Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Uli Hoeneß - Das Hochamt der Scheinheiligen

Ab Montag steht der Bayern-Präsident Uli Hoeness in München wegen Steuerhinterziehung vor Gericht. Die Öffentllichkeit weidet sich genüsslich an ihrem Vorurteil, dass letztlich jeder Dreck am Stecken hat. Ein Kommentar

Matthias Heitmann

Autoreninfo

Matthias Heitmann ist freier Publizist und schreibt für verschiedene Medien. Kürzlich hat er das Buch „Entcoronialisiert Euch! Befreiungsschläge aus dem mentalen Lockdown“ veröffentlicht. Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de.

So erreichen Sie Matthias Heitmann:

Ich kenne Uli Hoeneß nicht persönlich, ich bin ihm nie begegnet, und ich bin auch nicht Fan des Vereins, dessen Präsident er ist. Eigentlich ist es seltsam, einen Kommentar über einen Gerichtsprozess, in dem es um ein Steuerhinterziehungsdelikt geht, so zu beginnen. Aber in diesem Fall scheint diese Vorbemerkung notwendig zu sein.

Um was geht es: Das Landgericht München II hat zu entscheiden, wie die Steuerhinterziehung und die Selbstanzeige von Uli Hoeneß zu bewerten sind. Er selbst hat zugegeben, von seinem Schweizer Bankkonto aus zahlreiche Spekulationsgeschäfte getätigt, die so entstandenen Gewinne aber nicht versteuert zu haben. Der Steuerschaden wird auf 3,5 Millionen Euro beziffert. Die entscheidende Frage ist nun, ob die Selbstanzeige formal korrekt war und ob sie ausreicht, um Haftverschonung zu erreichen, oder ob die erzielten Gewinne eine Höhe überschritten haben, die diese Option ausschließt.

Das Gesetz urteilt unabhängig von der Person, die Medien unabhängig vom Gesetz
 

Gibt es etwas Langweiligeres als Steuerrechtsprozesse? Eigentlich nicht, außer vielleicht für Experten. Die Sache wird auch nicht dadurch interessanter, dass ein Prominenter angeklagt ist. Das Gesetz interessiert sich nur insofern für Menschen, als dass sie als Handelnde mit dem Gesetz in Konflikt geraten können. Mich persönlich lässt es kalt, ob Hoeneß und wenn zu was verurteilt wird. Hauptsache, er muss sich für das verantworten, was er getan hat – nicht mehr und auch nicht weniger. Das gilt für den Bäckermeister von nebenan genauso wie für den Rekordmeister. Ich baue darauf, dass das urteilende Gericht diesem Grundsatz treu bleibt.

Während das Gesetz unabhängig von der Person urteilt, tun große Teile der Medien und der Öffentlichkeit das Gegenteil: Sie verurteilen Personen unabhängig vom Gesetz. Rechtsverstöße liefern häufig lediglich das Startsignal für scheinheilige moralische Wertungen und wütende Entrüstung. Da wird Steuerhinterziehung zu einem nationalen Skandal stilisiert, nur weil der Präsident eines Fußballvereins oder, wie im Falle von Alice Schwarzer, die Chefredakteurin einer feministischen Zeitschrift sie begangen hat. Tatsächlich hat Hoeneß „nur“ Steuern hinterzogen – ein Tatbestand, der im Alltag nicht zur moralischen Exkommunizierung gereicht. Es scheint, als sei weniger die Steuerhinterziehung das Problem, sondern die Summen, mit denen zuvor spekuliert wurde – sprich: Es geht darum, dass Hoeneß ein reicher Mann ist. Auch Alice Schwarzer hat, soweit bekannt ist, sich nicht an der „Emma“-Kaffeekasse oder an irgendwelchen Budgets universitärer Genderforschungszentren vergriffen.

