- Wer stoppt die miesen Drehbücher?
Nicht erst seit dem Erfurt-„Tatort“ ist klar: Der Sonntagabendkrimi ist ausgelaugt. Die Drehbücher sind wirr oder lahm. Doch wer holt den Tatort aus der Erzählkrise?
Thüringen freut sich, Thüringen atmet auf: Seit vergangenem Sonntag ist das schöne Bundesland auf der wichtigsten Landkarte verzeichnete, die die Medienrepublik Deutschland zu bieten hat, der Karte der Tatort-Standorte. In Erfurt ermittelt die Generation Thirty Something, unterstützt von einer spätberufenen Praktikantin im Klugscheißer-Modus. Gewonnen ist damit – aus außertouristischen Gründen – nichts. Ein weiteres deutsches Mittelzentrum ist angekommen im erzählerischen Ödland.
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Daran nämlich erkennt man immer öfter das Hochamt am Sonntagabend. Die Drehbücher sind wirr oder lahm, ein Drittes gibt es nicht. Die Hände der Autoren stecken ellenbogentief in der Klischeekiste. Storytelling, das den Namen verdient, findet nur ausnahmsweise statt. Es dominiert der Is‘-eh-alles-wurscht-Gestus. Ein saturiertes Format, das anstrengungslos Quotengipfel erklimmt, wird von den Location-Scouts, den Kameraleuten und der Tonspur regiert. Der Autor liefert Stichworte so zuverlässig und so kreativ wie ein Metronom.
Der Tatort-Junkie kriecht zum Fernseher wie die Maus zum Käse
Der hochambitionierte Münchner Tatort unlängst wurde in der Regie Dominik Grafs zu einem filmkünstlerischen Experiment mit maximalem Schauwert. Glücklich die Reihe, die sich Hollywood-Paraphrasen wie „Aus der Tiefe der Zeit“ leisten kann. Die Story aber nachzuerzählen wollte nicht einmal den beteiligten Schauspielern gelingen. Ein Zirkus war wichtig, irgendwie, der Erste Weltkrieg auch, Münchner Neubauten und das Münchner Nachtleben sowieso. Kroatische Faschisten hatten ihren Auftritt. Wieso, weshalb, warum? Wer hier fragt, bleibt dumm.
Die Woche zuvor hechelten die Münsteraner Ermittler einer „chinesischen Prinzessin“ hinterher. Natürlich waren die Chinesen korrupt oder brutal oder beides, irgendwie, und natürlich wurde der Pathologe Boerne zu Unrecht der Tat verdächtigt, und selbstredend knallte es tüchtig in einer Feuerwerksfabrik, die nur zu diesem Zweck eingeführt worden war. Was braucht es individuell gezeichnete Charaktere, was eine Handlung mit Aufschwung, Abschwung, Peripetie, wenn der Tatort-Junkie eh’ zum Fernsehgerät kriecht wie die Maus zum Käse? Erfolg macht träge.
In den Til-Schweiger-Vehikeln ist noch keine Geschichte je gesichtet worden, sein Kommissar Tschiller macht keine Ausnahme. In Ludwigshafen wurden unlängst Schüler simuliert, die so schlau sind, dass sie Videospiele gucken, und die, weil sie Videospiele gucken, zum Amoklauf in ihrer verhassten Schule rüsten. Und im schönen Erfurt halten Studenten den studentischen Stress nur mit Aufputschmitteln aus, dealen damit, und Studentinnen haben so wenig Geld, dass sie sich beim Escort-Service verdingen müssen. Außerdem wurde derart tranig gespielt und geredet, dass die Goldene Himbeere des Tatort-Jahrganges 2013 zu gleichen Teilen an den thüringischen „Kalten Engel“ wie an den Saarbrücker Klamauk um „Melinda“ geht. Glückwunsch an die Kommissare Funck, Schaffert und Stellbrink!
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Die Krise des Erzählens ist eine Krise der Geschichte. Um an sie glauben zu können, müsste man an die Buntheit des Lebens glauben. Daran, dass Abgründe unter jedem Kieselstein lauern können und nicht nur dort, wo der Drehbuchschreiber sie vermutet, bei Zuhältern, Psychopathen, Kriegsheimkehrern oder alleinerziehenden Alkoholikerinnen. Schluss also mit der Milieuverengung, her mit den Wirtschafts- und Politik- und Sport- und Wissenschaftskrimis. Schluss auch mit dem Leichenzwang. Subtil erzählte Geschichten brauchen den Mord nicht. Sie brauchen auch nicht hundert falsche Fährten, die lieblos drapiert werden. In der Begrenzung zeigt sich die Meisterschaft, lest und lernt bei Simenon, ihr Autoren.
Die Krise des Erzählens ist auch eine Krise der öffentlich-rechtlichen Struktur. Wer weiß schon, wie viele Köche in die Suppe gespuckt haben, ehe sie uns am Sonntagabend so lauwarm serviert wird? Die schlimmsten Fährnisse gehen vielleicht auf das Konto überbesorgter oder unterbeschäftigter Redakteure. So oder so: Die Quotenrekorde des Tatort sind trügerisch. Ewig lässt sich kein Sportwagen preisen, der heult und jault und zischt, aber partout nicht vom Fleck kommt.
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