aber dieser „clash of civilisations“, den sich Heveling flugs bei Samuel Huntington ausgeliehen hat?
Tatsächlich ist es ein Problem, dass das Netz eben nicht nur Zeitungen und Fernsehen irgendwie auf einen Bildschirm bringt. Tatsächlich ist es für das Verständnis der analogen Seite kaum nachzuvollziehen, dass es sich eben nicht einfach nur um eine Transformation von Dingen handelt. Die Digitalisierung bedeutet auf vielen Ebenen einen vollständigen Paradigmenwechsel, der an den Grundfesten von nahezu allem rührt. Privatheit ist eben nicht mehr nur Privatheit. Ein Musikstück ist eben nicht mehr einfach nur ein Musikstück, sondern aus technischer Sicht nicht mehr als ein kleines digitales File, das sich selbst von technischen Laien einfach und beliebig oft kopieren und weiter verbreiten lässt. Alles ist kopierbar, alles ist verschiebbar, alles ist vernetzt. Das bedeutet in der Konsequenz weitaus mehr, als dass es jetzt auch Computer gibt, auf denen man konsumieren und mit deren Hilfe man kommunizieren kann. Es läuft auf einen radikalen Wandel von ungefähr allem hinaus.
Auf radikale Veränderungen – wenigstens das ist nichts Neues – reagiert eine Gesellschaft im Regelfall auf zwei Arten: mit begeisterter Zustimmung oder mit radikaler Ablehnung. Dazwischen gibt es selten etwas, außer natürlich die emailschreibende und chattende Gleichgültigkeit der breiten Masse.
Noch nie war der Raum für Diskussionen – in des Wortes Sinne – so groß. Jeder kann irgendwas zu irgendeinem Thema sagen. Und im Netz, man kann sich darauf verlassen, wird von dieser Möglichkeit ausgiebig Gebrauch gemacht. Am Ende dieser Debatte steht nicht immer etwas, was man nicht schon vorher wusste oder vielleicht auch gar nicht wissen wollte.
Im Falle eines Shitstorms endet er gerne damit, dass irgendjemand feststellt, es handle sich gerade um einen Shitstorm. Wenn nicht schon vorher jemand die Nazikeule gezogen hat. Wenigstens das ist Heveling erspart geblieben.
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