Jagd auf das Böse im Menschen
 

Sicherlich könnte das Vergehen ein Grund sein, um an der persönlichen Glaubwürdigkeit von Uli Hoeneß zu zweifeln. Aber das sollten diejenigen tun, die ihn kennen und mit ihm zu tun haben. Unglaubwürdigkeit ist kein Verbrechen. Zudem zeichnet sich unsere Gesellschaft nicht gerade dadurch aus, dass sie die Integrität von Menschen voraussetzt. Im Gegenteil: Sie sucht förmlich nach Fällen wie denen von Hoeneß oder Schwarzer und sie weidet sie genüsslich aus, um ihre eigenen Vorurteile zu bestätigen: nämlich, dass letztlich jeder Dreck am Stecken hat und der Mensch an sich korrupt ist, egal ob arm oder reich. Der mediale Aufschrei war keiner aus Enttäuschung, sondern aus zynischer Selbstbestätigung; er lautete nicht „Oh nein! Wie konnte er das nur tun?!“, sondern: „Siehste – wir haben es doch schon immer gewusst!“

Zeitgeistkonformes Hoeneß-Bashing
 

Im Falle von Hoeneß sind es noch weitere Faktoren, die der Häme zu einem besonders starken Übergewicht verhalfen. Für viele Menschen ist der frühere Bayern-Manager und jetzige Vereinspräsident seit vielen Jahren ein Hassobjekt: Als Personifizierung des Erfolgs und der Dominanz, des Reichtums, der Arroganz und des unbändigen Selbstbewusstseins, aber auch der Ökonomisierung des Fußballs. Der Multimillionär Hoeneß vereint zahlreiche Eigenschaften, die dem heutigen Zeitgeist als kritikwürdig, wenn nicht sogar als falsch und fehlgeleitet gelten. Der stark polarisierende Hoeneß konnte sich vor allem deswegen so öffentlichkeitswirksam etablieren, da man ihm „nichts anhängen“ konnte und der sportliche wie wirtschaftliche Erfolg ihm Recht gab.

Die Wogen der Empörung, die seit dem Frühjahr 2013 über Hoeneß hereinbrachen, wurden jedenfalls nicht durch die 3,5 Millionen Euro ausgelöst, die er dem Staat schuldet. Sie entstanden vielmehr durch das freudige Auf- und Abspringen all jener, die jahrelang nur darauf gewartet hatten, die bayrische Ikone des Fußball-Kapitalismus endlich von ihrem Thron zu stoßen. Für sie passte es natürlich perfekt ins Bild, dass Hoeneß seine nicht versteuerten Gewinne nicht etwa am Roulette-Tisch im Kasino, sondern durch Spekulationsgeschäfte erzielt hatte. Und bestätigt wurden sie in ihrem moralisierenden Eifer noch dadurch, dass der FC Bayern aller öffentlichen Entrüstung zum Trotz Hoeneß nicht absetzte, obwohl dieser seinen Rücktritt angeboten hatte, sondern ihm – zumindest vorläufig – das Vertrauen aussprach.

„Mia san Uli“
 

Dass der FC Bayern dem öffentlichen Druck bisher widerstand und an Hoeneß festhielt, ist nicht nur anständig gegenüber Hoeneß, sondern auch gut für die Vereine insgesamt – und für den Fußball. Denn zum einen hat der nun anstehende Prozess in München absolut nichts mit dem Sport oder mit der Vereinstätigkeit von Uli Hoeneß zu tun. Zum anderen ist es grundsätzlich immer zu begrüßen, wenn Vereine gleich welcher Art ihre gesetzlich klar geregelte Autonomie in Anspruch nehmen – leider tun sie das viel zu selten. Es gibt kein Gesetz, das einem Verein verbietet, einen Angeklagten zum Präsidenten zu haben. Und Vereine haben auch keine moralische Pflicht, der Empörung der medialen Öffentlichkeit nachzugeben. Sollte der FC Bayern diese Marschrichtung beibehalten, könnte dies zum vielleicht wichtigsten Sieg der kompletten Saison werden. Und auch wenn ich kein Bayernfan bin, diesen Sieg wünsche ich ihnen.

 

 

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.